9. April 2018, 13:23 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Es erinnert an Karneval oder ein Musikfestival. 8500 Menschen in bunten Kostümen laufen einen vollwertigen Marathon durch Weinberge Frankreichs – und trinken dabei Wein und essen Käse, Austern und süße Leckereien. Was skurril klingt, ist zur alljährlichen Tradition geworden.
Ein Marathon ist exakt 42,195 Kilometer lang und für viele ein großes sportliches Ziel, das mit jahrelangem harten Training verbunden ist. In Frankreich, einem Land, in dem man dem Klischée nach das Leben in vollen Zügen und vor allem mit exzellentem Essen genießt, gibt es ein etwas anderes Konzept des Marathonlaufs.
In der Region Médoc, in dem übergeordneten Bezirk Aquitaine im Süd-Westen Frankreichs, treffen sich in diesem September 8500 Lauf-Begeisterte zu einem Marathon durch die Weinfelder des Gebiets. Das Konzept des Laufs könnte man plump als „Laufen und Saufen“ bezeichnen, denn an 20 Probierstationen entlang der Marathonstrecke erhalten die Läufer „Grand Crus des Médoc“, Rotweine aus der Region. Grand Cru kann die Herkunft eines Weines aus den besten Lagen eines Gebietes bezeichnen, aber meistens beschreibt der Begriff die Qualität des Weines. „Grand Cru des Médoc“ sind demnach hochklassige Weine aus der Region Médoc. Und die werden beim Marathon stilecht in Weingläsern an die Sportler ausgeschenkt – und das bei teilweise 30 Grad im Schatten.
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Buchautor Alexander Oetker („Retour: Luc Verlains erster Fall“) verliebte sich bereits als Kind in Frankreich, wo die Familie gern die Sommer verbrachte. Schließlich wurde er Frankreich-Korrespondent von RTL. Für sein neuestes Buch „Château Mort“ ließ sich Oetker von dem skurrilen Marathon inspirieren.
„Der Rotwein belebt das Hirn und die müden Knochen“
„Ich habe als Fernsehkorrespondent einige Male über den Marathon berichtet und konnte es zuerst kaum glauben. Rotwein und so eine lange Strecke?“, erinnert sich der Schriftsteller. „Wir haben dann den Streckenarzt interviewt. Und der hat uns beruhigt. Es sei doch wie im Leben: nach einem miesen Tag ein kleines Gläschen Rotwein – und schon steigt die Stimmung. Genau so ist es bei den Muskeln der Läufer“, erklärt er TRAVELBOOK. „Der Rotwein belebt das Hirn und die müden Knochen.“
Aber 20 Weinstationen entlang der Strecke bieten eine Menge Alkohol, der durch die sportliche Betätigung noch schneller ins Blut schießen kann. Oetker sieht das aber nicht so kritisch: „Jedenfalls hab ich keinen Läufer gesehen, der angetrunken ins Ziel gelaufen kam. Aber es stimmt schon: Die Stimmung ist im Médoc nach dem Lauf wohl um einiges lustiger als bei einem normalen Marathon.“ Der persönliche Bericht einer Guardian-Journalistin aus dem Jahr 2014 zeichnet ein etwas anderes Bild. Sie berichtet von verkaterten Teilnehmern, betrunkenen Gestalten und einem lockeren Umgang mit dem Thema Gesundheit.
Verrückt, bunt, aber trotzdem sportlich: der Marathon du Médoc
Foto: Stéphane Mesmin
Kanervalsstimmung trifft auf Marathon
Bei dem Marathon der französischen Art sind aber nicht nur die Getränke ein wenig anders als bei herkömmliche Laufveranstaltungen, sondern auch die Outfits. Manche Läufer treten gewohnt sportlich an, manche kommen in Verkleidung, wie man es vom Karneval kennt. Entgegen mancher Berichte ist es keine Pflicht, in einem speziellen oder außergewöhnlichen Outfit zu erscheinen, doch die meisten machen den Spaß gerne mit – und kommen in den verrücktesten Verkleidungen: als Balletttänzerinnen, Marienkäfer, Wikinger und glitzernde Disco-Fans. Manche setzen auf individuelle Ideen, manche kommen gruppenweise in den gleichen Outfits. Der Anblick erinnert eher an ein Festivalpublikum als an einen 42-Kilometer-Marathon.
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Trotz Alkohol ist eine Bestzeit das Ziel
Es gibt außerdem typische französische Speisen – Käse und Meeresfrüchte inklusive. Das Marathon ist zwar das Haupt-Event, aber davor und danach finden Partys mit reichlich Alkohol und Speisen statt, die nicht unbedingt auf dem Ernährungsplan eines Marathonläufers stehen würden. Trotz der ausgelassenen Stimmung und des Alkoholkonsums in großen Mengen nehmen die meisten Läufer die Aufgabe sehr ernst und peilen persönliche Bestzeiten an. Falls man sich der Herausforderung nicht gewachsen fühlt, kann man auf eine 10-Kilometer-Strecke ausweichen. Eine Startnummer beim Wein-Marathon kostet 87 Euro. Für weitere Events wie Dinner-Partys muss man zusätzlich bezahlen. Wer den Marathon bewältigt hat, erhält eine Erinnerung als Belohnung: eine Flasche Wein mit zwei gravierten Weingläsern.
Alexander Oetker macht in seinem Roman „Château Mort“ den alkoholreichen Marathon, den er selbst schon so oft miterleben durfte, zum Mittelpunkt des Geschehens. Doch das Rennen im Buch verläuft ein wenig anders als sonst üblich: Ein Politiker bricht zusammen, ein Winzer stirbt – und Commissaire Luc Verlain will herausfinden, was passiert ist.