27. Februar 2020, 11:19 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Ryanair wirbt damit, die grünste Airline Europas zu sein. Das sei irreführend, sagt der spanische Verbraucherschutz – und hat ein Verfahren gegen die irische Billigfluglinie eingeleitet.
Ryanair will nicht nur günstig, sondern auch besonders grün sein. Damit wirbt die Low-Fare-Flugline auch offiziell und verschickt regelmäßig Updates über ihre angeblichen Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit. In einer Pressemitteilung vom 19. Februar heißt es unter anderem, dass Ryanair mit „nur 66 Gramm CO₂ pro Passagierkilometer die niedrigsten Emissionen aller großen EU-Fluggesellschaften“ habe. Weiter heißt es: „Fluggäste, die auf Ryanair umsteigen, können somit ihre CO₂-Emissionen um bis zu 50 Prozent im Vergleich zu anderen, weniger modernen EU-Fluggesellschaften reduzieren.“
Bereits im vergangenen Jahr hatte Pressesprecher Kenny Jacobs geschlussfolgert, dass Ryanair „Europas grünste und sauberste Fluggesellschaft“ sei. Das spanische Ministerium für Verbraucherschutz hält diese Werbung jedoch für irreführend und hat deshalb jetzt ein Verfahren gegen die irische Airline eingeleitet. Das berichtet unter anderem die „Mallorca Zeitung“.
Angezeigt hatte den Fall dem Bericht zufolge die spanische Verbraucherschutzorganisation Facua mit der Begründung, dass Ryanair irreführende Zahlen zum CO2-Ausstoß nutze. Die britischen Behörden hätten diese Art der Werbung bereits 2019 verboten– offensichtlich ohne Erfolg.
Wie umweltfreundlich Ryanair wirklich?
Die hartnäckig vorangetriebene Nachhaltigkeitsoffensive der Airline kann als Reaktion auf Daten gedeutet werden, die die EU-Kommission im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Daraus geht hervor, dass Ryanair auf Platz zehn der größten Emittenten von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) in Europa ist. Der Brüsseler Thinktank „Transport and Environment“ analysierte die Daten der Europäischen Kommission und stellte dabei fest, dass nur Kohlekraftwerke mehr CO2 ausstoßen als Ryanair. Zum Vergleich: In dem Ranking befindet sich mit Easyjet erst auf Rang 35 eine weitere Airline.
Wie kann man also beide Statistiken einander gegenüberstellen und deuten? Dafür muss man sich etwas genauer anschauen, wie sich CO2-Werte eigentlich zusammensetzen und was einzelne Werte aussagen – und was nicht. TRAVELBOOK hat bei der NGO (Nichtregierungsorganisation) „atmosfair“ nachgefragt, was an den Zahlen von Ryanair dran ist. Die Organisation macht es sich zur Aufgabe, auf die Klimaschädlichkeit von Flügen aufmerksam zu machen und vergleicht in ihrem jährlichen atmosfair Airline Index die einzelnen Emissionen der Airlines.
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Personenkilometer kein valider Wert für Klimafreundlichkeit
Sprecherin Julia Zhu sagt, dass man grundsätzlich nie zwei beliebige Flüge miteinander vergleichen kann, wenn es um CO2-Emissionen geht. „Man kann einen Flug grundsätzlich nur auf derselben Strecke und auf derselben Höhe miteinander vergleichen.“ Denn die Substanzen, die beim Fliegen entstehen, haben in großen Höhen eine sehr viel stärkere Klimawirkung als näher am Boden. Je kürzer dagegen eine Strecke ist, desto umweltschädlicher ist ein Flug im Verhältnis, denn die CO2-Emissionen sind besonders bei Start und Landung eines Flugzeugs hoch. Flüge mit Zwischenstopps sind daher auch nicht mit Direktflügen zu vergleichen und so weiter. Ryanair kann seine Flüge also nicht beliebig mit Flügen von Lufthansa oder einer anderen Airline vergleichen, wie es das Unternehmen jedoch in seinen Pressemitteilungen tut.
Nur weil eine Airline mehr Passagiere befördert, ist sie nicht weniger umweltschädlich
Außerdem sei es auch wenig sinnvoll, Personenkilometer als Wert für Klimaeffizienz zu nehmen. Denn je mehr Passagiere und Flugzeuge fliegen, desto höher ist der CO2-Ausstoß insgesamt. Wenn Ryanair also mit am meisten Passagiere in Europa befördert, ist der Rückschluss, dass die Airline grün sei, weil dann pro Person weniger CO2 anfällt, absolut trügerisch. Denn es kommt natürlich auf den Gesamtausstoß an.
Da Ryanair zudem dafür bekannt ist, auf sehr engem Raum sehr viele Fluggäste unterzubringen, könnte man auch davon ausgehen, dass dies ein tatsächlicher Faktor ist, der für Ryanairs Klimafreundlichkeit spricht. Zhu erklärt, warum auch das nicht so einfach ist: „Mehr Passagiere in einem Flugzeug unterzubringen, ist nur dann klimafreundlicher, wenn das auch bedeutet, dass insgesamt weniger Flugzeuge in die Luft gehen. Das ist bei Ryanair aber nicht der Fall. Im Gegenteil werden dadurch, dass so viele Menschen wie möglich in eine Kabine gepfercht werden, die Flugpreise gesenkt, wodurch wiederum noch mehr Menschen einen Ryanair-Flug buchen.“
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„Fliegen ist nie grün“
Hinzu kommt, dass nach wissenschaftlichen Standards nicht nur die CO2-Emissionen die Klimaeffizienz eines Flugs bestimmen, sondern auch noch andere Faktoren. „Das Umweltbundesamt empfiehlt einen Faktor von drei bis fünf, mit dem man den reinen CO2-Ausstoß einer Airline multiplizieren muss, um auf den echten Wert zu kommen“, sagt Zhu. Bei diesen sogenannten RFI-Faktoren (Radiative Forcing Index) handelt es sich um andere Treibhausgase, die bei Flügen in besonders sensible Schichten der Erdatmosphäre getragen werden: Stickoxide, Rußpartikel und Wasserdampf. „Fluggesellschaften unterschlagen diese Faktoren gerne. Der Wert von Ryanair muss also mit großer Vorsicht genossen werden, da er sich höchstwahrscheinlich nur auf den reinen CO2-Ausstoß bezieht“, fasst Zhu zusammen.
Insgesamt begrüßt „atmosfair“ jedoch den Ansatz von Ryanair, transparenter sein zu wollen und nach eigener Aussage in klimafreundlichere Flugzeugtypen investieren wollen. „Nur ob das reicht, ist die Frage“, sagt Zhu zu TRAVELBOOK. „Noch kann man von keiner Fluglinie behaupten, dass sie grün ist. Fliegen ist nie grün. Noch nicht.“
Auf TRAVELBOOK-Anfrage hatte eine Sprecherin von Ryanair vergangenes Jahr gesagt: „Wenn alle großen EU-Fluggesellschaften mit der Flotte und den Auslastungsfaktoren von Ryanair operieren würden, würden die CO2-Emissionen auch bei einem deutlichen Verkehrsanstieg sinken.“
Auf erneute Anfrage, inwiefern mehr fliegen denn überhaupt grüner sein könnte, verwies Ryanair auf ein Video auf ihrer Website, in dem noch einmal begründet werden soll, warum Ryanair die grünste Airline Europas sei. In dem Video wird zusätzlich zu den Argumenten aus der Pressemitteilung noch darauf hingewiesen, dass Ryanair-Kunden bei der Buchung eines Flugs zustimmen könnten, pro Flug einen Euro für den CO2 Ausgleich zu spenden. Wie die Airline vor Kurzem ankündigte, soll dieser freiwillige Beitrag ab dem 1. April auf 2 Euro erhöht werden.
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Nach Angaben von Rynair nehmen derzeit „mehr als 3 Prozent“ der Kunden an diesem freiwilligen CO₂-Kompensationsprogramm teil. Die Gelder würden an verschiedene Organisationen, die sich dem Umweltschutz widmen, gespendet.
Am Ende aber kann man es drehen und wenden, wie man möchte: Jedes Flugzeug, jeder Flug stößt CO2 aus. Je mehr geflogen wird, desto mehr CO2 gelangt also auch in die Umwelt.