23. August 2019, 13:00 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Dubiose Rubbellos-Aktionen, schlechte Bezahlung von Piloten und Flugbegleitern, Extra-Gebühren für alles Mögliche: Ryanair lässt nichts aus, um zusätzliches Geld zu verdienen oder zu sparen. Als sich kürzlich mein Flug von Porto nach Brüssel um zwölf Stunden verspätete, bezweifelte ich denn auch, dass ich so schnell eine Entschädigung bekommen würde. Am Ende wurde ich positiv überrascht.
Eigentlich sah alles danach aus, dass ich meinen Flug von Porto nach Brüssel pünktlich um 16:05 Uhr antreten und dort rechtzeitig meinen Anschlussflug nach Tegel erreichen würde. Am Gate bekam ich dann plötzlich die Info, dass sich der Flug um circa 35 Minuten verspäten würde. Aber: In der Hauptsaison nichts Ungewöhnliches – und kaum der Rede wert. Für meinen Anschlussflug würde es dennoch knapp werden.
Keine Informationen und überforderte Ryanair-Mitarbeiter
Irgendwann waren auch die 35 Minuten rum. Die ersten Passagiere fragten bei den Ryanair-Mitarbeitern am Flughafen von Porto nach Details, doch die wussten nichts Genaueres. Die Minuten vergingen: mit Warten, Nachfragen, Ahnungslosigkeit – bei Passagieren und Mitarbeitern.
17:30 Uhr: Die Maschine, die aus Brüssel nach Porto und dann wieder zurückfliegen sollte, war noch immer in der belgischen Hauptstadt. Mit anderen Worten: Der Abflug würde sich noch Stunden hinauszögern. Das konnte man mittlerweile auch im Internet erfahren, auf Flug-Tracker-Portalen und sogar Ryanair selbst war von mehr als fünf Stunden Verspätung die Rede.
Diese Info drang bald auch an das Bodenpersonal der Airline durch. Menschentrauben um überforderte Ryanair-Mitarbeiter bildeten sich, Eltern mit Kindern sahen schlagartig plötzlich noch müder aus, es wurde diskutiert, gejammert, gefordert, Fragen blieben unbeantwortet. Ein Grund für die Verspätung wurde nicht genannt. Passagiere setzten sich auf ihre Trolleys, packten ihre Sandwiches aus, einige fluchten – und die ersten verließen Gate und Flughafen. Ryanarchie! Eine Reisegruppe zwischen Hoffnung, Wut, Enttäuschung und Resignation. Dann wurden Verpflegungs-Gutscheine verteilt. Kein gutes Zeichen!
Flug kam mit 12 Stunden Verspätung an
Ich beschloss, den Flug nicht anzutreten, da ich meinen Anschlussflug ohnehin verpasst hätte, und eine weitere Nacht zu Hause bei meiner Mutter in Portugal zu schlafen. Der Flug am nächsten Tag, ein Sonntag, war möglich, weil ich den Trip glücklicherweise über ein Portal gebucht hatte, das für solche Fälle eine Garantie gewährt und mich über Düsseldorf nach Berlin bringen konnte. Dort angekommen, sah ich dann auch nach, um wie viel sich der Brüssel-Flug am Ende tatsächlich verspätet hatte: um 12 Stunden!
Ich jedem Fall war für mich klar: Verspätung von mehr als drei Stunden, das bedeutet laut EU-Fluggastrechteverordnung 261/2004 bei einer Strecke von unter 1500 Kilometern eine Entschädigung von 250 Euro, sofern keine „außergewöhnlichen Umstände“ vorlagen. Wäre Brüssel nur rund 30 Kilometer weiter von Porto entfernt, wären es sogar 400 Euro gewesen.
Nun blieben mir zwei Möglichkeiten, um ohne zusätzliche Kosten für einen Anwalt die Entschädigung einzufordern:
- ein Fluggastrechteportal
- über Ryanair direkt
Option 1 würde bedeuten, im Erfolgsfall mindestens 24 Prozent der Entschädigung als Provision an das Portal abzutreten – manche Anbieter wollen sogar mehr als 40 Prozent –, dafür würden sich deren Anwälte im Zweifel mit Ryanair streiten. Und das tut die irische Fluggesellschaft gern, wie mir auch Experten bestätigten.
Wie ich von Ryanair die Entschädigung einforderte
Option 2 hielt ich für wenig aussichtsreich: Warum sollte ein Passagier bei der wohl knauserigsten Airline Europas seine Forderung einfach mal so durchsetzen können, ganz ohne juristischen Beistand? Zumal Fluggesellschaften, nicht nur Ryanair, gern „außergewöhnliche Umstände“ wie etwa das Wetter als Grund für Verspätungen und Annullierungen nennen. Zwar liegt die Beweislast laut EU-Fluggastrechte-Verordnung bei der Airline, doch viele betroffene Passagiere geben dann schon auf.
Ich ließ es dennoch auf einen Versuch ankommen, suchte nach dem entsprechenden Online-Formular für Entschädigungen bei Ryanair und füllte alles aus. Bei „Art der Reklamation“ wählte ich aus: „EU216 nur Entschädigungen“. In weniger als 5 Minuten war ich fertig und schickte das Formular ab. Wenige Sekunden später hatte ich eine Bestätigungsmail im Posteingang. „Lieber Kunde“, war darin zu lesen, „Ihr Antrag ist eingegangen und wird von unserem Kundenservice-Team überprüft.“ Man werde sich in Kürze bei mir melden und mich über den Stand informieren.
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Binnen weniger Minuten war mein Entschädigungsfall bearbeitet
„In Kürze“ war dann wirklich sehr kurz: Davon ausgehend, dass nun Tage, wenn nicht sogar Wochen verstreichen würden, war ich überrascht, als ich exakt 7 Minuten nach der Bestätigungsmail schon die nächste Nachricht im Postfach hatte. Ich vermutete direkt die Ablehnung meiner Forderung, doch stattdessen bekam ich Folgendes: Man bedauere die Verspätung des Flugs FR2929 von Porto nach Brüssel, die „durch eine unerwartete technische Panne“ am Flugzeug verursacht worden sei, schrieb ein Mitarbeiter des Kundenservice-Teams. „Ich möchte Ihnen bestätigen, dass die Überweisung von 250 Euro auf das von Ihnen genannte Konto veranlasst wurde. Mit dieser Zahlung sind gemäß Artikel 7 der EU-Verordnung 261/2004 alle Ansprüche ihrer Forderung vollständig und endgültig abgegolten.“ Als Zahlungsziel wurden bis zu 21 Tage angegeben. Doch auch hier dann die Überraschung: Nach genau einer Woche war das Geld auf meinem Konto – und der Entschädigungsfall abgeschlossen.
Fazit
Auch wenn Ryanair in diesem Fall ausnahmsweise mal positiv überrascht hat: Es gibt weiter genug gute Gründe, der Billigairline kritisch zu begegnen: So verdreht die Fluggesellschaft gern mal die Fakten, beispielsweise bei ihrer Umweltbilanz, betreibt Lohn-Dumping und zeigt sich in vielen Bereichen wenig transparent, etwa bei den Einnahmen durch die Rubbellose, die nur vordergründig einem wohltätigen Zweck dienen, tatsächlich landet von dem Geld schätzungsweise nur 2 Prozent bei den Organisationen, des Rest fließt wohl in die Konzernkasse.
Daher gilt für Passagiere, die von Verspätungen oder Annullierungen betroffen sind: Sie sollten nicht darauf vertrauen, dass es immer so einfach funktioniert wie oben beschrieben. Es empfiehlt sich aber dennoch, die Forderung nach Entschädigung zunächst einmal bei der Fluggesellschaft selbst einzureichen, da man sich auf diese Weise bestenfalls die Provision spart, die bei Fluggastrechteportalen wie EUclaim, Flightright, Fairplane usw. fällig wird.
Diese kann man im Zweifel später immer noch bemühen, wenn die Airline die Zahlung einer Entschädigung verweigert hat.
„Team Wallraff – Reporter undercover“ bei RTL Wie Flugbegleiter bei Ryanair unter Druck gesetzt werden
Nachgefragt In welchen Fällen man für einen verpassten Anschlussflug Entschädigung bekommt
Nachgefragt Bekomme ich als Betroffener des Ryanair-Streiks Entschädigung?
Im Überblick: So fordern Sie bei Ryanair eine Entschädigung
- Rufen Sie das Online-Formular von Ryanair auf.
- Füllen Sie alle Seiten des Formulars aus: „Einzelheiten des gestörten Flugs“, „Kontaktdaten des Antragstellers“, „Zahlungsdaten“.
- Bestätigen Sie die Richtigkeit der Angaben.
- Im Anschluss erhalten Sie eine Bestätigungsmail über den Eingang Ihres Antrags.