28. Juli 2023, 17:40 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Geprägt von katholischer, orthodoxer und muslimischer Kultur, ist Mostar die wohl vielseitigste Stadt in Bosnien. Und auch abseits von der berühmten Alten Brücke und der Altstadt, die beide zum Unesco-Welterbe gehören, gibt es hier viel Sehenswertes. Unserem Autor Robin Hartmann fiel es dennoch zunächst schwer, Mostar zu mögen. Doch das änderte sich dank einer magischen Nacht.
Mit Sicherheit ging es Ihnen auch schon einmal so: Sie kamen mit hohen Erwartungen in eine Stadt, hatten vielleicht Tolles über sie gelesen und viele schöne Bilder gesehen. Und dann, schon kurz nach der Ankunft, ging Ihnen folgender Gedanke durch den Kopf: Nichts wie weg hier! Warum überhaupt der ganze Hype um diese hoffnungslos überlaufene Touristenfalle? Diese Gefühle bewegten mich zunächst, als ich auf meiner einwöchigen Bosnien-Reise in Mostar ankam. Doch rückblickend bin ich sehr froh, dass ich nicht meinem ersten Impuls gefolgt bin, einfach weiterzufahren und die Stadt links liegenzulassen. Ich hätte ansonsten einen der schönsten und vielseitigsten Orte des ganzen Landes verpasst.
Eingebettet zwischen hohen Bergen im Tal des Neretva-Flusses begeistert Mostar zunächst einmal allein schon durch seine spektakuläre Lage. Der ziemlich reißende, türkisgrüne Strom durchzieht die Stadt und fließt auch unter ihrer wohl größten Attraktion hindurch, der Alten Brücke (Stari Most). Vom Busbahnhof, wo auch die Züge nach Sarajevo abfahren, sind es nur ein paar Gehminuten in die historische, auch heute noch sichtbar von muslimischen Einflüssen geprägte Altstadt. Die Minarette von zahlreichen Moscheen überragen das Stadtbild wie archaische Stalagmiten, und mehrmals am Tag ruft der Muezzin die Gläubigen von hier aus zum Gebet auf. Keine Frage, Mostar könnte jederzeit als glaubhafte Kulisse eines Mittelalter- oder Fantasy-Films dienen.
Der größte Touristenmagnet in Bosnien
Hauptverantwortlich dafür ist die eben bereits erwähnte Altstadt, die genau wie die Stari Most seit 2005 von der Unesco als Welterbe anerkannt ist. Die verwinkelten Gässchen, in denen man sich wunderbar verlaufen kann, scheinen auf Schritt und Tritt Geschichten aus der Vergangenheit dieser fast 600 Jahre alten Stadt zu erzählen. Das herrliche Kopfsteinpflaster, an manchen Stellen noch akzentuiert durch kunstvolle Mosaik-Muster, ist durch die zahllosen Füße, die es seit Jahrhunderten beschreiten, derart blank gescheuert, dass man an einigen Stellen richtig aufpassen muss, nicht auszurutschen. Auf der Brücke befinden sich genau aus diesem Grund auch steinerne Querstreben, damit Besucher den einmaligen Ausblick unbeschwert genießen können.
Und diese Besucher gibt es hier wirklich im absoluten Übermaß, Mostar ist ohne Zweifel der größte Touristenmagnet in ganz Bosnien. Ich gebe offen zu, dass dieser Umstand bei mir zunächst einmal für erhebliche Missstimmung sorgte, nachdem ich zuvor in anderen Orten mitunter das Gefühl hatte, ich wäre quasi Kolumbus und der Entdecker dieses Landes. Was sich da an einem normalen Tag für eine unglaubliche Masse an Menschen durch die schmalen Altstadt-Korridore wälzt, kann mitunter schon beklemmend wirken. Einen eigenen Schritt zu finden, ist so gut wie unmöglich, das Tempo bestimmt allein die Herde. Und die zahllosen Läden mit beliebig austauschbarem Souvenir-Ramsch und im Landesvergleich hoffnungslos überteuerten Restaurants sorgen dafür, dass sich dieses ungefähr an der Geschwindigkeit eines kalbenden Eisbergs orientiert.
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Die schönsten Sonnenuntergänge
Zudem hat man in Mostar mitunter das Gefühl, dass wir längst schon tatsächlich in einer virtuellen Realität leben. Wo man auch hinsieht, kleben Menschen wie hypnotisiert an ihren Handy-Bildschirmen, immer auf der Jagd nach dem nächsten Motiv für ihre Social Feeds. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, sich eben jenes Motiv frei zu drängeln und auf Mauern zu klettern – man könnte bestimmt gutes Geld damit verdienen, von der Alten Brücke gefallene Smartphones aus dem Wasser der Neretva zu bergen. Wer sich diesen Trubel zumindest tagsüber nicht antun möchte, kann ans Flussufer unterhalb der Stari Most flüchten. Von dort aus hat man den besten Blick auf die Attraktion, zumal, wenn die Mitglieder des Mostar Diving Club sich von hier aus todesmutig 25 Meter in die Tiefe stürzen.
Dieses Spektakel lassen sie sich allerdings auch fürstlich entlohnen. Ich hatte nicht die Gelegenheit, sie bei ihren Sprüngen zu sehen, denn an diesem Tag wollten die Touristen ihnen offenbar nicht genug bezahlen. In Blogs liest man aber, dass ein einzelner Sprung hier schon gut und gerne mal 150 Euro einbringen kann. Eine andere Goldmine sind die kleinen Schlauchboote, die Touristen für umgerechnet fünf Euro zehn Minuten lang über den Fluss fahren. Rechnet man fünf Gäste pro Boot und sechs Touren pro Stunde, können die Betreiber hier an einem zehnstündigen Arbeitstag auf Einnahmen von etwa 1500 Euro kommen. Wer sich von diesem Spektakel nicht stören lässt, kann von dem Steinstrand aus die zweifellos besten Blicke auf die Altstadt und den Sonnenuntergang genießen.
Je näher der Brücke, desto teurer
Im Übrigen ist die Alte Brücke in der Tat ein Neubau. Denn das Original wurde während des Bosnien-Krieges 1993 von kroatischen Soldaten zerstört. Mithilfe internationaler Hilfsgelder konnte sie im Juli 2004 wieder eröffnen. Bis heute ist Mostar unterteilt in eine bosnische und eine kroatische Seite, und der Hass zwischen beiden Bevölkerungsgruppen ist leider immer noch groß, wie mir einige Einheimische verrieten. Die Brücke jedoch verbindet beide Seiten zwangsläufig als eine der größten Touristenattraktionen des Landes. Es müssen mehrere tausend Menschen sein, die sie heute pro Tag überqueren. Und das bei Temperaturen, die im Sommer problemlos 40 Grad erreichen können. Mostar gilt als die heißeste Stadt Bosniens. Wer dennoch die Geduld aufbringt, wird irgendwann mit fortschreitender Stunde ein völlig anderes, magisches Mostar erleben dürfen.
Der Strom der Massen hatte bereits spürbar nachgelassen, als ich in das etwas abseits der Altstadt gelegene Restaurant „Behar 2“ flüchtete. In Mostar scheint man die Preise in den Lokalen nach ihrer Lage zu bestimmen. Je näher an der Alten Brücke, desto teurer, so könnte wohl eine ungeschriebene Faustregel lauten. Das Niveau kann hier durchaus das einer gehobenen deutschen Gaststätte erreichen, was im Rest des Landes völlig undenkbar wäre. Nicht so im „Behar 2“, hier bekam ich authentische Küche aus der Herzegowina-Region für einen schmalen Taler. Dazu noch ein gutes Gespräch mit Inhaber Mirsat und seinem Sohn. Von irgendwo ganz nah schallte gute Live-Musik. Das gedämpfte Licht der Laternen verwandelte die Gassen in romantische Gemälde wie von van Gogh.
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Eine magische Nacht
Vor einer der zahlreichen Bars, die um diese Stunde auf Nachtschwärmer hoffen, fand ich dann die Quelle der Live-Musik. Ein Typ, der eher aussah wie ein Bodybuilder, spielte virtuos seine Gitarre. Dazu sang eine glückselige Masse, die fast nur aus Einheimischen zu bestehen schien, alle seine Lieder lautstark mit. Die Stimmung steigerte sich mit jedem Song. Und obwohl ich den Text nicht verstand, trafen die Melodien direkt in mein Herz. Nehmen Sie dazu den Umstand, dass um kurz vor Mitternacht bestimmt noch 25 Grad herrschten. Schon haben Sie ein paar gute Zutaten für einen unvergesslichen Abend.
Zu dieser Zeit waren die Sträßchen der Altstadt nahezu menschenleer. Und so konnte ich mich endlich so richtig auf die wunderbare Architektur und die Magie von Mostar einlassen. Es gab sogar einen Moment weit nach null Uhr, als ich kurz ganz alleine auf der Stari Most stand – und von hier aus wiederum Live-Musik hörte. Den Klängen folgend, landete ich in der Rocker-Kneipe „Night Bar Duradzik“, die täglich bis 3 Uhr geöffnet hat. Eine Band spielte in dem kleinen Raum, in dem man durch die dichten Nebel-Schwaden der Raucher kaum etwas sehen konnte. Draußen in einem weitläufigen Patio saßen schöne Menschen an Tischen und genossen einfach das Leben. Und ich hatte das Glück, für einen Abend dabei sein zu dürfen.
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Am nächsten Tag fuhr ich dann mit einem Linienbus ins Umland nach Blagaj. Für mich persönlich hatte ein Nachmittag in der Altstadt von Mostar gereicht, um meine Neugier auf die Stadt zu befriedigen. Ich traf aber auch Touristen, die für fünf Nächte geblieben waren und hinterher immer noch schwärmten. In dem Vorort jedenfalls, erreichbar mit den Stadtlinien 10 und 12, liegt mit dem alten Kloster Blagaj Tekija eine weitere Sehenswürdigkeit. Gegründet im 15. Jahrhundert, ist das Gebäude direkt in den Felsen einer Steilwand gehauen, und wurde noch bis 1923 von Mönchen bewohnt. Wie aus der Zeit gefallen wirkt das kleine Gebäude, in dem sich bis heute noch mehrmals die Woche Anhänger des Derwisch-Kultes zum Gebet zusammen finden.
Für umgerechnet fünf Euro darf man das Kloster besuchen. Doch auch hier setzt sich die Tragik des Massentourismus aus Mostar nahtlos fort. Laut Aussage von Amira, die sich mit Führungen das Geld für ihr Studium verdient, besuchen pro Tag bis zu 1000 Menschen den heiligen Ort. Für andachtsvolle Gefühle bleibt jedenfalls kein Raum. Zumal die Gegend direkt um das Kloster durch zahllose Restaurants und Souvenir-Buden in eine Art Jahrmarkt verwandelt wurde. Direkt an der Quelle des Buna-Flusses gelegen, der aus einer Höhle entspringt, buhlen sie mit dem Kloster um die Aufmerksamkeit der zahlungskräftigen Gäste.
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Abschließend lässt sich trotzdem sagen: Ich bin sehr dankbar, dass ich Mostar und das Umland erkunden konnte. Der Aufenthalt hier hat mir wieder einmal vor Augen geführt, worauf es (zumindest mir) beim Reisen ankommt. Sich die Fähigkeit zu erhalten, unvoreingenommen eine Stadt zu entdecken. Und wenn das schon nicht funktioniert, bereit zu sein, den eigenen ersten Eindruck zu hinterfragen. Man beraubt sich selbst einer Menge möglicher Entdeckungen, wenn man nur sieht, wofür man gekommen ist. Ich werde Mostar für immer dankbar sein, dass mich die Stadt wieder an diese essenzielle Grundlektion erinnerte. Und mir nach einem schweren Start eine wahrhaft magische Zeit beschert hat.