8. Oktober 2020, 15:38 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Sie haben aktuell wirklich keine Lust mehr auf die Erde, eine Menge Geld übrig und würden Ihr jetziges Leben komplett aufgeben? Dann wären Sie der ideale Kandidat für eine Reise zum Mars. Sie wären auch in bester Gesellschaft, denn der US-Multimillionär Elon Musk will in den nächsten Jahren die Reise zum roten Planeten antreten. Doch wie realistisch ist diese Idee und wie gefährlich wäre das eigentlich? TRAVELBOOK klärt auf.
Auf der Erde ist es gerade nicht besonders schön – die Pandemie zerrt an den Nerven vieler Menschen. Der ein oder andere denkt vielleicht schon daran, seine Koffer zu packen. Doch wohin? Schließlich ist das Coronavirus auf der Erde eigentlich überall. Wie wäre es damit, sie einfach zu verlassen?
Das wäre zumindest für Elon Musk eine Option. Der schwerreiche Unternehmer (Tesla, SpaceX) beschwört schon lange die Öffentlichkeit, dass eine Reise zum Mars die einzige Rettung der Menschheit sei. Deswegen plant er auch schon seit Jahren, Menschen zum Mars zu schicken. Schon in wenigen Jahren sind die ersten Missionen geplant. Außerdem sagte erder amerikanischen Nachrichtenseite Axios, er „spreche davon, dorthin zu ziehen“. Doch er sei sich auch der enormen Risiken bewusst, die mit dieser Reise verknüpft wären. „Es herrschen dort brutale Bedingungen. Die Chancen sind also groß, dass du dort stirbst.“
„Brutale Bedingungen“ ist tatsächlich eine ziemlich genaue Beschreibung der Umwelt auf dem Mars für den Menschen. Denn der Mensch ist, wenig überraschend, nicht dafür gedacht auf diesem Planeten zu leben. Abgesehen davon, dass der Mars ein Wüstenplanet ist, gibt es dort extreme Sandstürme. Zusätzlich ist es ziemlich eisig: Jede Nacht sinkt die Temperatur auf minus 70 Grad, in Polarnächten auf bis zu minus 130 Grad.
Nicht nur ein Leben auf dem Mars erscheint schier unmöglich: Allein schon die Reise zu dem rund 56 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Planeten birgt allerlei Gefahren für den Menschen. Welche das sind, hat TRAVELBOOK sich von Experten erklären lassen.
Auswirkungen von All-Reisen auf den Menschen
Reisen ins All und die damit einhergehende Schwerelosigkeit haben generell Auswirkungen auf jedes Organ oder Organsystem im Körper des Menschen, wie Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga vom Institut für Physiologie und Zentrum für Weltraummedizin und Extreme Umwelten an der Charité in Berlin erklärt. „Betroffen sind das Herz, der Kreislauf, die Kognition, die Körperzusammensetzung, die Muskelmasse oder die Knochenmasse. Die körperliche Fitness nimmt ab, der Körper baut Muskelmasse und damit auch gleichzeitig Knochenmasse ab, was vor allem zu Herz- und Kreislaufproblemen führen kann.“
Kosmische Strahlung und Krebs bei Reisen zum Mars
Bei Langzeitflügen zum Mars würden laut Gunga zusätzliche Gefahren auftreten, die auf die hohe kosmische Strahlung zurückzuführen sind. „Auf der Erde sind wir davor durch das Magnetfeld geschützt, das die Strahlung zum größten Teil ablenkt. Auf dem Mars gibt es jedoch kein Magnetfeld.“ Momentan könne noch nicht abgeschätzt werden, wie hoch die Strahlenbelastung im interplanetaren Raum tatsächlich ist und wie der Körper davor geschützt werden kann, so der Experte. Aber: „Schon auf der Raumstation ist die Strahlenbelastung 100-mal größer als hier auf dem Boden. Es gibt keine unschädliche Dosis von Strahlen, daher ist es schwer einzuschätzen, ob die deutlich höheren Strahlenaussetzungen insbesondere auf molekularer Ebene zu Veränderungen führen würden – und ob sich daraus eventuell Krebs entwickelt.“
Hierzu veröffentlichten Forscher der Georgetown University vor zwei Jahren eine Studie. Diese legt den Schluss nahe, dass die Strahlung zu schweren gesundheitlichen Schäden wie Magen- oder Dickdarmkrebs führen könnte. Die Forscher verglichen in einem Experiment Mäuse, die einer ähnlich hohen Strahlung ausgesetzt wurden, wie sie auf dem Mars herrscht, mit Mäusen, die gar keiner Strahlung ausgesetzt wurden. Das Ergebnis: Die Strahlung schädigte den Magen-Darm-Trakt der betroffenen Tiere erheblich. Der leitende Forscher der Studie, Professor Kamal Datta, erklärte in einer Pressemitteilung der Universität: „Wir glauben, dass vergleichbare Schäden an vielen Organen auftreten können“.
Um die Effekte der Strahlung zu minimieren, arbeiten Raumfahrtbehörden und private Firmen an Konzepten, die die Strahlung absorbieren sollen, wie zum Beispiel Schutzwesten. „Schutzwesten, wie sie bei jedem Röntgenarzt verwendet werden, kann man sich vorstellen. Aber den ganzen Körper kann man auf diese Weise auf lange Dauer nur schlecht schützen. Im Raumschiff wären besonders geschützte Räume vorstellbar“, erklärt Professor Gunga gegenüber TRAVELBOOK. Auch die Idee, mit einem Satelliten ein künstliches Magnetfeld zu errichten, sei schon im Gespräch gewesen.
Veränderte Körpertemperatur und Gehirnstrukturen
Doch die Strahlung ist bei Weitem nicht das einzige Problem. Laut Gunga wurden bei Astronauten zudem Veränderungen der Körpertemperatur festgestellt – die Ursache ist noch immer unklar.
Ein weiteres bekanntes Problem ist, dass Astronauten oft unter einer Schwellung des Sehnervs, einem Papillenödem, und unter erhöhtem Hirndruck leiden, wenn sie längere Zeit im Weltall waren, zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation ISS. Diese Symptome könnten sich, bei einem noch längeren Aufenthalt im Weltall, noch verstärken. Das ergab eine von der US-Weltraumorganisation Nasa finanzierte internationale Studie.
Gunga erklärt genauer, wie es zu dem Ödem kommt: „Normalerweise befinden sich im menschlichen Körper 75 Prozent des Blutvolumens unterhalb des Herzens. Bei Schwerelosigkeit wird das Blut aus den Füßen in die obere Körperhälfte verlagert, zusammen mit den Flüssigkeiten im Gewebe, was zu einem aufgequollenen Gesicht führt.“ Es komme außerdem zu besagten Strukturveränderungen im Gehirn. „Dieses Gewebe kann sich aufgrund des knöchernen Schädels nicht ausdehnen, obgleich sich vermehrt Flüssigkeit dort ansammelt, man nennt das ein Ödem. Dadurch verändern sich die Drücke im Gewebe des Gehirns. Einige Nerven wie der Sehnerv werden beeinträchtigt. Manche der Astronauten, die langfristig im All waren, tragen bleibende Schäden an den Sehnerven davon.“ Nach neuesten Erkenntnissen komme hinzu, dass auch andere Regionen des Gehirns offensichtlich betroffen seien, wie der Wissenschaftler weiter ausführt.
In einem Bericht der „Frankfurter Rundschau“ wird zudem unter Berufung auf Fachexperten aufgeführt, dass die Schwerelosigkeit dazu führen kann, dass sich mit Hirnwasser gefüllte Regionen des Gehirns verengen. Dadurch würden jene Regionen verändert, die Einfluss auf die Koordinationsfähigkeit und Wahrnehmung haben. Auch die Fähigkeit, mit anderen Astronauten zu interagieren, würde abnehmen. Die Wissenschaftler befürchten dem Bericht zufolge schlimme Folgen und warnten sogar, dass Menschen bei einer längeren Zeit im Weltall möglicherweise nicht mehr in der Lage sein könnten, Objekte in der Umgebung korrekt wahrzunehmen.
Psychologischer Aspekt
Laut Charité-Professor Gunga spielt die Psychologie vermutlich eine größere Rolle als die Physiologie in Bezug auf Mars-Reisen, da die Stressfaktoren bei Langzeitmissionen deutlich größer wären. „Vom Physiologischen her kann man es zum Mars schaffen und auch wieder zurück, aber insbesondere in Hinblick auf den psychologischen Aspekt und die Strahlenbelastung gibt es ganz gravierende limitierende Faktoren für eine Langzeitmission. Da müssen wir noch erhebliche mehr Erfahrungen sammeln.“
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Reise zum Mars überhaupt möglich?
Dennoch sei eine Reise zum Mars, die übrigens etwa 1000 Tage dauern würde, grundsätzlich möglich. Für die Bebauung des Planeten sei technologisch eine ganze Menge notwendig. „Im Prinzip haben wir aber die Techniken dafür“, betont Gunga.
Ob es im Endeffekt aber überhaupt zu einer Besiedlung des Mars kommt, vor allem auch im Hinblick auf die gesundheitlichen Gefahren, steht immer noch in den Sternen. Kritiker der Pläne gibt es zumindest genug. So erklärte zum Beispiel Jan Wörner, der Chef der Europäischen Weltraumagentur (ESA), dass er nicht damit rechne, da die Herausforderungen zu groß seien. Allerdings scheint das Musk und seine Anhänger nicht von ihren Plänen abzubringen.