20. Januar 2020, 7:34 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Ein italienischer Einwanderer erschuf mit den Watts Towers in Los Angeles ein wahrhaft bizarres Kunstwerk. An seinem Lebenswerk arbeitete er 34 Jahre! Heute sind er und seine Schöpfung längst Teil der US-Popkultur der USA und sogar von einem der bekanntesten Musik-Alben der Geschichte.
An einer ansonsten gewöhnlichen Straßenecke in Los Angeles im Stadtteil Watts steht ein skurriles Gebilde: Mehrere Türme, bis zu 30 Meter hoch, ragen dort in den Himmel. Doch es sind keine Hochhäuser. Die Gebäude sehen eher aus, als wären sie der wilden Fantasie eines Kindes entsprungen. Diese absurden Konstruktionen, die heute in den USA als die „Watts Towers“ bekannt sind, waren die Idee, und sind das Lebenswerk eines einzelnen Träumers.
„Ich baue einen Turm, den Menschen mögen werden. Alle sollen kommen.“ Diese Worte spricht Sabato „Simon“ Rodia, Einwanderer aus Italien, in einem kurzen Dokumentarfilm über die Watts Towers. Rodia ist ihr Erbauer, über einen Zeitraum von 34 Jahren arbeitete er laut „Los Angeles Times“ von 1921 bis 1954 an dem bizarren Werk. „Du musst etwas schaffen, das es auf der Welt noch nicht gibt“, so erklärt er seine Motivation in dem Film „I built the tower people like“.
Ein Leben für das Werk
Und genau das tat Rodia: Auf einem Grundstück, dass er 1921 erworben hatte – und auf dem er auch lebte – fing er im selben Jahr mit den Arbeiten zu dem an, was später als die Watts Towers berühmt werden sollte. Ausschließlich in seiner Freizeit bog er Stahl zu Fantasie-Konstrukten zurecht, überzog ihn mit Zement und verzierte das Ganze schließlich mit einem aberwitzigen Mix aus Glas, Keramik, Fliesen, Muscheln und Wachs. Als Inspiration diente ihm der Schiefe Turm von Pisa, wie er in dem Film über sich sagt.
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Laut „Spiegel“ verzichtete Rodia während der Bauphase sowohl auf Helfer als auch auf Gerüste, erklomm seine Türme auch in hohem Alter noch ungesichert – auch Baupläne hatte er keine, bzw. sie existierten nur in seinem Kopf. Doch kaum hatte er sein Projekt vollendet, verließ er 1955 Los Angeles und zog zu seiner Familie ins nördliche Kalifornien, wo er 1965 verstarb. Das Grundstück mit den Watts Towers darauf hatte er zuvor seinen Nachbarn geschenkt.
Denkmal der Popkultur
In der Folge sollten die Türme abgerissen werden, doch laut der Seite „Discover Los Angeles“ sorgte ein Künstlerkollektiv dafür, dass Rodias Skulpturen einem Sicherheits- bzw. Stabilitätstest unterzogen wurden. Nachdem sie diesen bestanden hatten, musste die Stadt die Abrisserklärung aufheben. Zu viele Leute hatten Rodias Lebenswerk lieb gewonnen und nachdem es in dem hauptsächlich von schwarzen Bürgern bewohnten Stadtteil Watts 1965 zu schweren Rassenunruhen mit 34 Toten gekommen war, blieben sie als Mahnmal einfach
1990 wurden sie vom US-Innenministerium zur „National Historic Landmark“ erklärt, also zu einem bedeutsamen kulturellen Zeugnis menschlicher Schaffenskraft. 1994 wurde das Gelände bei einem Erdbeben beschädigt, im Jahr 2001 dann nach einer Renovierung wieder eröffnet. Noch heute finden sich über dem Eingang zu dem einmaligen Gelände auf einem Portal die Initialen „SR“ für Simon Rodia sowie die Zahl 1756 – keine Jahreszahl, sondern schlicht die Adresse des Grundstücks.
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Der nur 1,50 Meter große Italiener selbst ist durch seine Arbeit zu einer unsterblichen Legende geworden – so findet sich sein Gesicht auf dem Cover des Beatles-Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ gleich neben dem von Bob Dylan. Seine Watts Towers waren schon häufig im Fernsehen zu bewundern, unter anderem in der Serie „Die Simpsons“. Die Stadt kümmert sich heute um die Instandhaltung. Laut „Discover Los Angeles“ ist das Kunstwerk jeweils Donnerstags bis Sonntags zugänglich, eine Führung kostet demnach aktuell 7 Dollar. Rodia selbst sagte einmal über die Türme: „Warum ich sie gebaut habe, kann ich gar nicht sagen – warum haben Menschen Hosen oder Schuhe erfunden?“