4. März 2019, 11:18 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Schon in diesem Jahr hat die Zahl von Flugausfällen und -verspätungen in Europa ein Rekordhoch erreicht. Nach Prognosen des Airlineverbands IATA soll das Flug-Chaos 2019 sogar noch größere Ausmaße annehmen. Ein möglicher ungeregelter EU-Austritt Großbritanniens könnte die Lage zusätzlich verschärfen.
Flugverspätungen und -ausfälle könnten auch in diesem Sommer wieder die Nerven zahlreicher Fluggäste in Europa blanklegen. Damit rechnet sowohl der BDL (Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft) als auch das Unternehmen Tuifly.
Tuifly-Chef Oliver Lackmann sagte dem „Tagesspiegel“: „Wir haben nach wie vor Engpässe bei der Flugsicherung und sehen weiterhin logistische Schwierigkeiten an den Airports bei gleichzeitigem Wachstum des Luftverkehrs. Das lässt sich nicht von heute auf morgen ändern.“ Der kommende Sommer werde seiner Meinung nach zu einer Herausforderung für alle.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Klaus-Dieter Scheurle, hatte bereits Anfang Februar angekündigt, dass auch der Sommer 2019 schwierig werden würde – obwohl Airlines, Flughäfen und Flugsicherung alles unternähmen, damit sich das Chaos des letzten Sommers nicht wiederholt.
Deutlich mehr Verspätungen und Flugausfälle bis 2040
Der Airline-Verbands IATA schätzt, dass sich die Zahl der Flugpassagiere in den kommenden 20 Jahren weltweit verdoppeln wird. Im Jahr 2037 könnten bis zu 8,2 Milliarden Passagiere durch die Welt fliegen. Zusätzlich verweisen Ergebnisse einer Studie von Eurocontrol darauf, dass sich bis zum Jahr 2040 die Zahl der um bis zu zwei Stunden verspäteten Flüge voraussichtlich versiebenfachen werde. Betroffen wären dann 470.000 Passagiere statt derzeit rund 50.000. Dabei geht Eurocontrol von einem jährlichen Verkehrswachstum von 1,9 Prozent aus, das sich bis 2040 auf einen Zuwachs von 53 Prozent auf 16,2 Millionen Flüge im Jahr summiere.
Eurocontrol geht davon aus, dass die 111 wichtigsten Flughäfen auf dem Kontinent ihre Kapazität lediglich um 16 Prozent ausweiten können. In der Folge könnten jährlich 1,5 Millionen Flüge mit zusammen 160 Millionen Passagieren nicht stattfinden. An ihren Kapazitätsgrenzen müssten 16 statt bislang sechs europäische Flughäfen arbeiten. Neben dem Bau zusätzlicher Landebahnen könnten auch technische Innovationen und der Einsatz größerer Maschinen den Flugverkehr verbessern, erläuterte Brennan, der gleichwohl die Politik zum Handeln aufforderte.
Rückblick auf den Chaos-Sommer 2018
Den ganzen Sommer 2018 über kam es auch an deutschen Flughäfen immer wieder zu langen Warteschlangen, Verspätungen und Flugausfällen. In Frankfurt und München hatten sich Sicherheitspannen ereignet, die die Airports zwischenzeitlich lahmlegten. Zudem trafen Pilotenstreiks bei Ryanair nicht nur im August Zehntausende Passagiere, und die Insolvenz von Air Berlin im vergangenen Jahr wirbelte immer noch einige Flugpläne durcheinander.
Schaut man sich die Erklärungen für die angespannte Situation beim Flugreiseverkehr im vergangenen Sommer an, so fällt auf, dass es nicht einen spezifischen Grund für die Verspätungen und Ausfälle gibt, sondern es die Summe aus unterschiedlichen Faktoren ist, die sich in diesem Jahr gegenseitig verstärkten.
Stefan Schulte, Chef des Airport-Verbands ADV und auch der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport, sieht die größten Probleme beim Mangel an Fluglotsen und im engen Luftraum, wie er gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe erklärte. „Es müssen deutlich mehr Fluglotsen eingestellt und in die Ausbildung gebracht werden.“ Zudem würden zusätzliche Flugkorridore „neben, über oder unter den bestehenden“ benötigt.
TRAVELBOOK listet im Folgenden auf, was Fluggesellschaften und Airports in diesem Jahr sonst noch vor besondere Herausforderungen gestellt hat und möglicherweise noch stellen wird:
Hauptfaktoren: Streiks und Pannen
Ein Großteil der Flugstreichungen im ersten Halbjahr 2018 sei auf Streiks zurückzuführen, sagte Easyjet auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Allein im Monat Mai hat die britische Billigairline nach eigenen Angaben 974 Flüge gestrichen. „Dies entspricht etwa 2,5 Prozent der geplanten Kapazität und übertraf die im Mai 2017 verzeichneten 117 Flugstreichungen.“ Etwa 600 der Flugstreichungen seien auf Streiks in Frankreich und Italien zurückzuführen, weitere 300 auf ungünstige Wetterbedingungen und Beschränkungen durch die Luftverkehrsüberwachung.
Auch bei TUIfly verzeichnet man im Vergleich zum Vorjahr „extrem erhöhte Zahlen für Flugverspätungen“, wie Sprecher Aage Dünhaupt erklärt. Gründe für Verspätungen von mitunter bis zu 16 Stunden, weiß Dünhaupt, seien auch hier vor allem schlechtes Wetter und die andauernden Fluglotsenstreiks in Frankreich. Betroffen seien in erster Linie die TUIfly-Flüge nach Madeira, auf die Balearen und Kanaren.
„Bei einem Lotsenstreik in Frankreich dürfen die Flugzeuge den französischen Luftraum nicht durchfliegen und müssen auf Lufträume in Nachbarsektionen wie Italien und Portugal ausweichen, die dann überlastet sind“, erklärt Dünhaupt TRAVELBOOK. Zusammen mit den Streiks in Italien und Griechenland sei in diesem Jahr bisher ein kompletter Monat gestreikt worden, rechnet der TUIfly-Sprecher vor. Bei einer Fortsetzung der Ausstände, die nach Dünhaupts Einschätzung wahrscheinlich ist, werde sich die Situation in der Hauptreisezeit Juli und August voraussichtlich verschärfen.
Auch bei Ryanair gab es in diesem Jahr deutlich mehr Flugausfälle als 2017. Im Mai 2018 seien mehr als 1000 Flüge gestrichen worden, teilt die irische Billigairline auf TRAVELBOOK-Nachfrage mit. „Fast alle aufgrund von Personalmangel und Streiks bei der Flugverkehrskontrolle, was dem 24-Fachen der 43 Flüge entspricht, die im Mai 2017 gestrichen wurden“, heißt es. „Wir haben die EU-Kommission und europäischen Regierungen aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um einen vollständigen Dienstleistungskollaps der europäischen Flugverkehrskontrolle in diesem Sommer zu verhindern“, sagt Ryanair-Sprecher Robin Kiely.
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Personalmangel, Engpässe bei den Sicherheitskontrollen
Eurowings nennt ebenfalls Zahlen: Im ersten Halbjahr 2018 seien von 113.439 Flügen 1578 (1,4 Prozent) gestrichen worden, heißt es bei der Lufthansa-Tochter. Gründe für die Streichungen seien zahlreiche „Störfaktoren“ gewesen, auch hier werden schlechtes Wetter und Fluglotsenstreiks genannt, sowie ein zersplitterter europäischer Luftraum und akuter Personalmangel bei den Flugsicherungen. Hinzu komme laut Eurowings, dass nach der Insolvenz der Air Berlin Group zahlreiche Fluggesellschaften daran arbeiteten, „die weggefallene Kapazität von mehr als 140 Flugzeugen zu ersetzen. Für diese schwierige Übergangsphase hatten wir sicherheitshalber deutlich mehr Reserven berücksichtigt als in den Jahren zuvor“. Dennoch sei es laut Eurowings zu „unvorhergesehen Entwicklungen in den vergangenen Wochen“ gekommen. Im Zuge der Transaktion von 77 Flugzeugen in die Eurowings Group habe es „leichte Verzögerungen“ bei der Zertifizierung gegeben. „Wir sind aber zuversichtlich, dass der aufwendige Zertifizierungsprozess im Juli abgeschlossen sein wird“, teilt Eurowings mit.
Auch Lufthansa ist nach eigener Aussage „in den vergangenen Wochen von Flugausfällen betroffen gewesen“. Einerseits aufgrund des bereits mehrfach genannten schlechten Wetters und Gewittern, aber auch wegen der „Knappheit bei den Flugsicherungskontrollen entweder durch Streiks oder durch Personalmangel und personalen Engpässen bei den Sicherheitskontrollen an den Flughäfen“, teilt man TRAVELBOOK mit.
Über die Gründe für Flugausfälle und Flugverspätungen hat TRAVELBOOK auch mit Stefan Eiselin, Flug-Experte und Redakteur bei Aerotelegraph, gesprochen. „Das Aus von Air Berlin hat sehr viel verändert. Die Flugrouten sind zwar wieder alle besetzt und zum Teil sogar mehrfach, sodass das Angebot sogar größer geworden ist. Aber Airlines wie beispielsweise Condor, Eurowings oder Easyjet haben gar nicht genug Flugzeuge, sodass sie welche anmieten müssen – und das läuft nicht immer rund“, sagt Eiselin. Auch er nennt neben Streiks und Wetter steigenden Flugverkehr und damit Personalengpässe als Faktoren. „Die Menge an Flügen kann nicht mehr im richtigen Zeitfenster bewältigt werden“, sagt er. Personal fehle auch bei den Sicherheitskontrollen, „sodass es schon dort zu ersten Verzögerungen kommt“. Kürzlich berichtete TRAVELBOOK auch über veraltete und umständlich organisierte Personenkontrollen an deutschen Flughäfen.
Laut Eurocontrol-Analyse sind hauptsächlich Airlines schuld
„Die Kapazitätssituation im europäischen Luftraum ist aufgrund der sehr starken Nachfragesteigerungen seit 2017 angespannt“, sagt Christian Hoppe, Sprecher der Deutschen Flugsicherung (DFS), zu TRAVELBOOK. Die Folge: „temporäre Kapazitätsengpässe und Verzögerungen“. In Zentraleuropa am stärksten betroffen sind laut Hoppe der obere Luftraum und damit im deutschen Luftraum die Kontrollzentrale Karlsruhe und die Eurocontrol-Kontrollzentrale Maastricht. „So kam es in den ersten Monaten des Jahres 2018, insbesondere im Mai, zu Kapazitätsengpässen.“ Da jedoch alle „Systempartner“ wie Airlines, Airports und Flugsicherung gleichermaßen mit Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, verteilten sich die Verspätungsgründe auf alle Partner.
Zahl der Fluglotsen lässt sich nicht kurzfristig erhöhen
Angesprochen auf Personalengpässe bei den Fluglotsen sagt Hoppe: „Die DFS unternimmt maximale Anstrengungen, um das Kapazitätsangebot schnellstmöglich der unerwartet hohen Verkehrsnachfrage anzugleichen. Seit 2018 wurde die Nachführung von Fluglotsen am Maximum der Ausbildungskapazität angepasst.“ Die DFS rekrutiere nun 120 Fluglotsen-Auszubildende pro Jahr für den Einsatz in den Kontrollzentralen und auf den Towern – mehr als doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. „Wegen der langen Ausbildungszeiten – von der Rekrutierung eines Lotsen bis zum Einsatz in Kontrollzentrale oder Tower vergehen mehr als vier Jahre – lässt sich die Zahl der Lotsen nicht kurzfristig erhöhen“, sagt der DFS-Sprecher.
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Personalmangel Lufthansa und Tochter-Airlines streichen in der Ferienzeit Tausende Flüge
Fehlendes Personal Hält das Chaos an den Flughäfen den ganzen Sommer über an?
Kritik an eng getakteten Flugplänen
Es hat den Anschein, dass aus genannten Gründen die Airlines selbst wenig für die Flugausfälle und Verspätungen können. Das sehen Fluggastrechte-Portale wie EUclaim und Flightright allerdings anders. „Airlines sollten ihre Flugpläne so flexibel gestalten, dass außergewöhnliche Umstände besser als aktuell abgefedert werden können“, sagt etwa Paul Vaneker, Flugdaten-Experte bei EUclaim, zu TRAVELBOOK. Die eng getakteten Flugpläne vieler Airlines führten zur maximalen Auslastung der Flugzeuge. „Wenn ein Flugzeug dann nicht planmäßig fliegen kann, ergeben sich sehr schnell Folgen für die ganze Flotte. Dann kommt es – wie aktuell – zu so vielen Verspätungen und Ausfällen“, sagt Vaneker.
Ähnlich äußert sich auch eine Sprecherin von Flightright: „Würden die Airlines ihre Flüge beispielsweise etwas großzügiger takten, könnte Kettenreaktionen in Form von Folgeverspätungen oder -ausfällen vorgebeugt werden.“ Der Fokus der Airlines läge aber in vielen Fällen eher darauf, Kosten zu sparen. „Durch die Verspätungen und Annullierungen, welche die enge Taktung erzeugt, verlieren die Fluggesellschaften aber wieder viel Geld.“ Laut Flightright könne Annullierungen und Verspätungen auch durch „flexiblere und weitsichtigere Personalplanung der Fluggesellschaften“ entgegengewirkt werden. „Denn nicht selten kommen diese auch durch Personalengpässe zustande“, sagt die Sprecherin weiter. Zusätzlich gelte es, Abflugverzögerungen aufgrund kurzfristig auftretender technischer Probleme durch adäquate Wartung der Flugzeuge vorzubeugen.
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