9. April 2019, 13:10 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Es gibt in Deutschland viele Aussichtsplattformen. Sie bieten Ausblicke über Täler und Berge, weite Felder, Flüsse, Seen und Meere. Oder eben über die Autobahn 40 bei Bochum. Richtig gelesen, dort steht eine Plattform, die vielleicht die hässlichste Aussicht Deutschlands bietet. TRAVELBOOK hat sie sich genauer angeschaut.
Bochum ist kein Ort, an den es Touristenmassen zieht. Dortmund hat immerhin noch das BVB-Stadion, Duisburg seinen Zoo, aber Bochum? Bochum hat immerhin die A40. Das ist etwas überspitzt, denn sogar Bochum hat einige hübsche Ecken. Doch dass genau an dieser Autobahn eine Aussichtsplattform steht, ist schwer zu verstehen. Und zwar aus vielerlei Gründen.
Warum steht eine Aussichtsplattform an der Autobahn?
Zunächst die offensichtliche Frage: Warum baut man eine Aussichtsplattform an einem Autobahn-Dreieck? Darauf antwortet Susanne Schlenga von Straßen.NRW, dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen, auf Nachfrage von TRAVELBOOK ausweichend: „Es bestand großes öffentliches Interesse an der Autobahn, schon bevor die Arbeiten beendet waren.“ Doch dieses Interesse kam auch daher, dass die Autobahn bis zur Inbetriebnahme des neuen Verkehrsknotenpunkt „Westkreuz“ mit der Aussichtsplattform, vor allem für viele Staus im Ruhrgebiet verantwortlich war. Ob das ein Grund ist, die Autobahn von einer Aussichtsplattform aus betrachten zu wollen?
Es wird noch skurriler: Denn sollte es tatsächlich Menschen geben, die das „Westkreuz“ wirklich betrachten wollen, könnten sie das auch von der Brücke aus der tun. Welcher Brücke? Nun die, die geschätzte zwei Meter entfernt ist und von der aus der Blick auf die Autobahn identisch, wenn nicht sogar besser ist. Davon können Sie sich im Video oben überzeugen. Auch Andrea Defeld vom Bund der Steuerzahler NRW ist entrüstet: „Es ist nicht verständlich, warum hier für so viel Geld noch zusätzlich diese Aussichtsplattform errichtet werden musste.“ Die Aussichtsplattform wurde zu rund 91 Prozent vom Bund finanziert.
Autobahn-Interessierte sollen angeblich geschützt werden
Doch der Blick von der Brücke ist angeblich riskant – schließlich ist sie Teil eines vielbefahrenen Autobahnzubringers, worauf Susanne Schlenga von Straßen.NRW hinweist. Die Frage, warum man nun ausgerechnet hier eine Aussichtsplattform braucht, noch dazu eine, die nicht ausgeschildert ist, in deren Nähe es keinen Parkplatz gibt und an der nur sehr wenige Fußgänger vorbei kommen, lässt sich nicht beantworten.
Laut Straßen.NRW sollen durch sie unter anderem Passanten geschützt werden. Wie, fragen Sie sich? Ganz einfach: Potenzielle Besucher könnten nämlich versucht sein, auf den Hügel hinter der Plattform zu klettern und dieses Risiko sei, so die Sprecherin von Straßen.NRW, dank der Plattform nun geringer. Aber: Abgesehen davon, dass vermutlich wegen der oben erwähnten Brücke nur sehr wenige Menschen überhaupt in Betracht ziehen werden, den Hügel zu erklimmen, ist genau das nun nach Ansicht von TRAVELBOOK sogar noch leichter.
Zur Erklärung zwei Szenarien, die beide den unwahrscheinlichen Fall voraussetzen, dass jemand unbedingt einen erhöhten Blick auf das Westkreuz braucht und die Brücke ignoriert.
Situation 1: Ein Fußgänger läuft an dem Hügel vorbei und will ihn erklimmen. Dank der Treppe hoch zur Aussichtsplattform erspart er sich, einen großen Teil des Hügels zu erklettern, es wird ihm also erleichtert, auf den Hügel zu gelangen. Situation 2: Ein Fußgänger steigt auf die Aussichtsplattform. Oben angelangt möchte er vielleicht einen noch besseren Blick haben. Nun kann er ganz mühelos über das Geländer der Plattform steigen. So oder so: hier wurde mehr geholfen als abgehalten.
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Kosten für die Plattform: 58.000 Euro
Besonders gefährdet wären vermutlich Fotografen – denn diese gehören angeblich zu den großen Fans der neuen Aussichtsplattform, so Straßen.NRW. Susanne Schlenga erklärt: „Auf der Plattform kann man mit Langzeitbelichtung arbeiten. Das geht auf der Brücke zum Beispiel nicht, weil sich das Bauwerk dort zu sehr bewegt“.
Es gibt nur zwei Probleme: Erstens gibt es die, zugegebenermaßen schönen Fotos von der A40, auch aus anderen Städten, wie etwa Essen. Zum anderen ist es, so Andrea Defeld vom Bund der Steuerzahler NRW, „ganz bestimmt nicht Aufgabe der Steuerzahler, hier eine Plattform für Fotografen zu errichten.“
Und mal ehrlich: Wäre ein Foto von der A40, so hübsch es auch sein mag, 58.000 Euro Wert? So viel hat das Bauwerk die Steuerzahler nämlich gekostet.
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TRAVELBOOK war vor Ort und findet: nein. Wie trist – und vor allem laut – es an der Aussichtsplattform wirklich ist, sehen Sie oben im Video.