31. August 2020, 13:01 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Es spart Sprit und verringert den Fluglärm – aber ist das neue, am BER geplante Flugmanöver auch sicher? TRAVELBOOK hat bei Experten nachgefragt.
Offiziell trägt sie den etwas kryptischen Namen „LULUL 1B” oder Hoffmannkurve – bereits jetzt wird eine mögliche Abflugvariante, die nach Eröffnung am Hauptstadtflughafen BER praktiziert werden soll, aber intern als „Kotzkurve” bezeichnet. Die Rede ist von einem Flugmanöver, bei dem der Pilot bei Ostwind bereits kurz nach dem Start in nur 180 Metern Höhe eine Rechts-Kurve von 145 Grad einschlägt.
Der Vorteil: Die so zustande kommende Flugroute erspart den Gemeinden Eichwalde, Schulzendorf und Zeuthen sowie dem Ortsteil Waltersdorf Fluglärm, den Airlines erspart sie Flugkilometer und damit Sprit – aber ist sie auch wirklich sicher? „Das Manöver ist technisch anspruchsvoll, aber sicher und machbar”, sagt Kerstin Weber, Pressesprecherin des Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung (BAF) zu TRAVELBOOK. „Jeder Pilot kann das. Ob er diese Variante am Ende dann aber tatsächlich ausführen möchte, muss er selbst in Absprache mit der Airline entscheiden.”
„Kein Pilot würde so etwas freiwillig machen”
Zu beachten sei für die Machbarkeit des Manövers unter anderen die Auslastung und damit das Gewicht der Maschine sowie auch das Wetter. Um Fluggästen die Unsicherheit zu nehmen, die eine solch abrupte Bewegung auslösen könnte, könne der Pilot vor dem Start darüber informieren. Das BAF hat das Flugverfahren bereits 2012 zertifiziert. Luftfahrt-Experte Heinrich Grossbongardt ergänzt zu TRAVELBOOK: „Eine solche Kurve bei niedriger Geschwindigkeit und geringer Höhe – ich denke, kein Pilot würde so etwas machen, wenn es sich vermeiden lässt.”
Grossbongardt gibt zu bedenken, dass Risiken wie ein möglicher Vogelschlag oder ein Triebwerksausfall in eine solche Rechnung mit einzukalkulieren seien. „Wer Flugangst hat, und dann so ein Manöver mitbekommt, wird sich damit bestimmt nicht sicher fühlen.” Auch Grossbongardt erwähnt aber die Lärmersparnis des Verfahrens und sagt, als Variante sei diese Art von Abflug „durchaus zu begrüßen”. Pflicht solle diese Hoffmannkurve aber nicht werden.
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Klagen gegen die „Kotzkurve“
Die Diskussionen um die „Kotzkurve” sind so groß, dass es gegen die Route bereits Klagen gab. Diese wurden vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg abgeschmettert. Tatsächlich können Piloten statt des radikalen Manövers auch einen alternativen Start wählen, die sogenannte GORIG-Route mit einem längeren Geradeaus-Steigflug, wie Kerstin Weber sagt. Auf der Webseite des BAF kann man sich über solche und ähnliche Flugverfahren informieren. Laut Grossbongardt gibt es auch an anderen Flughäfen wie Innsbruck solche kurvigen Routen – nämlich dann, wenn die Maschinen bereits kurz nach dem Start einem Hindernis ausweichen müssen, zum Beispiel einem Berg. Die Hoffmannkurve sei aber eine „Berliner Spezialität”, benannt nach einem Privatpiloten, der sie sich einst für den BER ausgedacht habe.
Für die Airlines würde sich dieses Verfahren auf innerdeutschen Strecken aber durchaus lohnen: „Sagen wir, eine Maschine spart auf diese Weise 15 Flugkilometer, und damit etwa 100 Kilogramm Sprit — da kommt auf ein Jahr gerechnet schon ganz schön was zusammen”, sagt Grossbongardt.