9. Juli 2018, 8:36 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Fluglotsen tragen täglich die Verantwortung für Tausende Passagiere. Entsprechend brauchen sie für ihren Job immer hundertprozentige Konzentration. Nur einer von zehn Bewerbern schafft den schwierigen Aufnahmetest. Fluglotse Sven nahm TRAVELBOOK mit an seinen Arbeitsplatz, den Tower am Flughafen Berlin-Tegel.
„Reduce speed one four zero“, spricht Sven in das schwarze Mikrofon in der „Kanzel“, dem obersten Stockwerk im Tower am Flughafen Berlin-Tegel. Mit den englischen Kurzbefehlen navigiert er einen Airbus auf die Startbahn. Gleichzeitig hat er einen weiteren Flieger im Blick, der im Anflug ist und in wenigen Minuten auf der Landebahn aufsetzen wird.
Sven ist Fluglotse bei der Deutschen Flugsicherung (DFS). Dabei ist der 24-Jährige für den Luftraum um Tegel zuständig. Zu Stoßzeiten befinden sich darin gleichzeitig bis zu 30 Flugzeuge, die er zusammen mit seinen Kollegen überwacht und dirigiert. Dafür arbeiten sie im Team: Einer koordiniert Starts und Landungen, ein weiterer ist für alle Bewegungen am Boden zuständig und beide werden von einem sogenannten Platzkoordinator unterstützt.
Meister des Multitasking
Im Tower geht es weder laut und hektisch zu wie an der Börse noch herrscht Grabesstille. Im Gegenteil: Eigentlich ist es ein bisschen wie in einem normalen Büro mit toller Aussicht, in dem zwar alle konzentriert arbeiten, sich aber auch mal übers Wochenende unterhalten.
Fluglotsen sind Meister im Multitasking. Sie können kurz mit dem Kollegen quatschen und dennoch im Blick haben, was auf ihrer Welle los ist. Um Entfernungen und reale Bedingungen in Echtzeit besser abzuschätzen, verlässt sich Sven nicht ausschließlich auf das Radar, sondern greift auch immer wieder zum Fernglas.
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Permanente Konzentration
Auch wenn die Arbeit der Fluglotsen auf den ersten Blick gar nicht so spektakulär aussieht – sie hat es in sich. Zu Beginn seines Dienstes verschafft sich Sven einen Überblick über Einschränkungen oder besondere Vorkommnisse im Luftraum, ob es Drohnen oder Kinderluftballons gibt, die Piloten irritieren könnten. Dann beginnt der Dienst in der Kanzel. Um die Konzentration zu wahren, ist er alle zwei Stunden zu einer Pause verpflichtet. Sven dreht dann entweder draußen ein Ründchen, trifft sich mit befreundeten Piloten auf einen Kaffee oder legt sich, wenn er Frühdienst hat, in einen Ruheraum.
Aufgewachsen in Sichtentfernung des Frankfurter Flughafens, war Sven schon immer fasziniert von der Luftfahrt. Pilot oder Fluglotse, das war schon als Kind sein Berufswunsch, nachdem ihn eine befreundete Fluglotsin mit in den Tower genommen hatte. Heute undenkbar, die Sicherheitsvorkehrungen sind so groß, dass Besucher im Tower die große Ausnahme sind.
Nur die Besten schaffen den Aufnahmetest
„Natürlich hatte ich von dem strengen Aufnahmetest gehört“, sagt er TRAVELBOOK. Dennoch versuchte er nach dem Abitur sein Glück – und wurde genommen. Nur einer von zehn Bewerbern oder Bewerberinnen schafft es durch die Prüfung, die insgesamt fünf Tage beim Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Hamburg stattfindet und vergleichbar ist mit dem Einstellungstest für Piloten.
Im ersten Teil werden räumliches Vorstellungsvermögen, Merkfähigkeit, Reaktionsvermögen und Englischkenntnisse getestet und auch, wie motiviert der Bewerber ist. Im zweiten geht es um die psychische Belastbarkeit, abschließend folgt ein Gesundheitscheck.
„Auf die Tests kann man sich nur bedingt vorbereiten“, sagt Sven. „Es sind Fähigkeiten, die man sich auch nicht aneignen kann. Entweder man hat sie oder nicht.“ Deshalb gibt es auch nicht die Möglichkeit, den Test zu wiederholen. Zwischen 18 und 24 Jahren dürfen angehende Fluglotsen alt sein. Bereits mit 52 Jahren können sie sich in den Vorruhestand versetzen lassen.
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Wie viel Fluglotsen verdienen
Nach bestandener Prüfung absolvierte Sven den ersten Teil seiner Ausbildung auf dem Campus der Deutschen Flugsicherung in Langen bei Frankfurt. Zwölf bis 15 Monate dauert die Grundausbildung im Lehrcenter – und wird bereits mit rund 1.200 Euro einschließlich Wohngeld vergütet. Während des praktischen Teils im Tower sind es schon 4.000 bis 5.000 Euro brutto, je nach Standort und Fortschritt der Ausbildung. Fertig ausgebildete Lotsen verdienen ab 7.000 Euro brutto zuzüglich Schichtzulage. Aktuell ist die DFS wieder auf der Suche nach Anwärtern für die Lotsenausbildung. Ganz neu ist ein duales Studium, bei dem die Ausbildung mit einem Bachelor verknüpft wird.
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Das „Training on the Job“ absolvierte Sven im Tower in Tegel. Lotsen werden immer für einen bestimmten Luftraum ausgebildet. Wechseln sie den Einsatzort, müssen sie diesen Teil der Ausbildung erneut durchlaufen. Neben den Tower-Lotsen gibt es auch sogenannte Center-Lotsen, die in den Radarkontrollzentralen der DFS in Langen, Bremen, Karlsruhe und München arbeiten. Von dort aus überwachen sie den gesamten Luftraum der Region am Radar.
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Schnelle Reaktion und große Verantwortung
Sven arbeitet mit seinen Kollegen im Schichtdienst, denn der Tower ist rund um die Uhr besetzt. Für ihn hat das Vor- und Nachteile: „Klar, niemand mag es, eine Woche lang morgens um vier anzufangen oder am Wochenende zu arbeiten. Aber dafür habe ich auch mal unter der Woche frei oder kann vor dem Dienst Dinge erledigen“, sagt er.
Kein Dienst ist wie der andere: Ist ein Gewitter im Anmarsch oder hat ein Passagier an Board einen Herzinfarkt, muss Sven alle Pläne für seinen Luftraum umschmeißen und die Reihenfolge der Starts und Landungen neu sortieren – und sich am besten noch einen Plan B zurechtlegen. Dafür hat er gegebenenfalls nur wenige Sekunden Zeit – und kann sich nicht bei einem Kollegen oder Vorgesetzen Rat holen, denn das würde zu lange dauern.
Dass er jeden Tag die Verantwortung für Tausende Menschenleben trägt, ist Sven bewusst, er denkt aber nicht jeden Moment daran: „Das wäre nicht zielführend und würde mich zu sehr von meiner tatsächlichen Arbeit ablenken“, erklärt er TRAVELBOOK. Entspannung holt er sich bei seiner Familie und Freunden, von denen viele ebenfalls in der Luftfahrt arbeiten.
Wenn Sven privat ins Flugzeug steigt, dann fühlt er sich so sicher, dass er in der Regel gleich einschläft und erst bei der Landung wieder aufwacht. Im September wird er zurück in die Heimat an den Flughafen Frankfurt wechseln, wo seine große Leidenschaft für die Luftfahrt begann.