18. April 2023, 11:19 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Einst nur die „kleine“ Tochter der Lufthansa, ist Eurowings mittlerweile ebenfalls eine führende Fluggesellschaft in Europa – die, wie alle anderen auch, mit diversen Herausforderungen zu kämpfen hat. Klimawandel, Kompensationen, Kerosinpreise: Die Branche steht vor einigen Problemen. TRAVELBOOK hat im Rahmen seiner „Top-Leaders“-Reihe Jens Bischof, seit 2020 CEO von Eurowings, zum Gespräch getroffen und wollte wissen: Droht uns, wie schon 2022, wieder ein Chaos-Sommer?
TRAVELBOOK: Eurowings feiert dieses Jahr sein dreißigjähriges Bestehen. Wo steht die Airline 2053?
Jens Bischof: „Wir werden schon in den nächsten Jahren zeigen, dass wir die etablierte Zweitmarke der Lufthansa sind und für die Gruppe erfolgreich Nonstop-Verkehre quer durch Europa fliegen. Dabei werden wir das „Euro“ im Namen Eurowings stärken und vor allem pan-europäisch wachsen. In Deutschland sind wir ja schon an vier Flughäfen Marktführer.“
Das ist sehr allgemein gehalten. Sie haben aber auch sehr konkrete und ehrgeizige Ziele, was zum Beispiel den CO₂-Ausstoß angeht …
„Ja, das stellt einen sehr wichtigen Teil unserer Zielsetzung dar. Aus diesem Grund haben wir Nachhaltigkeit in den Kern unserer Strategie gerückt. Damit geht die Verpflichtung einher, bis 2050 tatsächlich CO₂-neutral zu fliegen. Bis 2030 wollen wir den CO₂-Ausstoß halbiert haben. Das sind ambitionierte Ziele.“
Für die es eine Strategie braucht …
„Es gibt drei konkrete Hebel, um diese Ziele zu erreichen. Der erste und unmittelbar wirksame ist die Anschaffung der neuesten Flugzeug-Generation. Die Neo’s von Airbus sind deutlich effizienter und stoßen fast 20 Prozent weniger CO₂ aus. Dafür haben wir das größte Investitions- und Erneuerungsprogramm in 30 Jahren Eurowings aufgelegt: 13 fabrikneue A320 und A321neo-Maschinen im Marktwert von rund 1,5 Milliarden Euro. Sieben sind schon bei uns, der Rest wird unsere Flotte sukzessive bis 2024 verstärken.“
Was ist Hebel Nummer zwei?
„Die Lufthansa Group ist bereits heute Europas größter Abnehmer sogenannter Sustainable Aviation Fuels, also nachhaltiger Flugkraftstoffe. Diese müssen jetzt so rasch wie möglich in die industrielle Produktion gehen, um fossile Kerosinarten nach und nach ersetzen zu können. Allerdings wird es noch eine gewisse Zeit dauern, bis entsprechend große Produktionsanlagen gebaut sind.“
Und drittens?
„Solange die Industrie noch nicht alles CO₂-neutral gestalten kann, stellen wir Kompensationsmöglichkeiten zur Verfügung, an denen sich Fluggäste beteiligen können: Entweder über Sustainable-Aviation-Fuel-Beimischungen oder durch eine Extrazahlung für verlässliche Kompensationsprojekte, die einen Beitrag zu hochwertigen Klimaschutzprojekten leisten.“
Sind Kunden denn bereit sind, für Nachhaltigkeit mehr Geld zu bezahlen?
„Der Anteil ist noch gering, aber wachsend. Immer mehr Menschen wird bewusst, dass Nachhaltigkeit nur gemeinsam mit Verbrauchern geht. Unsere Industrie übernimmt bereits milliardenschwere Investitionen in die neueste Flugzeuggeneration und sie verpflichtet sich zur Abnahme von Sustainable Aviation Fuels. Auf der anderen Seite setzen wir darauf, dass sich immer mehr Fluggäste ihrerseits an der CO₂-Kompensation ihrer jeweiligen Flüge beteiligen.“
Was ist mit alternativen Kraftstoffen wie Wasserstoff?
„Das ist zumindest für die zivile Luftfahrt eines der Konzepte, die heiß gehandelt werden – aber es bringt enorme Herausforderungen mit sich. Man müsste flüssigen Wasserstoff bei minus 270 Grad vorhalten, durch ein Infrastruktursystem am Airport ins Flugzeug bringen und dann unter entsprechenden Druck- und Kälteverhältnissen im Flugzeug aufbewahren können. Da sind technologische Sprünge erforderlich, die weitreichend und herausfordernd sind. Auf der anderen Seite wird es in den nächsten Jahren sicher zahlreiche Weichenstellungen und auch Durchbrüche geben. Davon wird abhängen, welche Technologie sich tatsächlich durchsetzt.“
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»Es ist keine Lösung, die Mobilität einzuschränken
In den vergangenen Jahren wurde das Fliegen teilweise grundsätzlich infrage gestellt. Wie blicken Sie auf diese Diskussion?
„Was passiert, wenn Mobilität eingeschränkt wird, hat man ja gerade in der Corona-Krise gesehen: Es staut sich eine riesige Sehnsucht und entsprechende Nachfrage nach Reisen auf, die kaum zu bewältigen ist. Was tun wir als Fluggesellschaft? Wir verbinden Menschen, wir verbinden Kulturen und ganze Volkswirtschaften. Werden diese Verbindungen unterbrochen – wie aktuell mit Russland und der Ukraine – sind rasch auch Demokratien und Friedensprozesse in Gefahr. Dass Airlines einen enorm wichtigen Auftrag für die Gesellschaft haben, wird heute gerne vergessen: Dabei stehen sie für Völkerverständigung und Frieden in Europa und der Welt. Zudem ist es keine Lösung, den jüngeren Generationen die Mobilität einzuschränken oder gar zu versagen.“
Steht dieser Auftrag nicht im Widerspruch zum Klimaschutz?
„Der CO₂-Ausstoß muss ohne Frage reduziert werden, und als Lufthansa Group treiben wir einen klimafreundlicheren Luftverkehr voran, wie kaum keine andere Airline. Ich tue mich aber sehr schwer damit, nachfolgenden Generationen aufzuzwingen, dass sie sich in Zukunft weniger bewegen dürfen. Dass wichtige Freundschafts- oder Verwandtenbesuche, Urlaubs- oder Geschäftsreisen plötzlich ausfallen sollen. Unsere aktuellen Herausforderungen werden wir nur über Technologie lösen, nicht über Regulierung und Verbote.“
Blicken wir auf den Chaos-Sommer 2022. Viele Reisende empfanden die Situation – auch bei Eurowings – teils als Zumutung …
„Man vergisst sehr schnell, dass Deutschland im ersten Quartal 2022 noch in einem kompletten Lockdown steckte. Plötzlich wurden die Reiseverbote aufgehoben, über Nacht gingen in der Branche historisch viele Buchungen ein – und Ostern war im Nu ausgebucht. Diesen Run hat keine Airline und kein Flughafen dieser Welt ohne Engpässe stemmen können. Dennoch wurden unterm Strich mehr als 90 Prozent der Gäste in einem vernünftigen Zeitraum an ihre Ziele gebracht.“
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Das empfanden viele aber anders …
„Wie immer mit Statistiken ist es so: Wenn man zu den fünf bis zehn Prozent der Betroffenen zählt, war alles sehr schlimm. Das muss man ehrlich und nüchtern anerkennen. Alle haben im vergangenen Jahr gesehen, wie angespannt der Luftverkehr war. Ein so arbeitsteilig organisiertes System muss wie ein Uhrwerk laufen: Es ist schlichtweg nicht dafür gemacht, angehalten zu werden. Und man darf nicht vergessen: Zeitweise standen weltweit sieben von zehn Flugzeugen am Boden, mit entsprechend weitreichenden Konsequenzen bei Flughäfen, Dienstleistern usw.“
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»Eurowings kann dem Stresstest im Sommer 2023 standhalten
Wie wollen Sie bei Eurowings verhindern, dass sich das Flug-Chaos im Sommer 2023 wiederholt?
„Wir fangen erst mal bei uns an, haben mit großem Tempo eingestellt. Mittlerweile gibt es mehr als 4000 Mitarbeitende bei Eurowings, so viele wie nie zuvor. Jeder Dritte bei Eurowings ist ein Newcomer, mit entsprechender Motivation und Dynamik. Zudem haben wir ein Programm namens ‚Comeback 23‘ aufgelegt, in dem wir alle operativen Prozesse, die in unserer Verantwortung liegen, komplett überarbeitet, optimiert und auf Ressourcenverfügbarkeit geprüft haben. Entsprechend sind wir überzeugt, dass wir dem nächsten Stresstest im Sommer 2023 standhalten können.“
Und was ist mit dem Teil des Systems, der nicht bei Ihnen stattfindet?
„Wir arbeiten sehr eng mit allen Systempartnern zusammen: mit Flughäfen, der Flugsicherung, aber auch mit Dienstleistern oder der Bundespolizei, die für die Sicherheitskontrollen verantwortlich sind. Hier gab es im vergangenen Jahr besonders schwierige Engpässe. Auch über den Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft arbeiten wir eng zusammen – die CEOs der großen Fluglinien, Airports usw. Dabei schauen wir uns Flughafen für Flughafen, Gewerk für Gewerk, Abflugzeit für Abflugzeit an und prüfen, wie die Ressourcenverteilung aussieht, wie Schichten besetzt sind, was zur Verfügung steht und wo noch Lücken sind, die geschlossen werden müssen. Dieses feine Räderwerk haben wir bereits an vielerlei Stellen optimiert – und daran arbeiten wir weiter.“
Also können wir dieses Jahr ohne Stress fliegen?
„Ich bin sehr zuversichtlich, dass der nächste Sommer deutlich besser wird, weil die Ausgangslage 2023 eine ganz andere ist. In der Branche sind zehntausende Einstellungen erfolgt und wir haben wirklich eine Menge Arbeit und Ressourcen investiert. Einen perfekten Reise-Sommer gibt es heute aber weder in der Luftfahrt noch im Bahn- oder Autoverkehr. Der Stau auf der Autobahn am ersten Ferien-Wochenende macht das ebenso deutlich.“