22. November 2023, 12:15 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Von Nahem wirkt er noch imposanter als aus der Ferne: Im baden-württembergischen Rottweil ragt ein riesiger Turm wie ein Bohrer hoch in den Himmel zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald. Wozu der Turm gebaut wurde und was es in Rottweil sonst noch zu entdecken gibt.
Sieht man am Turm hinauf und auf die darüber ziehenden Wolken, kann einem ganz schwindlig werden. Die Sonne blitzt hinter der Spitze hervor und zaubert ihm einen Strahlenkranz. Was für ein Gigant! Noch beeindruckender ist allerdings der Ausblick von der Aussichtsplattform in 232 Metern, es die höchste in Deutschland.
Die Eleganz wurde dem Turm mit einer changierenden Hülle verliehen, über Stahlrohre gespannt. Ein gedrehtes Designer-Kleid quasi – stabil und windabweisend zugleich. Darunter steckt eine schlichte Betonröhre mit zwölf Aufzugschächten für Tests neuer Systeme für immer höhere und schnellere Aufzüge. Die allerneuste Innovation funktioniert mit Magnettechnik – ohne Seile also.
Schon der Bau war ein Abenteuer: 32 Meter tief ist allein die Baugrube. Zunächst wurde in den stabilen Fels gesprengt, die letzten zehn Meter in die Tiefe, wo sich Muschelkalk fand, fräste ein Bagger aus. Das alles weiß Wolfgang Müller, der für die Stadt Rottweil Besucherinnen und Besucher führt.
„Imposant!“
„Ich selbst habe es zwar noch nicht auf die Plattform geschafft, aber komme gebürtig aus der Gegend. Wenn man dort mit dem Auto unterwegs ist, sticht einem dieser imposante Turm schon aus der Ferne direkt ins Auge. Er ist tatsächlich ein richtiger Hingucker, der sich aus der sonst recht idyllischen Kulisse abhebt und mich persönlich an einen Bau aus „Herrn der Ringe“ erinnert.“– Dennis Agyemang, PETBOOK-Redakteur
Wie der Gigant nach Rottweil kam
Jeden Sonntag trifft man sich um 14.00 Uhr vor dem Turm, am roten Häuschen des Stadtmarketings. Dann geht es einmal um den Giganten herum und so heißt auch die Führung: Rund um den Testturm. Der Weg ist öffentlich zugänglich, wer mag, kann die Runde allein gehen. Von Freitag bis Sonntag kann man Tickets für den Turm kaufen und hochfahren auf Deutschlands höchste Aussichtsplattform. Mit dem Guide erfährt man allerdings noch etwas mehr.
Zum Beispiel, warum der Turm in Rottweil gebaut wurde. Die verantwortliche Firma, früher ThyssenKrupp Aufzüge, heute TK Elevator, sitzt in Neuhausen auf den Fildern. Das liegt in der Nähe des Stuttgarter Flughafens und dort konnte aus Sicherheitsgründen nicht gebaut werden.
Gesucht wurde im Umkreis von 100 Kilometern, und zwar verkehrsgünstig gelegen. Alexander Keller, Chef der Aufzugssparte, kannte die Gegend – und so landete man schnell in Rottweil. Von der in der Nähe vorbeiführenden Autobahn 81 ist der Turm gut zu sehen.
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Wie Deutschlands höchste Aussichtsplattform entstanden ist
2013 gab es die erste Begegnung mit den Firmenchefs, 2014 beschäftigte sich der Gemeinderat mit dem Thema. Viele Einwohner hatten Angst, dass die Ansicht der historischen Innenstadt gestört werden könnte. Geplant war zunächst ein reiner Industriebau. Erst die Idee der öffentlichen Besucherplattform brachte die Parteien zusammen, das Entgegenkommen der Firma ebnete den Weg.
Seit Oktober 2017 wird die Plattform am Wochenende geöffnet. Sie ist 80 Meter höher gelegen als die des Stuttgarter Fernsehturms, und knapp 30 Meter höher als die des Berliners Fernsehturms.
Also hinauf: Freundliche Mitarbeiter bitten zum Einstieg in den Besucherfahrstuhl und begleiten die 30-Sekunden-Fahrt. Der Start und das Abbremsen sind trotz des Tempos butterweich. Oben angekommen kann man sich im Innenraum an die Höhe gewöhnen, bevor man hinaustritt in den Wandelgang zwischen Glas- und Glaswand. Nach unten sind die äußeren Scheiben abgetönt. Das mildert die Höhenangst.
Ein Panoramaflyer erklärt die Gegend und fordert die Besucher: „Können Sie die Burg Hohenzollern am Albtrauf erkennen?“ Luftlinie immerhin rund 35 Kilometer. Dazu braucht es also gute Augen und einen klaren Tag. Die nahe Neckarschleife und die Innenstadt Rottweils sind einfacher ersichtlich. Beeindruckend ist die Aussicht allemal.
Warum sich ein Besuch in Rottweil sonst noch lohnt
Von den luftigen Höhen des Testturms geht es am nächsten Tag hinunter in die historische Innenstadt mit ihren mittelalterlichen Kirchen und Türmen: Deren höchster ist der Hochturm und deren berühmtester das Schwarze Tor. Auf den Hochturm kann man klettern. Ein echtes Retro-Vergnügen im Vergleich zur Aufzugfahrt im Testturm auf Deutschlands höchste Aussichtsplattform.
In der Pelagiuskirche wiederum geht es nach unten: Hinter einer schmalen Tür führt eine steile Treppe hinab. Unter der Kirche lagen Thermen. Römische Säulen tragen den Boden, Warmluft zirkulierte hier als Fußbodenheizung. Vor knapp zweitausend Jahren. Wir sind unterwegs mit Günther König. Er ist angetreten, uns die Welt der Römer näherzubringen. Am liebsten, so erklärt er, würde er öfters Kinder und Jugendliche führen. Der Römerpfad wurde dafür konzipiert, als Spaziergang entlang großer Schautafeln.
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Das römische Erbe
Die Geschichte in aller Kürze: Legionäre gründeten unter dem flavischen Kaiser Vespasian ab 73 n. Chr. Kastelle zur Sicherung der Straße von Straßburg bis Augsburg, fünf folgten aufeinander. Bis zu 7000 Soldaten waren hier stationiert, Siedlungen für Zivilisten und Angehörige folgten. Ein Forum, Theater und Thermen mussten her, zügig wurde die römische Stadt erbaut. Arae Flaviae hieß sie, „flavische Altäre“ übersetzt.
Allerdings, und das ist das Besondere: Bis 1950 wusste man nicht genau, wo Arae Flaviae lag. Dann entdeckte man in einer Baugrube ein Schreibtäfelchen, das belegt: Genau hier war diese Stadt. Wo Rottweil liegt. Unter Kaiser Trajan im 2. Jahrhundert n. Chr. erhielt sie das Stadtrecht als Municipium, was Rottweil zur ältesten Stadt in Baden-Württemberg macht.
Das Täfelchen ist im Dominikanermuseum zu sehen, genau wie das berühmte Orpheus-Mosaik. Das Prunkstück, aus einer Villa der Altstadt geborgen, erhielt beim Neubau des Museums einen eigenen Platz unter einem großen Oberlicht. Der Blick aus dem Museum nach Norden zeigt wiederum den Testturm – es ist eine wunderbare Synthese von uralt zu ultramodern.