18. März 2015, 11:48 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Seit 25 Jahren verkauft Maryam Komeyli in Hamburg Reisen: am Flughafen und in ihrem Reisebüro an der Reeperbahn. In dieser Zeit erlebte sie am Last-Minute-Schalter die unglaublichsten Geschichten, die sie nun in dem Buch „Sie haben Ihr Baby am Airport vergessen“ zusammengefasst hat. Der Titel ist keine Erfindung, ein Paar vergaß tatsächlich das Kind am Flughafen. Wie es dazu kam – sowie sechs weitere unfassbare Episoden.
1. Baby am Last-Minute-Schalter vergessen
Das Unfassbarste, das mir je passiert ist, war bestimmt die Sache mit dem Baby. Ich hatte einer Familie eine Reise nach Kreta gebucht, bei der der Flug schon zwei Stunden später losgehen sollte. Die waren total in Hektik, das Baby schlief tief und fest im Maxi Cosi, und da sie in Airport-Nähe wohnten, bot ich an, dass sie das schlafende Baby kurz bei mir im Backoffice schlafen lassen könnten. Sie mussten ja eh schnell für den Check-in zurück sein.
Sie fuhren nach Hause, packten hektisch alles zusammen, kamen zum Airport zurück und stürmten an meinem Schalter vorbei. Sie schafften es gerade rechtzeitig zum Einchecken. Dass das Baby dabei vergessen wurde, hatte seine Gründe: 1. Die Familie war unter unfassbarem Zeitdruck und wahrscheinlich auch perplex, dass ich den Eltern in meiner direkten Art anbot, das schlafende Baby kurz im Backoffice zu hüten. 2. Das Baby war noch so klein, dass die Eltern es wohl noch nicht wirklich in ihrer Lebenswirklichkeit abgespeichert hatten.
Und ich habe mir sagen lassen: Kleine Babys schlafen ja viel. Als es aufwachte, war die restliche Familie schon über den Wolken. Es war ein Riesen-Aufwand, Kontakt zum Piloten aufzunehmen, um die Eltern zu fragen, ob sie nicht irgendwas vergessen hätten in Hamburg. Die Eltern konnten mir mit der Nummer einer Großmutter des Babys aushelfen, an die ich es kurze Zeit später schreiend übergab. Also, das Baby schrie. Ich inzwischen nicht mehr.
2. Ehestifterin im Einsatz
Diese Geschichte ist eigentlich typisch für mich. Zwei sich vollkommen fremde Menschen am Schalter wollten beide etwas ganz Exotisches buchen, hatten aber im Grunde kein Geld dafür. Aber ich hatte ein unglaubliches Schnäppchen gefunden. Sri Lanka in einem tollen Hotel. Aber es gab keine Einzelzimmer, und wenn, dann nur für einen für die beiden nicht bezahlbaren Aufpreis. Mir schien es logisch, den beiden Singles diese Traumreise zu ermöglichen, in dem ich sie in ein Doppelzimmer einbuchte. Schräg, dass sie sich darauf einließen, nicht wahr? Nach der Reise folgte die Hochzeit, nach der Hochzeit folgte ein Kind. Das Mädchen ist heute eine junge Dame. Sie hat den wunderschönen Namen Maryam bekommen. Ist das nicht schön?
3. Beschwerde 1
Zwei Typen aus Süddeutschland, die scheinbar auf einer Dienstreise nach Hamburg den Entschluss gefasst hatten, zum Ende des Jahres noch einmal gemeinsam die Sau rauszulassen, fragten bei mir am Schalter, ob sie ein Schnäppchen machen könnten. Karibik. Vier bis fünf Sterne. Am allerwichtigsten war ihnen, dass es eine All-inclusive-Reise sein sollte. Sie fragten bei allem, was ich ihnen anbot nach: „Ist das auch wirklich All-inclusive?“, was etwas nervte und für mich eine Art Running Gag der beiden war. Deswegen betonte ich auch jedes Mal: Ja, das ist WIRKLICH All-inclusive. Vier Wochen, nachdem sie zurück waren, ging bei mir ein Fax ein:
Sehr geehrte Frau Komeyli,
wir hatten am 12.11.00 bei Ihnen die von XXX Reisen angebotene und durchgeführte Reise ins „XXX Resort Hotel“ in Bávaro, Dominikanische Republik (…) gebucht (…). Es handelte sich um ein sogenanntes „All inclusive“-Arrangement.
Leider mussten wir vor Ort feststellen, dass längst nicht alle gewünschten Leistungen „all inclusive“ waren! Für uns zwei ledige, junge Herren in den besten Jahren gab es in der gesamten Hotelanlage nämlich leider keine attraktiven Sologirls, die allein reisten und die wir hätten kennenlernen können, damit sie uns für einen perfekten Urlaub „all inclusive“ hätten zur Verfügung stehen können. Entweder waren die hübschen Mädels in unserem Alter alle „besetzt“, d.h. sie reisten mit Partner an, oder das Alterssegment alleinstehender Damen bewegte sich bei 50 Jahren und darüber – ein unzumutbarer Zustand!
Wir zeigten diesen gravierenden Reisemangel sofort bei dem örtlichen Reiseleiter, Herrn XXX, an, mit der Bitte, sofortige Abhilfe zu schaffen. Herr XXX stand unserem Problem völlig verständnislos gegenüber und konnte bzw. wollte uns nicht helfen. Er empfahl uns lediglich die örtliche Disco.
Insofern waren wir gezwungen, auf junge Damen außerhalb der Hotelanlage auszuweichen. Die Leistungen dieser Damen waren logischerweise nicht „all inclusive“ und wir waren trotz großen Verhandlungsgeschicks gezwungen, jeweils 70 US-Dollar pro Mann und pro Nacht zu zahlen, was ein unerwartet großes Loch in unsere Reisekasse riss. Laut beigefügten Rechnungen können Sie erkennen, dass wir die Dienste dieser Damen an zwei Nächten in Anspruch genommen haben, sodass wir auf Kosten von 2 x 70 US-Dollar x zwei Nächte = 280 US-Dollar sitzengeblieben sind.
Wir bitten Sie deshalb, uns den Betrag von US-Dollar 280 per Verrechnungsscheck in DM zu erstatten und an meine oben genannte Adresse in XXX zu schicken. Da wir uns vor Ort trotz dieser fehlenden „All inclusive“-Leistung im Hotel anderweitig behelfen konnten, sehen wir von einer Schadensersatzforderung wegen entgangener Urlaubsfreuden ab.
Wir bitten um umgehende Antwort sowie eine zügige Abwicklung unseres Anliegens und verbleiben mit freundlichen Grüßen
XXX und XXX ((Fax Ende))
Die beiden hatten sich übrigens wirklich eine Quittung von den örtlichen Prostituierten ausstellen lassen und diese mitgefaxt.
4. Ladys first
Typische Geschichte für mein Reisebüro auf der Reeperbahn. Ein Mann kommt rein. Langjähriger Stammkunde. An seiner Seite eine ABSOLUTE Traumfrau. Perfekt gebaut. Super Brüste. Knackarsch. Eine Thaischönheit von Mitte 20. Mir ist wirklich die Kinnlade vor Neid runtergefallen, als sie reinkamen. Doch die Freude überwog, er hatte lange nach dem privaten Glück für sein Leben gesucht. Er hatte „Lu“, die Liebe seines Lebens, in Thailand gefunden. Er brauchte ein Ticket nach Bangkok für die Schönheit und war ansonsten wortkarg.
Ich dachte, er sei vielleicht traurig, dass sie erst einmal nach Thailand zurückmusste. Als es zur Buchung ging, sagte ich zu ihm: „Dann brauch ich für die Buchung die Daten von Lu, erst einmal den Namen. Misses…?“, und erwartete, dass er mir ihren vollen Namen nennen würde. Stattdessen flüsterte er mir ein leises „Mister“ entgegen. Ich wiederholte, da ich meinte, er wolle zuerst seinen eigenen Namen angeben: „Nein, erst Misses…?“ – „Mister!“ Ein paar Mal ging das hin und her. Am Ende sagte ich etwas schroff: „Mein Lieber, Ladys first, bitte, erst sie. Also, Misses…?“ – „Mister!“
Es wurde mir echt zu doof. „Was meinst du, verdammt noch mal, damit?“ Die Antwort war so unzweideutig wie kaum zu glauben: „Sie hat… Eier zwischen den Beinen!“ Da fiel mir das zweite Mal die Kinnlade runter.
5. Beschwerde 2
Es gibt typische Beschwerden, die uns allen in der Branche immer mal wieder unterkommen. Man muss das ja auch verstehen, wenn Menschen lange auf etwas sparen und am Ende enttäuscht werden, dann wollen sie ihrem Ärger auch Luft machen. Es gibt ja ganze Sammlungen im Internet über die skurrilsten Beschwerden. Viele Kunden lesen so manche Reisebeschreibung oder hören etwas im Gespräch am Schalter, wenn ich ihnen von tollen Einzelheiten erzähle, die sie dann so nicht vorfinden.
Der Süßwasserpool, der nicht nach Brause schmeckte zum Beispiel. Oder dass man das Steakhouse am Strand nicht gefunden hätte, nur, weil ich zuvor gesagt hatte, es gäbe einen Steg am Strand. Am allerverrücktesten war allerdings der Mann, der wirklich wutentbrannt direkt vom Gepäckband zu mir an den Schalter stürmte und sich beschwerte, dass es bei ihm im Hotel nicht die versprochene Bibliothek mit alkoholischer Bewirtung gegeben hätte. Schließlich hätte im Katalog gestanden: Buchbar von April bis September.
6. Der Scheich
Einmal hat „Stern TV“ eine Reportage über mich gedreht, und ich sagte darin ehrlich, dass ich zu dem damaligen Zeitpunkt sieben Jahre lang keinen Urlaub gemacht habe. Die einzigen Reisen, die ich machte, waren Inforeisen für L’tur. Da lernt man dann neue Destinationen kennen, damit man diese besser verkaufen kann. Bei einer solchen Reise nach Abu Dhabi lernte ich später einen engen Vertrauten des Scheichs des damals noch touristisch total unbekannten Emirates Ra’s al-Chaima kennen. Er bot mir eine Wette an, dass ich es nicht schaffen würde, innerhalb von vier Wochen zehn Zimmer im Sheraton Abu Dhabi zu verkaufen.
Vier Tage später, nach meiner Rückkehr nach Hamburg, war es ihm wohl etwas unangenehm, mich so unter Druck gesetzt zu haben, und er bat darum, die Wette zurückzuziehen. Als ich ihm sagte, dass ich das schade fände, da ich in den vergangenen drei Tagen 25 Zimmer verkauft hatte, war er baff und beschloss, Scheich Faisal bin Saqr Al Qasimi von mir zu erzählen. Der Scheich lud mich zu meinem ersten Urlaub nach sieben Jahren ein. Es war der absolute Luxusurlaub mit Butler, Schampus und Jacht. Ich revanchierte mich später und lud ihn nach Hamburg ein. Zu Hafenrundfahrt, alkoholfreiem Bier aus der Flasche und Labskaus. Insofern habe ich jetzt also in 25 Jahren schon zweimal privaten Urlaub gemacht.
7. Bus nach Kairo
Eine kanadische Backpackerin war zu mir an den Schalter geschickt worden, irgendjemand hatte ihr versichert, ich würde ihr Problem lösen können. Die ganz verrückten Fälle landen scheinbar immer irgendwann bei mir. Dabei war ihr Wunsch durch ihre Frage eigentlich recht deutlich formuliert: „Wo bitte fährt denn hier der Bus nach Kairo ab?“ Der Hintergrund: Sie ist in Kanada mit sehr überschaubarem Budget in ein Reisebüro gegangen und hat gesagt, sie möchte davon nach Kairo fliegen. Und der Kollege in Kanada hat sich gedacht: Für die Kohle kriege ich die nie nach Kairo. Also hat er ihr gesagt: „Ich hab hier ein absolutes Schnäppchen. Ein Flug nach Hamburg, das ist ganz in der Nähe, von da kannst den Bus nehmen!“
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Maryam Komeyli im Kurz-Interview
TRAVELBOOK: Frau Komeyli, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Ihr Leben am Last-Minute-Schalter zu schreiben?
Maryam Komeyli: „Das Verrückte ist, dass die Idee zu dem Buch geboren wurde, als mir der Großteil der Geschichten noch gar nicht passiert war. Vor mehr als zwanzig Jahren. Einer der beiden Autoren, die das Buch mit mir aufgeschrieben haben, hatte damals, in seinen Anfangstagen als Journalist, den Auftrag, mit mir eine Story am Airport vorzubereiten. Der Schalter war voll, ich ließ ihn stundenlang warten. Geschäft ging schon immer vor. Am Ende ging er nicht nur mit einer Sri-Lanka-Reise, sondern auch mit den Worten: Was ich hier erlebt habe, glaubt mir kein Mensch. Darüber muss man einmal ein Buch schreiben. Es ist im wahrsten Sinne die perfekte Reiselektüre geworden.“
Welche typischen Fragen am Counter nerven Sie am meisten?
„Ich bin ja Dienstleister, mich kann so schnell keine Frage nerven. Wenn ich mich aber festlegen müsste, dann wären das hier meine Top-3-Situationen samt Fragen.
Platz 3: Kunden, die über Weihnachten und Silvester weg wollen und mit der Frage: ‚Wieso ist denn das so teuer?‘ vergessen, dass sie weltweit nicht ganz alleine sind mit dem Wunsch, zu diesem Zeitpunkt zu verreisen.
Platz 2: 14 Jahre nach Euro-Einführung die Frage gestellt zu bekommen: ‚Und womit bezahle ich denn eigentlich in Spanien?‘
Platz 1: Häufig kommt es vor, dass sich Menschen in die Schlange am Schalter einreihen, abwarten, bis alle Beratungsgespräche vor ihnen zu Ende gegangen sind, um dann zu fragen: ‚Wo geht es denn hier zu den Toiletten?‘. Ach ja, manchmal sieht man schon Kundinnen mit Fragezeichen auf der Stirn die Rolltreppe hochkommen und denkt, was wird sie bloß fragen. ‚Wo ist mein Mann?’“
Wie reagiert man auf solche Fragen?
„Mit Humor. Mein Buch ist doch das beste Beispiel dafür, wie traurig es wäre, wenn mir im Laufe meines Lebens nicht so viele absurde Fragen gestellt worden und absurde Dinge passiert wären. Und meine Kunden danken es mir, wenn ich sie aufkläre und wir dann manchmal gemeinsam darüber lachen können, wie albern doch die ein oder andere Frage war, die sie zuvor hatten.“