4. Januar 2023, 8:45 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Im Zentrum der brasilianischen Metropole São Paulo steht ein Gebäude, das nicht zu übersehen ist. Das 165 Meter hohe Edifício Copan gilt mit seinen circa 5000 Bewohnern als das größte Wohnhaus der Welt, manch einer bezeichnet es gar als eigene Stadt in der Stadt. Entworfen hat es der brasilianische Star-Architekt Oscar Niemeyer – ursprünglich für einen ganz anderen Zweck.
32 Stockwerke, sechs Blöcke und mehr als 1000 Wohnungen, in denen derzeit schätzungsweise 5000 Menschen leben: Willkommen im Edifício Copan, das laut Guinness-Buch der Rekorde mit seinen 116.153 Quadratmetern über die größte Grundfläche aller Wohngebäude weltweit verfügt. Entworfen hat den wellenförmigen Komplex aus Sichtbeton kein geringerer als Oscar Niemeyer, einer der einflussreichsten Architekten Brasiliens.
Ursprünglich sollte das Edifício Copan eine Touristenattraktion werden, und zwar anlässlich des 400. Jahrestages der Gründung São Paulos im Jahr 1954. Geplant war ein riesiger Komplex mit Restaurants, Kunstgalerien, einem Theater, einem Kino und Wohnungen. Auch ein Hotel sollte im Copan untergebracht werden. „Aber wegen politischer und ökonomisch Probleme ist das Copan erst
1966 eingeweiht worden, zwei Jahre, nachdem das Militär die Macht in Brasilien übernommen hatte“, sagte der Architekt Carlos Lemos, der mit an der Planung des Komplexes beteiligt war, in einem Radio-Feature von „Deutschlandfunk Kultur“.
Auch interessant: Was man in São Paulo unbedingt sehen und tun sollte
Wohnungen im Edifício Copan wurden zum Verkaufsschlager
Lemos hat das Projekt schließlich ganz von Oscar Niemeyer übernommen, weil dieser den Auftrag bekommen hatte, die neue Hauptstadt Brasília zu bauen und aufgrund eines Exklusivvertrags keine anderen Projekte mehr verfolgen durfte. Als das Edifício Copan 1966 eröffnete, verfügte es über 1160 Wohnungen unterschiedlicher Größe. Die kleinsten Apartments hatten 26 Quadratmeter, die größten 350 Quadratmeter. Im Nu waren zahlreiche Wohnungen verkauft. Besonders die Zentrumslage reizte viele Anleger, hier zu investieren.
Aber auch die Tatsache, dass Oscar Niemeyer das Gebäude entworfen hat, spielte eine große Rolle für die Beliebtheit des Gebäudes. „Oscar Niemeyer war einer der Pioniere der modernen Architektur in Brasilien“, sagt der brasilianische Architekt Rafael Péra zu TRAVELBOOK. „Im Unterschied zu einigen anderen Architekten seiner Zeit hat Niemeyer den Geist des brasilianischen Klimas und Volkes verstanden – und nicht einfach importierte Lösungen genutzt.“
Ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Edifício Copan
Doch nach dem anfänglichen Hype folgte schon bald ein düsteres Kapitel in der Geschichte des größten Wohnhauses der Welt: Weil in einem anderen Stadtteil von São Paulo ein neues Finanzzentrum gebaut wurde, zogen viele Unternehmen aus der Innenstadt weg dorthin. Das Zentrum und damit auch das Copan verkamen zusehends, viele Bewohner zogen aus, Prostituierte, Drogendealer und andere Kriminelle ein. „Der Niedergang war wirklich schlimm. Das Gebäude ist von innen verfallen“, sagt eine Frau, die heute noch im Copan wohnt, im „Deutschlandfunk“-Feature. „Sein Ruf war so schlecht, dass ich auf Fragen, wo ich wohne, nur noch gesagt habe: an der Kreuzung Ipiranga und São Luiz. Die Rettung haben wir nur Don Affonso zu verdanken.”
Don Affonso, das ist der jetzige Verwalter des Edifício Copan. Der inzwischen über 80-Jährige wohnt schon seit der Eröffnung selbst dort. Mit eiserner Hand und mit der Hilfe eines ausgeklügelten Netzwerks sorgte er dafür, dass wieder Ordnung einkehrte, warf die Kriminellen raus, ließ überall in den Gebäuden Kameras installieren. Heute hat das Edifício Copan mehr als 100 Angestellte und funktioniert wie eine kleine Stadt. Im Erdgeschoss befindet sich eine Ladenzeile mit 70 Geschäften, Cafés und Restaurants. Tatsächlich hat das größte Wohnhaus sogar eine eigene Postleitzahl: CEP 01046-924.
Auch interessant: Mehr als 7300 Zimmer! Das größte Hotel der Welt
Bedeutendes Gebäude in São Paulo
„Das Edifício Copan ist ein sehr bekanntes Gebäude und ein wichtiger und beliebter Ort in São Paulo“, sagt Architekt Rafael Péra zu TRAVELBOOK. „Der strategische Standort und die Vielfältigkeit der Größen der einzelnen Wohneinheiten schafft eine vielseitige, lebhafte und diverse Nachbarschaft, die sich aus verschiedenen Klassen und Bewohnern zusammensetzt – sowohl im Bereich der Apartments als auch im gewerblichen Bereich im Erdgeschoss –, und sich sehr gut in die Stadt einfügt.“
Die geschwungene S-Form des Edifício Copan ist übrigens nicht der Kreativität der Architekten zu verdanken. „Ihr Entstehen verdankt sie einem Zufall“, erklärt Carlos Lemos in „Deutschlandfunk Kultur“. „Als das Copan geplant wurde, hat die Baugesellschaft vier Grundstücke im Zentrum von São Paulo gekauft. Zwei von der katholischen Kirche, das dritte von einem steinreichen Mann und das vierte von einer Autowerkstatt. Die Lage der Grundstücke gab die Form eines S vor.“
Beliebt bei Touristen
Heute ist das Edifício Copan ein Wahrzeichen von São Paulo und Anziehungspunkt für Touristen und Architektur-Fans. „Beeindruckend sind die Höhe und Größe des Copan“, sagt Architekt Rafael Péra. „Und sehr interessant ist der offene Erdgeschossbereich. Der Boden dort weist eine leichte Neigung auf, die der Topografie der Umgebung folgt, um sich besser in die Straßen der Umgebung einzufügen.“
Nicht verpassen sollte man einen Abstecher auf die Dachterrasse, denn von dort hat man die beste Aussicht über die Stadt. Diese Terrasse öffnet, so schreiben Tripadvisor-User in ihren Bewertungen, zweimal am Tag, um 10.30 Uhr und um 15.30 Uhr. Die Anmeldung erfolgt über die Rezeption in Wohnblock F des Edifício Copan, der Zutritt ist kostenlos.
Tipps von „Pilot Patrick“ Was man in São Paulo unbedingt sehen und tun sollte
Samba, Urwald, Strände, Traumstädte 12 gute Gründe, warum sich die weite Reise nach Brasilien lohnt
Tipps für Rumäniens Hauptstadt Warum sich ein Besuch in Bukarest unbedingt lohnt
Es gibt ein noch größeres Wohnhaus
Das Edifício Copan steht zwar als größtes Wohnhaus der Welt im Guinness-Buch der Rekorde. Allerdings gibt es in der italienischen Hauptstadt Rom einen Gebäudekomplex, der noch weitaus größer ist. Im sogenannten Corviale am Stadtrand von Rom leben einem Bericht der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ zufolge in 9 Stockwerken 7000 Menschen in 1260 Wohnungen. Es gilt als eines der längsten Hochhäuser Europas – und als sozialer Brennpunkt Roms.