2. November 2023, 13:06 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Internationale Medien berichten von immer mehr Flugbegleitern, die einen Burn-out erleiden und ihren Job aufgrund von Erschöpfung pausieren oder gänzlich an den Nagel hängen müssen. Wie ist die Situation bei uns? TRAVELBOOK hat die aktuelle Lage beleuchtet und auch bei Flugbegleiterinnen einer großen deutschen Airline nachgefragt, wie es ihnen geht.
Erinnern Sie sich noch an die Sommerurlaubs-Saison 2022? An den Flughäfen herrschte Chaos. Denn in den Jahren zuvor war Reisen – Stichwort Corona-Pandemie – allenfalls eingeschränkt oder gar nicht möglich gewesen. Auf einmal konnte man wieder in den Urlaub fliegen, und Unzählige wollten es. Die Airports brachen unter den Menschen- und Gepäckmassen förmlich zusammen. Denn viele Mitarbeiter hatten sich in den vorangegangenen Monaten beruflich umorientiert, die Teilzeitverträge von zahlreichen Angestellten waren ausgelaufen. Die Folge war ein enormes Arbeitsaufkommen für die wenigen Verbliebenen. Wenn man jetzt liest, dass immer mehr Flugbegleiter ein Burn-out erleiden, lässt das vermuten, dass sich an den Zuständen nichts geändert hat. TRAVELBOOK hat nachgeforscht.
Übersicht
Mehr Burn-outs bei US-amerikanischen Flugbegleitern
In einem kürzlich beim Online-Reiseportal „CNN Travel“ erschienenen Beitrag ging es um die oben umrissenen Zusammenhänge. Die harten Arbeitsbedingungen haben demnach unter US-amerikanischen Flugbegleitern zu einem vermehrten Aufkommen von Burn-outs geführt. Wie es dort heißt, waren die Crew-Mitglieder die Leidtragenden davon, dass Airlines und Reiseveranstalter den Betrieb nach der Corona-Pandemie möglichst schnell wieder zum Laufen bringen wollten – und das bei einer nach wie vor reduzierten Zahl an Mitarbeitern. Daneben vermeldete 2021 die Luftfahrtbehörde FAA eine Häufung von Fällen „bedrohlichen oder gewalttätigen Verhaltens durch Fluggäste“. Auch hierzu von „CNN Travel“ befragt, sagte ein Flugbegleiter: Mit der Pandemie sei „alles, was am Beruf des Flugbegleiters Spaß macht (…), befriedigend und aufregend ist, weggefallen“.
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(Selbst-)Hilfegruppen für bekanntes Problem
In dem Beitrag kommt auch die US-amerikanische Flugbegleiterin Nastassja Lewis zu Wort. Sie hat im Jahr 2018 die gemeinnützige Organisation „Thairapy“ gegründet, wo demnach Flugbegleiter mit psychischen Problemen Unterstützung und Beratung finden. Angefangen als relativ kleine Facebook-Gruppe sei die Mitgliederzahl mit der Corona-Pandemie rasant angewachsen. Lewis, die selbst die Erfahrung eines Burn-outs gemacht habe, merkte einmal mehr, wie wichtig in der Branche die Förderung der psychischen Gesundheit ist.
Seit einigen Monaten gibt es ein solches Hilfsprogramm explizit für Mitarbeiter der Schweizer Luftfahrtgesellschaft Swiss. Dieses betreibt die Airline selbst. Sie führte das Programm ein, nachdem einige ihrer Mitarbeiter öffentlich Alarm geschlagen hatten. „Die Swiss saugt uns Flight-Attendants aus“, zitierte eine von ihnen damals die Tageszeitung „Blick“, „mit Bedingungen, die unmenschlich sind.“ Das daraufhin lancierte Programm richte sich an unter „persönlichen, emotionalen oder mentalen Problemen“ leidende Crew-Mitglieder. Doch das helfe wirklich niemandem, finden die laut gewordenen Flugbegleiter. Nicht zuletzt zeige es die untragbaren Zustände auf, dass ein solches „Hilfsprogramm“ und die vermeintliche „Betreuung“ überhaupt nötig seien. Die Zustände blieben gleich. Ob man sich nun telefonisch ausweinen könne oder nicht: Viele Flugbegleiter seien in ein Burn-out gefallen, heißt es da.
Aktuelle Situation für Flugbegleiter in Deutschland
Michelle P.* ist Flugbegleiterin bei einer großen deutschen Airline. Sie gestand uns im Interview im Sommer 2022, dass sie und ihre Kollegen viel Frust seitens der Fluggäste abbekommen. Dessen Ursprung konnte sie sogar verstehen – Michelle P. schilderte „katastrophale Verhältnisse“ im gesamten Ablauf. Den ausführlichen Beitrag von damals lesen Sie hier. Michelle P. gehörte zu denjenigen, die trotz der geminderten Bezahlung viel Mehrarbeit leisteten – aus Liebe zum Job und der Hoffnung, dass es irgendwann wieder besser werde. Doch das wurde es nicht, wie wir jetzt erfahren.
Situation seit Corona „immer schlimmer“
TRAVELBOOK hat sich noch mal bei Michelle P. gemeldet. Und wie sie berichtet, habe sich an der Grundproblematik von damals – „Personalmangel, keine Planstabilität, und so weiter“ – rein gar nichts geändert. Die Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern sei massiv, und so im Übrigen auch weiterhin bei den Fluggästen. „Überall hakt es“, sagt die Insiderin, vom Catering übers Cleaning bis hin zum Zustand der Maschinen, die ständig reparaturbedürftig seien. Kurzum: „Es ist einfach momentan überall Land unter.“
Purserin Karin F.*, ebenfalls bei einer deutschen Fluggesellschaft tätig, erlebt es sehr ähnlich. Keine Verbesserung seit Corona? „Nein, seit der Pandemie wird es stetig schlimmer“, so die ranghöchste Flugbegleiterin. Sie und ihre Kollegen fliegen weiterhin zu viel, „bei weniger Personal an Bord für die gleiche Tätigkeit und Anzahl an Passagieren“. Keine Gehaltsanpassungen trotz Inflation, berichtet Karin F., und gleichzeitig fehle es an einer transparenten Kommunikation mit den Mitarbeitern. Die Liste der Probleme sei endlos.
Verdi bestätigt weiterhin angespannte Situation
Auch bei Verdi haben wir noch einmal nachgefragt. Bereits vor dem Sommer 2022 hatte die Dienstleistungsgewerkschaft einige Forderungen gestellt. Unter anderem sollte der Gesundheitsschutz des Bordpersonals erhöht werden, erklärte damals Bundesfachgruppenleiter Sven Bergelin auf TRAVELBOOK-Nachfrage. Und wie ist es jetzt? „An der sehr angespannten Arbeitssituation der Beschäftigten im Luftverkehr und insbesondere beim Kabinenpersonal hat sich nichts grundlegend geändert“, so Bergelin.
»Burn-outs nahezu zwingende Folge
Die chaotischen Zustände der Chaos-Reisesaison führten zu einem hohen Krankheitsstand unter den maßlos überarbeiteten Flugbegleitern. Und noch immer liege die Krankenquote bei durchschnittlich bis zu 20 Prozent. „Dies verschärft natürlich die Belastung der aktiven Beschäftigten“, weiß Bergelin. Langfristige Ausfälle durch psychosomatische Krankheiten wie Depressionen, Burn-out oder Erschöpfung seien nahezu zwingende Folgen, und verantwortlich dafür eindeutig die Airlines.
Hauptproblem: Mangelnde Aus- und Weiterbildungskapazitäten
„Wir brauchen mehr Personal“, betont der Experte noch einmal. Zwar haben im vergangenen und laufenden Jahr einige Einstellungen stattgefunden. Doch die neuen Kollegen konnten laut Bergelin noch nicht wirklich zu einer Entlastung beitragen. Dies sei mit den mangelnden Ausbildungs- und Weiterbildungskapazitäten zu erklären. „Es waren die Fluglinien, vorneweg die Lufthansa, die während der Pandemie als erstes ihre Ausbildungen zurückgefahren haben. Trainings wurden gestrichen, Trainer entlassen, die LH hat ihre Pilotenschule geschlossen“, erinnert der Bundesfachgruppenleiter.
Für die Gewinnung neuer Beschäftigten im Luftverkehr fordert Verdi zusammenfassend attraktivere Arbeitsbedingungen. Hierfür nötig seien unter anderem Vergütungssteigerungen und verlässliche Flugzeiten. Dass sich Dienstpläne ständig änderten, wie auch die Insiderinnen bestätigten, liege schließlich nicht zuletzt an der Personalnot.
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Was sagen die Airlines?
TRAVELBOOK hat bei der Lufthansa nachgefragt. Dort wollte man sich nicht dazu äußern, ob in den vergangenen Monaten mehr Flugbegleiter aufgrund eines Burn-outs ausgefallen seien. Jedoch bestätigte ein Sprecher, dass aktuell unter anderem Kabinen-Personal gesucht werde.
Die Pressestelle der Swiss räumt auf TRAVELBOOK-Nachfrage hin ein, dass die Situation in den ersten Monaten des „Wiederhochfahrens“ nach der Pandemie für alle Beteiligten, so also auch für das Kabinenpersonal, sehr herausfordernd war. Sie sei mit der heutigen jedoch nicht vergleichbar, betont die Sprecherin. Es wurden offenbar gezielt Schritte unternommen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. So will die Fluggesellschaft seit April 2022 rund 1800 neue Kabinenmitarbeitende eingestellt haben und befinde sich weiterhin im kontinuierlichen Aufbau. Man zähle „erfreulicherweise“ pro Woche Bewerbungen im dreistelligen Bereich.
„Bei Swiss verzeichnen wir aktuell kein erhöhtes Aufkommen von krankheitsbedingten Absenzen“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Die Ausbildungs- und Weiterbildungskapazitäten seien auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie. Und: „Bei der Personalplanung werden bewusst zusätzliche Puffer eingebaut, um die Mitarbeitenden weiter zu entlasten“, so die Sprecherin. Das zeige sich demnach vor allem auf Langstreckenflügen, wo die Swiss sich nicht bloß an gesetzliche Vorgaben halte, sondern die vorgeschriebene Anzahl an Crew-Mitgliedern bewusst überschreite.
* Name von der Redaktion geändert, die Insiderinnen möchte anonym bleiben