26. April 2017, 10:38 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Man könnte den kreativen Garten „The Lost Gypsy“ auf der Südinsel Neuseelands wohl am ehesten als eine Art Spielplatz für Erwachsene beschreiben. Hinter jeder Ecke wartet eine andere verspielte Idee darauf, erkundet zu werden. Ob durch Knopfdruck oder Hebelbewegung, jedes noch so kleine Kunstwerk im Lost Gypsy hat eine Überraschung zu bieten. TRAVELBOOK sprach mit dem Mann, der das kuriose Wunderland erschaffen hat.
Es gibt Orte, die so kurios sind, dass man sich dort ein bisschen wie Alice im Wunderland fühlt. So, als sei man dem weißen Hasen ein Stück zu weit in den Kaninchenbau gefolgt. Einer dieser Orte ist „The Lost Gypsy“ in Neuseeland. Was man hier vorfindet, gibt es so vermutlich nirgendwo anders auf der Welt: Es ist das kreative Werk eines Mannes, der genauso beeindruckend ist wie seine Kunst. TRAVELBOOK hat mit ihm gesprochen.
Etwas versteckt in den Catlins, einem Gebiet ganz im Süden Neuseelands, steht ein grüner Wagen, auf dem in großen Lettern „The Lost Gypsy“ zu lesen ist. Schon im Außenbereich gibt es einige Werke des Künstlers zu bewundern. Etwa einen Wal aus Blech, der sich, wenn man den dazugehörigen Hebel dreht, zu schwimmen scheint. Und ein Skelett auf einem Fahrrad, welches anfängt, in die Pedale zu treten.
Auf Knopfdruck reagieren die kleinen Kuriositäten
Ein paar Stufen führen in den großen Wagen hinein, der bereits gut mit Besuchern gefüllt ist. Alle wollen sehen, was Blair Somerville für erstaunliche Spielzeuge gebaut hat. Überall stehen kleine Kuriositäten, die auf Knopfdruck oder per Hebelumdrehung verrückte Sachen machen. Manche kann man kaufen, aber die meisten bleiben Teil der Ausstellung.
Im Inneren des Wagens hat man das Gefühl, in einem Spielzeugladen eines verrückten alten Mannes zu sein, bei dem man sich nicht sicher ist, ob er tatsächlich von dieser Welt ist. „Was ich am meisten am meinem Job liebe, ist, auf die Ideen zu kommen. Die Idee von etwas, von dem ich weiß, dass ich es erschaffen muss“, sagt Somerville im Gespräch mit TRAVELBOOK.
Nur fünf Dollar kostet der Eintritt in den sich anschließenden Garten „the winding thoughts of theatre of sorts“, wo größere Spielereien auf die Besucher warten. Dort kann man etwa auf einem Fahrrad so lange strampeln, bis man genug Strom erzeugt hat, um „das Beste zu sehen, was das Fernsehen zu bieten hat“, sagt Somerville. Nach etwas körperlicher Anstrengung flackert das eigene Gesicht auf dem kleinen alten Fernseher auf. Man kann nicht umhin, kurz zu schmunzeln.
Bei einem Rundgang durch den Garten entdeckt man noch viel mehr. In einem Raum gibt es viele kleine Bilder, die alle ihr eigenes Geheimnis bergen, und mit einem Hebelschwung kann man die verrosteten Dosen in einer Hecke zum Tanzen bringen. Neben der Ausstellung im Wagen und dem verrückten Garten gibt es auch ein kleines Café, in dem man sich bei Snacks und Getränken entspannen kann.
Das Material sammelt Somerville am Strand
Am liebsten baut Somerville seine kleinen Kunstwerke spontan zusammen. Probiert ein bisschen hier, ein bisschen da. Bastelt rum und hofft, dass es am Ende funktioniert. Die meisten seiner Materialien findet er am Strand. Steine, Holz, Muscheln, organische Materialien, einen Schuh, Knochen und andere Dinge, die die meisten als Müll bezeichnen würden. „Ich mag es, mit Dingen zu arbeiten, die vorher ein anderes ‚Leben‘ hatten“, sagt der Bastler.
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Blair Somerville bezeichnet sich selbst als „Organic Mechanic“, findet es aber schwierig, seine Arbeit fest zu definieren. „Ich arbeite mit so vielen verschiedenen Materialien. Aber im Grunde mache ich Dinge, die sich bewegen und hoffentlich andere Menschen dazu ‚bewegen‘, dass sie auf meine Kunst anders reagieren als auf statische Objekte.“ Die schönste Reaktion auf seine Arbeit, verrät Somerville, „waren Tränen der Freude. Von Erwachsenen“.
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Viel Geld braucht Somerville nicht
Somerville hat sich nie bewusst dazu entschieden, dieses Leben zu leben. „Es hat sich einfach so entwickelt. Aber ich liebe es, in einem Haus-Truck zu wohnen, denn es gibt mir eine Freiheit, die ich sonst nicht hätte. Ich zahle keine Miete, keine Stromrechnung, ich brauchte auch nie einen ‚richtigen‘ Job, und so hatte ich die Zeit, meinen idealen Lebensweg zu finden und voilà: Die The Lost Gypsy-Gallery war geboren.“ Dabei hat er sich alles selbst beigebracht. „Ich habe etwas rumprobiert, an einem Ende gezogen und geguckt was passiert und dabei die verschiedenen Materialien studiert, um zu sehen, wozu sie fähig sind. Ich denke, meine Neugier ist mein stärkstes Merkmal.“
Die Kreativität, die in jeder von Somervilles Schöpfungen wiederzuerkennen ist, lässt die Frage aufkommen, woher dieser Mann seine Ideen nimmt. Eine Frage, die er nur allzu oft hört und nicht ganz verstehen kann. „Ich werde oft gefragt, woher ich meine Inspiration nehme“, sagt Somerville in einem Clip, das der neuseeländische Videokünstler Joey Bania über The Lost Gypsy gedreht hat. Dabei sei die Frage überflüssig, denn überall passiere so viel. „Es gibt so viele Dinge, die sich ereignen. Das Leben selbst ist inspirierend.“
Wenn man Somerville zuhört, wie er in dem Video erzählt, hat man das Gefühl, er habe wirklich seien persönlichen Weg gefunden, abseits der Norm glücklich zu leben. „Ich habe mein Zuhause mit dem Wissen verlassen, dass man nicht viel zum Leben braucht. Und dass ich nicht viel Geld brauche“, erzählt er in dem Video. „Du brauchst nur irgendeine Art von Dach über dem Kopf, etwas Essen und einen Grund, um am Leben zu sein. Der Plan war, ohne eine Hypothek durchs Leben zu kommen und die Kosten gering zu halten. Das ist auch der Grund, warum ich so weit außerhalb lebe. Was einem manchmal ganz schön auf den Sack gehen kann.“
Wer Somervilles Wunderwelt besuchen möchte, braucht lediglich ans andere Ende der Welt zu reisen und fünf Dollar Eintritt zu zahlen. Die Galerie ist im neuseeländischen Winter geschlossen.