16. September 2024, 15:15 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Das Glenfinnan-Viadukt ist eines der Highlights während des Schottland-Roadtrips unserer Autorin Anna Wengel (jetzt Chiodo) im August 2024. Wieso sie das so spannend fand und was die Eisenbahnbrücke in den Highlands mit „Harry Potter“ zu tun hat, lesen Sie in diesem Reisebericht.
Eine riesige Eisenbahnbrücke mitten im Nirgendwo der hügeligen Highlands. Einsam. Und gigantisch, beeindruckend, starr. So hatte ich mir das vorgestellt. Im besten Fall natürlich mit einem darüber herfliegenden Auto, in dem zwei Zauberer im Teenageralter mitsamt Schnee-Eule sitzen. Aber da bin ich flexibel. Angekommen in Glenfinnan, im Westen Schottlands, rückt sich das Bild in meinem Kopf gerade und ich frage mich, wieso ich nach den Touristenaufläufen, die mich gerade noch bei den Three Sisters of Glen Coe überrascht haben (TRAVELBOOK berichtete) immer noch annehme, dass ich hier in den Highlands an irgendeiner Sehenswürdigkeit allein bin. Realität versus Wunschvorstellung. Vielleicht auch einfach das Denken einer Person, die viel Einsamkeit auf Reisen erlebt hat und noch nicht in der neuen Overtourism-Realität nach Corona angekommen ist.
Übersicht
Auto um Auto um Auto parkt kreuz und quer schon Kilometer vor dem Punkt auf meiner Google-Karte, die mir als Aussichtspunkt zum Glenfinnan-Viadukt ausgewiesen wird. Also fahren wir weiter. Und weiter. Und ich möchte sagen, zum Glück. Mit Glück – oder auch einfach aufgrund einer schnellen Reaktion angesichts des freien Parkplatzes inmitten umherfahrender Autos – kommen wir am Glenfinnan Station Museum an. Dort sind nicht nur alle dort Arbeitenden überaus hilfsbereit und zauberhaft, wir erleben auch noch die Abfahrt eines Zugs mit, der zumindest ähnlich aussieht wie der Jacobite Train, also dem, der als „Harry Potter“-Zug die Film- und Zaubererfans hier in den Westen der Highlands zieht. Den echten sehen wir ein wenig später.
Bergpfad zum Glenfinnan-Viadukt
Zuerst einmal wandern wir. Und deshalb schrieb ich gerade „zum Glück“. Vom Museum aus führen breite Holztreppen zu einem schmalen Pfad. Und der wiederum den Berg hinauf. Hin und wieder in kurzzeitig engem Kontakt mit anderen, bin ich hier, gemeinsam mit Mann und Tochter, viele Momente allein in der Natur. Endlich. Grüne Hügel, dichtes Gestrüpp und ein weiter Blick hinunter auf einen in der Sonne glänzenden See und andere, struppig bewachsene grüne Hügel. Bis auf ein, zwei Hupgeräusche in der näheren Ferne ist es ruhig.
Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Mann hinter uns auf. Vielleicht Anfang 20 und zu meiner erschreckten Begeisterung dem jungen Severus Snape ähnelnd. Ist es seine Aufmachung oder sein immer wieder in den Büschen verschwinden, um dann dicht hinter uns wieder aufzutauchen, das mich irritiert? Ich laufe einen Schritt schneller – was angesichts meiner inzwischen getragen werden wollenden Tochter und dem teils glitschigen Pfad, der an dieser Stelle aus dicken Steinen dicht am Abgrund besteht, nicht ganz leicht fällt. Schon wenige Minuten später schwindet das kurzzeitig mulmige Gefühl. Severus hat sich einmal mehr in die Büsche verzogen und scheint sich da für den Moment häuslich einzurichten und vor mir fällt der Pfad ab. Als dann drei Männer an mir vorbeihasten ahne ich, dass wir unserem Ziel näher kommen.
Und da ist es auch schon, oder zumindest ein Teil. Groß, grau und gigantisch ragt das Eisenbahnbrückenungetüm in die grüne Landschaft hinaus, nur verdeckt von einem Strauch. Ich schieße ein erstes Foto, dem noch viele weitere folgen sollen.
Der „Harry Potter“-Zug zieht Massen an
Wir laufen weiter und sind plötzlich umringt von Menschen. Große und kleine Menschen, die überall vor uns auf Steinen sitzen, die wie in den Hang gebaut als breite Stufen fungieren. Ein kleiner Pfad führt weiter nach unten, gesäumt von Menschen, die sich, die Brücke oder sich mit der Brücke fotografieren oder fotografieren lassen. Es ist jetzt 14:45 Uhr, noch etwa eine Dreiviertelstunde bis der vermeintliche „Harry Potter“-Zug kommt.
Knapp fünfzehn Minuten später wird es wuselig. Eine Amerikanerin neben mir tritt von einem Fuß auf den anderen, stupst ihren Begleiter immer wieder an und beschwert sich, dass der Zug zu spät käme. Die Brücken-Überfahrungszeit, die die Frau gelesen hat, scheinen auch andere gesehen zu haben, werden hier und da immer wieder Hälse gereckt und Ohren in die Zugrichtung gestreckt, in der aber nichts passiert. Auch ich habe 15 Uhr als Zeitangabe gelesen, genauso wie 15:30 Uhr. Letztere erschien mir zuverlässiger, weil auch das Jahr 2024 dabei stand, daher bleibe ich für den Moment entspannt.
Hallo, Hogwarts-Express
Dann jedoch, ab vielleicht fünf vor 15:30 Uhr merke ich, wie auch in mir die Aufregung wächst. Und plötzlich kommt er um die Ecke gefahren: der „Harry Potter“-Zug.
Der nun auf den Schienen entlangtuckernde Nostalgiezug mitsamt weißer Nebelwolke, rumpelnden Rädern und plötzlich erklingendem Hupen, löst nicht nur auf meinem Gesicht ein dickes Grinsen aus. Smartphone um Smartphone wird gezückt, ganze Kamerasysteme verfolgen jeden Zentimeter, den sich der dunkelrote Zug mit seiner schwarzen Lock voran bewegt. Übrigens sowohl hier als auch auf der gegenüberliegenden Seite. Denn auch dort haben sich viele Menschen versammelt, wie kleine bunte Punkte sprenkeln sie den gegenüberliegenden Hügel, während wir alle zuschauen, wie der ikonische Hogwarts-Zug hinter einem Hügel verschwindet.
So plötzlich er da war, ist er auch wieder verschwunden. Und hinterlässt mich mit einem Glücksgefühl, das auch über den Moment hinaus anhält. Selbst jetzt, vier Wochen später, schafft es allein die Erinnerung an das Glenfinnan-Viadukt und den „Harry Potter“-Zug, mir ein seliges Grinsen aufs Gesicht zu malen. Auch deshalb kann ich guten Gewissens vom Glenfinnan-Viadukt als Schottland-Highlight schreiben – und das nach einer Reise, bei der es viele schöne Momente in einem Land gab, in das ich mich sehr verliebt habe.
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Glenfinnan-Viadukt – Hintergrundinfos
Das berühmte Glenfinnan-Viadukt im Westen der schottischen Highlands ist eine „berühmte Meisterleistung viktorianischer Ingenieurskunst und die längste Eisenbahnbrücke aus Beton in Schottland“, schreibt der National Trust for Scotland auf seiner Infoseite. Das 380 Meter lange Eisenbahnviadukt aus den 1890er Jahren besitzt 21 riesige Bögen. Diese sind bis zu 30 Meter hoch. Die Brücke ist Teil der West Highland Railway, die zwischen Fort William und Mallaig verläuft.
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Weit über die Landesgrenzen berühmt ist das Glenfinnan-Viadukt spätestens seit seiner Vorstellung in gleich vier der Literaturverfilmungen von „Harry Potter“, wo es als Kulisse für den Hogwarts-Express diente. Doch auch in anderen Filmen und Serien spielte die schottische Eisenbahnbrücke mit, so zum Beispiel in „The Crown“ (2016 – 2023), „Charlie und Louise – Das doppelte Lottchen“ (1994), „Ring of Bright Water“ (1969) und, besonders beeindruckend, auch in „Charlotte Gray“ (2001).