17. September 2014, 11:00 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Italien hat sein Pompeij, Polen sein Biskupin: In einem einzigartigen Freilichtmuseum können Besucher hautnah erleben, wie Menschen vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Dafür wurde unter anderem Langhaus aus der Jungsteinzeit rekonstruiert. Wer möchte, kann auch probieren, wie damals der Getreidebrei geschmeckt haben muss.
Auf dem Parkplatz steht schon am Vormittag ein Auto neben dem anderen. Jugendliche, Paare, vor allem Familien, oft mit kleinen Kindern, strömen in Richtung Palisadenzaun. „Archäologisches Museum“ steht über dem Eingang. Wer zum ersten Mal hierherkommt, wundert sich über den Andrang: ein archäologisches Museum als Familienausflugsziel? Hier in Biskupin, rund 50 Kilometer südlich von Bydgoszcz (Bromberg), ist eben vieles etwas anders.
Das Museumsdorf ist eines der größten, ältesten und beliebtesten in Polen. Und eines mit einer ungewöhnlichen Geschichte. Zum Museum gehört ein modernes Besucherzentrum mit einer sehenswerten Ausstellung zur Geschichte der Menschen, die hier in der Jungsteinzeit, der Bronzezeit und in der Eisenzeit gelebt haben.
Aber es gibt nicht nur Vitrinen mit prähistorischen Ausstellungsstücken vom Steinbeil bis zu Urnenbechern. Denn Archäologen haben in Biskupin nicht nur viel ausgegraben, sondern auch viel ausprobiert, um herauszufinden, wie die Menschen vor Tausenden von Jahren wohl gelebt haben könnten. Und so findet sich hinter einem rekonstruierten Langhaus aus der Jungsteinzeit auch eine Kochstelle, an der eine junge Frau in bodenlangem Gewand mit Fellbesatz in einem Tontopf über dem Feuer rührt und Getreidebrei kocht. Man kann an vielen Stellen zugucken, anfassen, mitmachen.
Angefangen hatte alles mit einem Bummel am Biskupiner See: Im Sommer 1933 stieß der junge Lehrer Walenty Szwajcer auf merkwürdige Holzpfosten, die aus dem Wasser ragten. Die benachrichtigten Archäologen begannen bald mit Ausgrabungen. Und was dabei zutage kam, begeisterte die Wissenschaft und auch die Öffentlichkeit.
Die Entdeckung galt als Sensation: eine riesengroße rund 2700 Jahre alte Burganlage aus der frühen Eisenzeit. Die Archäologen legten eine Fläche von 2 Hektar frei. Das gesamte Gelände des Freilichtmuseums ist heute 24 Hektar groß. Biskupin wurde bald das „Pompeji Polens“ genannt, nach der antiken Stadt nahe Neapel, die beim Ausbruch des Vesuvs zerstört und erst viele Jahrhunderte später wieder entdeckt wurde.
Ursprünglich war die Anlage am Biskupiner See in der heutigen Wojwodschaft Kujawien-Pommern von einem mehr als 450 Meter langen und 6 Meter hohen Schutzwall umgeben. Er bestand nicht einfach aus Holzpalisaden, es war ein ausgeklügeltes mehrreihiges Abwehrsystem. Die Burganlage war von Wasser umgeben und so ideal geschützt.
In der Eisenzeit gab es nur einen einzigen Zugang: Wer in die Burg wollte, musste auf einem Holzsteg durch das 9 Meter hohe Tor gehen – oder es über den Wall schaffen, was schwierig gewesen sein dürfte. Der Schutzwall ist rekonstruiert worden, und auch das Tor, das an ein Westernfort erinnert, steht wieder.
Die Siedlung dahinter muss in ihrer Zeit einzigartig gewesen sein: Bis zu 1000 Menschen haben dort gleichzeitig gelebt, in großen Häusern, die im Prinzip alle den gleichen Grundriss und eine Fläche von 70 bis 90 Quadratmetern hatten. Die Holzhäuser standen parallel zueinander, die Wege dazwischen waren mit Bohlen ausgelegt.
In den rekonstruierten Häusern der Eisenzeit dürfen sich die Besucher der Neuzeit ausgiebig umschauen, auch wenn es oft etwas dunkel ist – Beleuchtung war damals noch ein Problem. In vielen Häusern gibt es trotzdem regelmäßig Vorführungen, etwa dazu, welche Kleidung Menschen der Eisenzeit trugen und wie sie hergestellt wurde. In einem der anderen Häuser wird getöpfert, im Nachbarhaus Schmuck hergestellt.
Viele Besucher kommen allerdings nicht nur wegen des Geschichtsunterrichts der etwas anderen Art. Das Archäologische Museum ist auch deshalb so beliebt, weil das Freizeitangebot den Interessen von Kindern und Jugendlichen entgegenkommt, die nicht Historiker werden wollen: Sie amüsieren sich auf Picknickplätzen, bei Schachspielen, bei Ausritten auf dem Gelände oder beim Bogenschießen.
Eine Attraktion sind auch die Vorführungen im frühmittelalterlichen Dorf, der letzten Siedlung in Biskupin: Dort schwingt der Schmied den Hammer und ein Bäcker zeigt, wie Brot gebacken wird. im Dienste der Wissenschaft – und natürlich zum Vergnügen der Besucher.
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