27. Oktober 2020, 11:52 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Je höher ein Flugzeug fliegt, desto „dünner“ wird die Luft und umso größer ist für Fluggäste und Besatzung die Belastung durch Höhenstrahlung. Piloten, Flugbegleiter und andere Vielflieger sind aber noch weiteren Gesundheitsrisiken ausgesetzt. TRAVELBOOK hat nachgeforscht.
Die Erde ist ständig einem Strom von hochenergetischen Teilchen ausgesetzt, die aus den Tiefen des Kosmos stammen und mit den Bestandteilen der Atmosphäre kollidieren, wobei sie neue Teilchen mit hohen Energien erzeugen. Die Gesamtheit dieser Teilchen, die dann den Menschen treffen kann, bilde die sogenannte Höhenstrahlung, erklärt Nicole Meßmer, Sprecherin des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), die Entstehung von Höhenstrahlung auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Beim Fliegen schwanke die Strahlenbelastung unter anderem mit der Flughöhe, der geografischen Breite und der Sonnenaktivität, ergänzt Theresia Eberbach, Pilotin und Leiterin der Arbeitsgruppe Strahlenschutz der Pilotenvereinigung Cockpit. Je höher man fliege und je näher am Nord- oder Südpol, desto stärker sei die Strahlenbelastung.
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Hohe Strahlenbelastung für Piloten und Flugbegleiter
Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen, die einer höheren Strahlungsbelastung ausgesetzt seien, gehörten Piloten und flugbegleitendes Personal, so BfS-Sprecherin Nicole Meßmer, mit einer durchschnittlichen effektiven Jahresdosis von 1,8 Millisievert zu einer der am stärksten betroffenen Gruppen. „Die durchschnittliche Strahlenbelastung von medizinischem Personal liegt im Vergleich dazu mit 0,3 Millisievert effektiver Dosis pro Jahr deutlich niedriger. In der Kerntechnik liegt der Durchschnittswert bei 0,5 Millisievert pro Jahr.“ Aber auch im normalen Lebensumfeld sei man grundsätzlich immer einer natürlichen radioaktiven Strahlung ausgesetzt, erklärt Meßmer weiter. „In Deutschland beträgt diese durchschnittlich 2,1 Millisievert pro Jahr.“ Je nach Aufenthaltsort beziehungsweise geologischem Untergrundgestein schwanke der Wert zwischen einem und zehn Millisievert pro Jahr.
Für Gelegenheitsflieger sei die zusätzliche Strahlenbelastung durch das Fliegen sehr gering und gesundheitlich unbedenklich, betont die BfS-Sprecherin. Das gelte auch für Schwangere und Kleinkinder. Vielflieger hingegen, die beispielsweise aus beruflichen Gründen regelmäßig mit dem Flugzeug unterwegs seien, erhielten eine Strahlendosis, die vergleichbar mit der des fliegenden Personals (2,0 Millisievert pro Jahr) sei. Bei einem Flug von Frankfurt nach Rom und zurück beispielsweise betrage die Strahlendosis maximal 12 Mikrosievert. Um innerhalb eines Jahres 2,0 Millisievert (= 2.000 Miksrosievert) zu erreichen, müsse man die Strecke 167-mal im Jahr fliegen; die Strecke Frankfurt – New York und zurück (150 Mikrosievert) insgesamt 13-mal im Jahr.
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Kann Höhenstrahlung Krebs verursachen?
In einigen wissenschaftlichen Studien sei beobachtet worden, dass beim Flugpersonal bestimmte Krebsarten häufiger vorkommen als etwa bei der Allgemeinbevölkerung, weiß Nicole Meßmer. Die Ursache für diese Erhöhungen sei jedoch unklar. „Bisher wurde nicht festgestellt, dass das Erkrankungsrisiko beim Flugpersonal mit der Strahlendosis ansteigen würde. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Strahlenbelastung die Ursache für die zusätzlichen Erkrankungen ist.“
Flugpersonal unterscheide sich, so die BfS-Sprecherin, in verschiedener Hinsicht von der Allgemeinbevölkerung, da es einer Reihe von beruflichen Belastungen ausgesetzt sei. Dazu zählten beispielsweise eine permanente Störung des Biorhythmus durch Zeitverschiebung und Stress. „Die erhöhten Krebsraten könnten mit diesen Faktoren zusammenhängen“, so Meßmer. Pilotin Theresia Eberbach nennt noch einige weitere gesundheitsschädliche Faktoren, denen ihre Berufsgruppe ausgesetzt sei: zu trockene oder mit Abgasen oder Ölrückständen kontaminierte Luft aus der Klimaanlage, Schichtarbeit, Klimawechsel und eine hohe UV-A-Strahlung im Cockpit. „All diese Faktoren sind als ungesund bekannt, aber man kann in den seltensten Fällen einen einzelnen isoliert für eine bestimmte Erkrankung verantwortlich machen“, betont die 38-Jährige.
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Können sich Piloten, Flugbegleiter und berufliche Vielflieger vor Höhenstrahlung schützen? BfS-Sprecherin Nicole Meßmer: „Aus technischer Sicht gibt es im Flugzeug keine sinnvollen Abschirmmöglichkeiten“. Allerdings könnten Fluggesellschaften durch geringere Flughöhen oder eine geeignete Flugroutenwahl die Strahlenbelastung für das Flugpersonal und die Fluggäste verringern. Dies stünde oft aber in Konkurrenz zu anderen Faktoren, die beim Fliegen ebenfalls eine Rolle spielten, wie zum Beispiel Spritverbrauch, Flugdauer und Flugsicherheit.