24. August 2024, 14:32 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Im Süden Frankreichs spannt sich mit dem Millau-Viadukt die höchste Brücke der Welt spektakulär über ein Tal. Ein Bau der wahren Superlative, der fast 20 Jahre Planung benötigte, sein eigenes Besucherzentrum hat – und sogar vom Weltraum aus zu sehen ist. Seit ihrer Eröffnung hat die Mega-Konstruktion nicht nur den Verkehr in der Region revolutioniert, sondern auch die Kleinstadt Millau zu einer Touristenattraktion gemacht.
Wenn die Bewohner der französischen Kleinstadt Millau ein Wunder erblicken wollen, dann brauchen Sie nur in den Himmel über ihnen zu schauen. Egal wann, an jedem beliebigen Tag, und das seit mittlerweile 20 Jahren. Denn 2004 war es, als, unweit ihrer Heimat, die heute als Millau-Viadukt bekannte höchste Brücke der Welt eröffnete. Sie hat aus einem Ort, den Autofahrer vorher, wenn möglich, um jeden Preis meiden wollten, eine der größten Touristenattraktionen der gesamten Region gemacht. Und quasi nebenbei das lokale wie auch landesweite Verkehrswesen völlig revolutioniert.
Allein schon die nackten Fakten um das Millau-Viadukt sind absolut atemberaubend. Laut „CNN“ spannt sie sich in einer Höhe von schwindelerregenden 336,4 Meter über das malerische Tal des Tarn-Flusses, wobei sie fast zweieinhalb Kilometer in der Länge misst. 2460 Meter, um ganz genau zu sein. Um dieses Denkmal der modernen Architektur, das man sogar vom Weltraum aus sehen kann, zu errichten, verbauten 600 Arbeiter über den Zeitraum von drei Jahren insgesamt 290.000 Tonnen Stahl und Beton. Die Brücke wird getragen von insgesamt sieben Pfeilern, die in ihrer Höhe zwischen 78 Metern und 245 Metern changieren.
Das Gewicht von 5100 Elefanten
Diese sind jeweils in einem Abstand von 342 Meter aufgestellt. Das heißt, der Eiffelturm von Paris (330 Meter hoch) würde im Liegen locker in eine solche Lücke hineinpassen. Die Asphaltdecke, über die täglich unzählige Autos fahren, ist mehr als vier Meter dick und wiegt allein 36.000 Tonnen. Das entspricht dem Gewicht von rund 5100 ausgewachsenen Afrikanischen Elefanten. Das Millau-Viadukt ist mittlerweile so berühmt, dass es sogar sein eigenes Besucherzentrum hat. Sie ist das sprichwörtliche Highlight auf der Strecke der A75 von Clermont-Ferrand nach Béziers. Und hat damit die gleichnamige Stadt überhaupt erst auf die Landkarte von Reisenden gesetzt.
Planungen, um den Verkehr in der Region zu verbessern, gab es bereits seit den1980er Jahren. Der damalige Präsident Valerie Giscard d’Estaing beschloss damals, die A75 bauen zu lassen, über die man vom Norden des Landes bequemer in den Süden gelangen sollte, oder eben umgekehrt. Millau liegt inmitten des sogenannten Massif Central, einer rauen Hochland-Region voller tiefer Täler und Schluchten, und war damals verkehrstechnisch kaum nennenswert angebunden. Und nicht nur das: Ganz Zentralfrankreich litt zu dieser Zeit unter dem schlechten Zustand der Straßen, die eine ökonomische Entwicklung sprichwörtlich ausbremsten. Das Millau-Viadukt sollte das alles ändern.
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Verhasster Ort
Laut dem Architekten Lord Norman Foster, der die Brücke mitverantwortlich baute, war Millau damals ein „Ort von extremer Schönheit, aber Frankreichs schlimmster Flaschenhals“. Damit meint er, dass die Straße durch die Stadt aufgrund ihres unzureichenden Zustandes jeden Tag von bis zu 20 Kilometer langen Staus verstopft war. Dies und die damit einhergehende Verschmutzung der Luft schränkten die Lebensqualität erheblich ein. Zudem war der Ort wegen der fatalen Konditionen bei Autofahrern berüchtigt, ja richtiggehend verhasst. Bis das Team um Foster 1987 schließlich mit der Planung des Millau-Viadukts begann.
Das raue Terrain der Region erschwerte die Suche nach einer geeigneten architektonischen Lösung zu Anfang allerdings erheblich. Fast drei Jahre dauerte es, bis man sich für den Bau einer Brücke neben der Stadt entschied. Foster arbeitete mit Geologen, Geotechnologen, Straßenbauern und seinem kongenialen Partner Michel Virgoleux fieberhaft für seine Vision des Millau-Viadukts. Nachdem ihnen einmal die Idee gekommen war, ihre Brücke über die Stadt und das Tal hinweg zu führen, dauerten die ersten Entwürfe dann nur noch wenige Tage. Und eine kühne Vision begann, langsam Realität zu werden.
Blindes Vertrauen
Erst 1996 erhielt das Team aber auch offiziell den Auftrag, das Millau-Viadukt zu bauen. Damals startete der französische Staat eine entsprechende Ausschreibung. Von Anfang an war es der Wunsch der Architekten, eine Brücke zu bauen, die die Schönheit des Tarn-Tales nicht zerstören, sondern gewissermaßen ergänzen würde. Dabei hatten sie zunächst einmal die Bewohner von Millau und der Region gegen sich, die sich um ihre einmalig schöne Natur sorgten. Zudem gab es beim eigentlichen Bau viele Dinge zu beachten. Wie konnte man eine so hohe Brücke errichten, die dennoch den Elementen trotzen würde?
Besonders die Verlegung der Straße über das Millau-Viadukt stellte das Team ob der kritischen Windverhältnisse vor massive Herausforderungen. Sie wurde schließlich in verschiedenen Abschnitten zusammengesetzt, von denen jeder bis zu drei Tage dauern konnte. Das hieß natürlich, sofern der Wetterbericht gute Aussichten verhieß, um überhaupt bauen zu können. Und auch heute haben die Elemente massiven Einfluss auf die höchste Brücke der Welt. Je nach Konditionen kann sie sich um bis zu 50 Zentimeter ausdehnen oder zusammenziehen. Die Architekten arbeiteten seit dem Baubeginn im Jahr 2001 quasi blind, mussten bei jedem Schritt auf ihr Material und ihre Expertise vertrauen.
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40.000 Tonnen CO2 pro Jahr
Im Dezember 2004 dann weihte der damalige Präsident Jacques Chirac das Millau-Viadukt feierlich ein. Schon von Beginn an zog der Superlativ der höchsten Brücke der Welt Besucher in Scharen an. So kamen allein im ersten Jahr jedes Wochenende 10.000 Autos nach Millau und in die Region, um das architektonische Wunder zu bestaunen. Dank der Brücke war die Fahrt vom Norden von Frankreich in den Süden oder umgekehrt plötzlich ein Leichtes, und damit quasi das gesamte Verkehrswesen revolutioniert. Millau ist seitdem ein Ort, an dem Touristen gerne auch länger halten.
Warum auch nicht, war der Ort doch bereits zu Römerzeiten für sein Töpferhandwerk berühmt. Überaus beliebt sind auch Bootstouren auf dem Tarn-Fluss unter der höchsten Brücke der Welt hindurch. Jedes Jahr werden durch das Millau-Viadukt unglaubliche 40.000 Tonnen CO2 allein aus dem Schwertransport eingespart. Das entspricht derselben Menge, die 40.000 Bäume über einen Zeitraum von 40 Jahren binden könnten. Und so ist die Brücke auch fast 20 Jahre nach ihrer Eröffnung noch ein architektonisches Wunder, dass eine ganze Region nachhaltig zum Guten verändert hat. Über welches andere Bauprojekt könnte man das schon mit guten Gewissen sagen?