17. Juli 2024, 10:09 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Tote verwesen in der Regel. Doch es gibt Ausnahmen, bei denen die Leichen der Nachwelt sogar ganz ohne künstliche Mumifizierungsprozesse erhalten bleiben. Der Ritter von Kalebuz ist nicht nur eine dieser Ausnahmen, sondern Deutschlands wohl berühmteste Grusel-Mumie, die noch immer Rätsel aufgibt. Nun haben Forscher den Leichnam nochmals eingehend untersucht – und gleich zwei kuriose Entdeckungen gemacht.
Nach mehr als 300 Jahren ist Ritter Kalebuz noch immer nicht zu Staub verfallen. Er liegt noch heute an dem Ort, an dem er lebte und starb: in Kampehl, im heutigen Landkreis Ostprignitz-Ruppin in Brandenburg, nordwestlich von Berlin. Aufgebahrt in der Kalebuz-Gruft der Dorfkirche, ist sein mumifizierter Leichnam eine Touristenattraktion. Denn der Ritter gilt als Deutschlands bekannteste und besterhaltene Trockenmumie. Wie die „Berliner Zeitung“ berichtet, hat kürzlich ein Team aus Ärzten und Forschern den Leichnam mittels Computertomographie (CT) durchleuchtet und dabei faszinierende Funde gemacht.
Bei der im Universitätsklinikum in Neuruppin (Brandenburg) durchgeführten CT-Untersuchung der Mumie machten die Experten demnach eine erstaunliche Entdeckung: In der Brusthöhle steckte ein Bleistift. Laut Andreas Winkelmann, Professor für Anatomie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB), handelt es sich um einen gebrauchten Bleistift, der vermutlich zwischen 1900 und 1920 hergestellt wurde. Die Mumie habe eine größere Öffnung im Brustkorb, die wahrscheinlich auf eine Gewebeentnahme im Jahr 1895 durch den Mediziner Rudolf Virchow zurückzuführen sei. Durch diesen Defekt konnte der Bleistift in den Körper gelangen. „Dies reiht sich in bekannte Geschichten über den einen oder anderen Schabernack ein, der mit der Mumie in früheren Jahrhunderten getrieben wurde“, zitiert die „Berliner Zeitung“ Winkelmann.
Und noch etwas haben die CT-Aufnahmen zutage gebracht. So fanden die Experten in der Mundhöhle der Mumie einen rundlichen Metallgegenstand, vermutlich eine Münze oder ein Amulett. „Da der Mund der Mumie zu eng geschlossen ist, kann man diesen Gegenstand nur durch einen Schnitt ins Gewebe bergen – ob man das dem Ritter antut oder ihm dieses Geheimnis lässt, wird der zuständige Gemeindekirchenrat noch entscheiden“, erklärte Winkelmann. Womöglich sei das Fundstück dem Leichnam einst mitgegeben worden.
Die Rätsel um die Mumie des Ritter Kalebuz
Um die Brandenburger Mumie ranken sich seit jeher zahlreiche Mythen und Gerüchte, vor allem um ihren guten Zustand. So sollen etwa Haare sowie Fingernägel noch immer wachsen und die Strafe Gottes wegen eines Meineids von Kalebuz der Grund sein, warum der Ritter nicht verweste. TRAVELBOOK hat darüber mit Dorit Geu, der Sekretärin des Evangelischen Pfarramts Neustadt (Dosse) gesprochen, zu dessen Kirchenkreis auch die Feldsteinkirche von Kampehl gehört. Sie führt seit 25 Jahren Besucher durch die Kalebuz-Gruft.
Wer war Ritter Kalebuz?
Christian Friedrich von Kalebuz lebte von 1651 bis 1702. Auch, wenn es weitere Schreibweisen gibt (Kahlebutz und Kahlbutz), „gilt, Kalebuz‘ gemäß Kirchenbucheintrag als richtig“, erklärt Dorit Geu. Genau genommen war Kalebuz gar kein Ritter, sondern Kornett, also niedriger Offizier. Laut „National Geographic“ ist die Bezeichnung „Ritter“ als Zugehörigkeit zur märkischen Ritterschaft und damit zum niederen Adel zu verstehen.
Kornett Christian Friedrich von Kalebuz kämpfte in der Schlacht von Fehrbellin 1675, bei der die Preußen die schwedischen Truppen vernichtend geschlagen haben: ein unerwarteter Ausgang für die damalige Großmacht Schweden. An der Seite des Prinzen von Hessen-Homburg hat es Kalebuz zu Siegesruhm gebracht. Die Kanonen-Kugeln in seinem Sarg zeugen noch heute von der Schlacht.
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War Kalebuz ein grausamer Gutsherr?
Ritter Kalebuz soll aber auch ein grausamer Herrscher über seine Domäne gewesen sein. „Kalebuz war ein Despot und Vergewaltiger“, so Mary Weingart, eine weitere der Gästeführerinnen in der Gruft, gegenüber dem „Kyritzer Tageblatt“ im Februar 2022. Und auch Dorit Geu gibt Einblicke in die allem Anschein nach finstere Vergangenheit des „Edelmannes“.
Laut dem „Ius primae noctis“, dem abscheulichen „Recht der ersten Nacht“, hätten Gutsherren das Recht gehabt, mit jeder Neuvermählten der Domäne die erste Nacht zu verbringen. Dieses Recht war zwar nie in Brandenburg verbrieft, aber man hat Kalebuz nachgesagt, es dennoch in Anspruch genommen und seine Mägde somit zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. So soll er außer seinen elf ehelichen Kindern, die er in zwanzig Jahren mit seiner Ehefrau, der adeligen Margarete Sophie von Rohr zeugte, noch mehr als dreißig uneheliche Nachkommen gezeugt haben.
Die Sage vom Meineid des Ritters
Eine Magd seines Gutes, Maria Leppin, deren Hochzeit mit dem Schäfer des Nachbardorfes kurz bevorstand, verweigerte ihm der Überlieferung nach dieses Recht. Daher soll Kalebuz den Schäfer umgebracht haben, woraufhin die Marie Leppin den Gutsherren anklagte. Beim Gerichtsprozess soll Kalebuz folgenden Eid geschworen haben: „Wenn ich der Mörder bin gewesen, dann wolle Gott, soll mein Leichnam nie verwesen.“ Dorit Geu betont jedoch, dass es für diesen Eid keine Belege gibt und der Satz nur mündlich überliefert ist. Und natürlich war nicht der Meineid der Grund für die Mumifizierung. Was aber dann?
Die Mumifizierung ist kein Wunder, aber ein Phänomen
Als man 1794 die Gruft von Kampehl renovieren und die drei sich darin befindlichen Särge erdbestatten wollte – in den anderen beiden lagen die Söhne von Kalebuz –, stellte man fest, dass die Leiche des Gutsherren nicht verwest war. Viele Wissenschaftler haben sich seither mit dem Phänomen beschäftigt.
Auf der offiziellen Ritter-Kalebuz-Webseite des Evangelischen Pfarramts Neustadt (Dosse) heißt es, dass selbst „renommierte Mediziner wie Strauch, Sauerbruch und Virchow die Mumifizierung nicht erklären konnten.“ Dr. Andreas Ströbl, der Leiter der Forschungsstelle Gruft in Lübeck, bezeichnet Ritter Kalebuz laut WELT dagegen als „ganz normale Trockenmumie“. Dazu erklärt Dorit Geu, dass „normale Trockenmumien“ jedoch meistens mit Absicht mumifiziert wurden, die natürliche Mumifizierung von Kalebuz hingegen Zufall war. Die Untersuchung der Mediziner Strauch, Sauerbruch und Virchow war der Neugierde geschuldet, ob er wie ägyptische Mumien einbalsamiert wurde oder ob ihm Organe entnommen wurden. Das konnte ausgeschlossen werden – die Organe sind demnach noch vorhanden und einfach ausgetrocknet.
Die natürliche Mumifizierung liegt laut der Pfarramtssekretärin an den besonderen Umständen, unter denen Ritter Kalebuz in der Gruft aufgebahrt wurde. Das bestätigte laut Dorit Geu auch Dr. Andreas Ströbl. So sorgte der Doppelsarg, der innen aus Tannen- und außen aus Eichenholz besteht, für eine außerordentlich gute Belüftung. Aufgrund der auszehrenden, langen Krankheit von Kalebuz vor seinem Tod war der Gutsherr bereits sehr mager, was ebenfalls seine natürliche Mumifizierung begünstigte. Die kühle, gut belüftete Gruft trug außerdem zur sogenannten „natürlichen Verlederung“ bei, genau wie sein Todeszeitpunkt im eher kalten November.
Besonders an der Mumie ist neben ihrem ausgezeichneten Erhaltungszustand, dass sie eindeutig Ritter Kalebuz zugeordnet werden kann und dass es sich eben nicht um irgendeinen namenlosen Mann handelt. „Sein mumifizierter Leichnam ist identifiziert worden durch seine Knieverletzung aus der Schlacht von Fehrbellin und durch das Leichentuch mit seinen Initialen, in das er gewickelt war“, erklärt Dorit Geu.
Seine Haare und Nägel sollen noch wachsen
Hartnäckig hält sich der Irrglaube, dass die Zähne und Nägel vom verlederten Kalebuz noch wachsen würden. Dorit Geu muss schmunzeln: „Diese Legende rührt daher, dass es einmal einen Lehrer gab, der durch die Gruft führte und das schelmisch behauptete.“
Doch auch, wenn heute nichts mehr wächst, so sind Haare, Finger und Fußnägel noch gut erkennbar. Er hätte heute sogar noch mehr Haare: „Ritter Kalebuz wurde früher offen ausgestellt und hat mit Sicherheit ein paar Haare verloren, als man ihn anfasste oder ihm über seinen Kopf strich“, erklärt Dorit Geu.
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Sein Geist soll noch heute spuken
Kalebuz hat der Überlieferung nach den Schäfer an der Schwenzebrücke auf dessen Land erschlagen. Dorit Geu verrät: „Der Legende nach soll einem zur Tatzeit, also nachts zwischen 23:00 Uhr und Mitternacht, der Geist von Kalebuz aufhocken.“ Menschen wären gebückt über die Brücke gelaufen und Kutschen hätten es kaum auf die andere Seite geschafft.
Die neun Quadratmeter große Gruft von Kampehl und der Ritter Kalebuz können zwischen April und Oktober jeweils am Freitag, Samstag und Sonntag in der Zeit von 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr besucht werden.