29. September 2019, 10:34 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Jedes Mal wenn TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel das Park Inn in Berlin sieht, muss sie grinsen. Es ist sechs Jahre her, dass sie dort heruntergefallen ist – freiwillig und am Seil. Base Flying nennt sich das. Für uns hat sie aufgeschrieben, wie sich das angefühlt hat und warum sie es wieder machen würde.
Wissen Sie, wie hoch 125 Meter sind? Ich wusste es nicht und als ich in genau dieser Höhe stand dachte ich nur: 125 Meter sind hoch. So hoch, dass eigentlich egal ist, wie hoch genau. So hoch, dass die Menschen, die da unten über den Alexanderplatz wuseln, aussehen wie lebendig gewordene Playmobilfiguren. So hoch, dass der Fernsehturm vor mir gar nicht mehr so groß aussieht. So hoch, dass einige Menschen ganz schön traurig wären, wenn dieses lächerliche Seil reißen würde, das mir da gerade mit einem einzelnen Karabiner an den unvorteilhaft quetschenden Bein-Bauch-Hals-Gurt geschnallt wird. Na gut, da ist noch irgendein anderes Seil, aber das spüre ich nicht.
Fürs Foto über dem Abgrund
Angegurtet, festgezurrt und mit Karabinern gesichert stehe ich also auf der Plattform, die in der Luft vorm Park Inn hängt und halte mich brav am Geländer fest. „Wir kippen dich jetzt langsam nach vorn”, höre ich den Gurtmensch sagen. „Äh, nee, vielleicht doch nicht!“, denke ich und wimmere klammheimlich ein bisschen in mich hinein. Ich höre das Klicken einer Kamera. Achja, Arbeit. Ich bin ja nicht zum Spaß hier. Sollte mich vielleicht zusammenreißen. Springen tu ich ja eh, vielleicht schaffe ich es ja, mich dabei nicht zu übergeben. Sähe auch doof aus auf den Fotos. Und die Leute da unten täten mir mehr als leid.
Also zusammenreißen. Lächeln. Klappt nicht so gut. Mein Gesicht zur Panikfratze verzogen kriege ich nur am Rande mit, wie meine Füße vom Boden abheben. Ich schwebe. Für einen Moment noch über der Plattform. Dann ruckelt es an meinem Rücken und ich schaue in die Luft unter mir. Irgendwo ganz weit unten ist der graue Betonplatz, genannt Alexanderplatz. „Schau mal zu mir”, höre ich die Fotografin sagen. Sie schiebt mich noch ein Stück in die richtige Pose. Ich möchte sie gern hauen. Und vor allem möchte ich hier nicht mehr rumhängen. Warten fand ich noch nie sonderlich attraktiv. Aber darauf zu warten, dass sie ein Foto macht, während ich hier quasi in Todesangst rumbaumel, ist nochmal weniger witzig als auf Essen bei Hunger oder die U-Bahn im Winter. Irgendwann hat sie genug Fotos gemacht.
Knapp 100 Meter freier Fall
Und plötzlich ist auch das letzte Seil weg. Und ich falle. Und falle. Und falle weiter. Ich glaube, ich werde schneller. 98 Meter im fast freien Fall. Gebäude sausen um mich herum und an mir vorbei. Die Luft ist laut. Ein komisches Glücksgefühl breitet sich in mir aus. Mein ganzer Körper grinst. Ich glaube, so fühlt sich Freiheit an. So richtige Freiheit, also quasi Schwerelosigkeit. ”And I’m freeee. Free fallin’” singt es kurz in meinem Kopf, gefolgt von ”I believe I can fly”.
Ein Rucken geht durch meinen Rücken, zuckt durch meine Schultern, meinen Bauch, beide Beine. Das Seil ist wieder da. Schlagartig werde ich langsamer. Schwebe noch einen kurzen Moment zur unteren Plattform. Komme mit den Füßen auf und habe keine Ahnung, wie sie funktionieren. Die Beine wollen jetzt nicht laufen. Der Körper fühlt sich an, wie im Ersatzteillager zusammengesetzt. Ungeölt und eigentlich auch vollkommen überflüssig. Zwei Frauen stehen plötzlich neben mir. Während eine mich festhält, nimmt mir die andere das Seil ab. Ich kriege das Prozedere nur im Delirium mit. Plötzlich ist da ein anderes Gefühl. Adrenalin flutet meinen Körper. Das Grinsen wird größer, die Kraft ist wieder da. „Darf ich nochmal?“, höre ich mich fragen und gleichzeitig einen Schrei, der von oben kommt. Da fällt einer. Mein Kollege ist direkt nach mir geflogen. Vielleicht sollte ich jetzt mal aus dem Weg gehen.
Auch interessant: Ich habe die höchste Schaukel der Welt ausprobiert – und so fühlte es sich an
Nevis Swing in Neuseeland Ich habe die höchste Schaukel der Welt ausprobiert – und so fühlte es sich an
Trendsport Ziplining Drahtseilakt in Costa Ricas Regenwald
Preise, Anreise, Tipps USA oder Kanada – von welcher Seite sollte ich mir die Niagarafälle angucken?
Base Flying am Park Inn: Die Fakten
Das Base Flying wird von Jochen Schweizer betrieben. Zwischen Mai und Oktober können Menschen ab 16 (bis 18 mit Einverständniserklärung der Eltern) freitags, samstags und sonntags vom Park Inn in Berlin fliegen. Mit Einweisung und Co. dauert das Ganze etwa eine Stunde. Die tatsächliche Fallhöhe sind 98 Meter. Wer am Seil vom Park Inn fallen will, zahlt je nach Tageszeit rund 70 oder 80 Euro.