20. November 2020, 11:21 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Yogalehrerin Mika Schröder (38) sitzt in Quarantäne in Bangkok. Freiwillig. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel hat mir ihr gesprochen und sie gefragt, warum sie das tut, wie die Situation vor Ort ist, was sie den ganzen Tag macht und worauf sie sich am meisten freut, wenn sie wieder raus darf.
Mikas Entscheidung, freiwillig in Quarantäne zu gehen, begann mit Corona. Genauer, den Auswirkungen, die die Pandemie auf ihren „Futurehippie“ hat, ein Yoga-Retreatcenter auf der Insel Ko Samui in Thailand.
Das baute sie gemeinsam mit ihrem inzwischen Ex-Partner vor rund zwei Jahren auf der beliebten Touristen-Insel auf und erfüllte sich damit einen Lebenstraum. Mehr als ein Jahr lief es gut für das charmante Retreatcenter, das mit Meerzugang, Bambushütten und zu allen Seiten hin offener Yoga-Shala ein wahrer Yoga-Hippietraum ist. Dann kam Corona und mit der Pandemie blieben die Touristen weg. Im Sommer flogen Mika und ihr Noch-Partner nach Deutschland und trafen hier die Entscheidung, das Retreatcenter aufzugeben.
Ganz ohne Abschied (und weil sie diverse Dinge vor Ort erledigen und einen Nachfolger finden will) ging es für Mika aber nicht. So traf sie die Entscheidung, allein zurück nach Thailand zu fliegen. Fünf Wochen dauerte die Bewerbung, nach Thailand einreisen zu dürfen. Zahlreiche Papiere mussten ausgefüllt und geprüft werden, trotz Arbeitserlaubnis und Pacht auf der Insel. Dann kam die Genehmigung und Mika durfte fliegen. 38.000 Baht (umgerechnet 1.056 Euro) kostet sie die Zeit im Quarantäne-Hotel in Bangkok. „Und das ist eins von den günstigeren Angeboten. Die gehen bei 30.000 Baht los, nach oben gibt es keine Grenze“, sagt Mika im TRAVELBOOK-Interview.
»Im ersten Moment hab‘ ich nur geweint
„Schon in diesem großen Flugzeug von Abu Dhabi nach Bangkok, in dem gerade mal sieben Leute saßen, fühlte sich das komisch an”, sagt die Yogalehrerin. Am Flughafen in Bangkok angekommen, wurde sie direkt von Menschen in Ganzkörperanzügen „abgefangen“, die viele Male ihre Papiere überprüften. Sie wurde, getrennt von den anderen Reisenden, zum Quarantäne-Hotel gefahren und in ein rund 28 Quadratmeter großes Zimmer gebracht. Dort angekommen musste sie sich zunächst einem Gesundheitscheck unterziehen, zu dem unter anderem Blutdruck- und Fiebermessen gehörte.
Dann ging die Tür zu. „Da wurde mir erst einmal bewusst, was ich hier gemacht habe”, sagt Mika, deren Lächeln für einen Moment verschwindet, als sie an diesen ersten Quarantäne-Tag, den 6. November, denkt. „Ich bin dann in diesem kleinen Zimmer vor- und zurückgelaufen und habe gedacht: ,Okay, so ist es jetzt. Ich habe jetzt keine Wahl. Ich muss jetzt hier bleiben. Ich kann nicht zurückfliegen und ich kann auch nicht raus. Hier bin ich jetzt die nächsten 16 Tage.’“ Sie erzählt weiter: „Dann war ich irgendwo zwischen schreien und mich auf den Boden werfen. Ich habe mich dann fürs Weinen entschieden. Danach ging es einigermaßen.”
Täglich Hoffnung auf Thai-Food
Mika wohnt in Bangkok in einem Zimmer mit Bett, Waschbecken, Kleiderstange, Schreibtisch, Fernseher und kleinem Badezimmer mit Dusche und Klo. Ihre Aussicht geht auf einen Hinterhof sowie ein runtergekommenes grünes Gebäude. Die Fenster bleiben zu, das Zimmer ist klimatisiert. „Die ersten fünf Tage musste ich komplett im Zimmer bleiben und habe keinen einzigen Menschen gesehen“, erzählt Mika. Drei Mal am Tag stellt ihr ein Mitarbeiter des Hotels Essen vor die Tür, klopft an und läuft dann weg. Dann darf sie sich das Essen ins Zimmer holen – „wie in einer kleinen Gefängniszelle“.
Die Mahlzeiten sind Highlights genauso wie Grauenmomente des Tages. Mika liebt Essen und verbringt gern Zeit damit, neue vegane Rezepte auszuprobieren. Kürzlich hat sie sogar ein veganes Kochbuch rausgebracht. In Bangkok ist sie auf die nicht-veganen Kochkünste anderer angewiesen. Gut fühlt sich das nicht an. Und gesund sowieso nicht. „Ich bin froh, dass ich hier vegetarisches Essen bekomme und wenn sie dabei bei dem bleiben, was sie wirklich gut können, also klassisches Thai-Essen und Reis. Wenn sie den Westerners was Tolles bieten wollen, geht es leider meistens nach hinten los“, sagt sie und verzieht bei der Erinnerung an einen „Tofu-Burger des Grauens“ das Gesicht. „Das Essen beeinflusst schon meine Stimmung“, sagt sie.
Hilflosigkeit und Panik im Hotelzimmer
Der schlimmste Moment war bisher jedoch der, als ihr das Trinkwasser ausging. „Die kalkulieren hier mit rund einem Liter Wasser pro Gast pro Tag”, erklärt sie und ergänzt:„Ich trinke am Tag rund drei Liter Wasser, wohl auch, weil ich mich so viel bewege.” Fehlt ihr was, kann sie es im Hotel bestellen. So bat sie eines Tages um mehr Wasser – und wartete dann eine gefühlte Ewigkeit. „Manchmal geht es ganz schnell, an diesem Tag dauerte es mehrere Stunden. Ich bin dann irgendwie so auf ein Minimum runtergefahren, dass ich Panik bekommen habe. Du kannst ja hier kein Wasser aus der Leitung trinken“, erklärt Mika und berichtet weiter: „Ich weiß natürlich, dass die mich hier nicht vergessen. Aber ich war einfach komplett unselbstständig und abhängig von denen. Da bin ich richtig ausgeflippt. Ich hab geheult, weil ich kein Wasser mehr hatte. Das war ein sehr, sehr komisches Erlebnis, weil ich mich so hilflos gefühlt habe.“
Klare Struktur in der Corona-Quarantäne
Essen und Wasser sind Mikas größte Schwierigkeiten in der Quarantäne. Die Tage bekommt sie gut rum, vor allem, weil sie sich eine klare Tagesstruktur geschaffen hat. „Ich würde jedem, der in Quarantäne geht oder etwas Ähnliches vorhat, empfehlen, da super strukturiert zu sein, um nicht komplett verrückt zu werden”, rät sie.
Mika steht jeden Tag früh um 6.30 Uhr auf und verbringt die ersten beiden Stunden des Tages mit Yoga oder anderem Sport. Dann muss sie Fieber messen und die Temperatur wegschicken. Anschließend gibt es Frühstück. Seit am fünften Tag der erste Corona-Test negativ zurückkam, darf Mika täglich 45 Minuten in einen abgezäunten Bereich vor der Tür, auch das macht sie meistens am Vormittag. „Das ist ein bisschen wie Hofgang“, sagt sie lachend.
Anschließend setzt sie sich an ihren Laptop und arbeitet an ihrem neuen Online-Yoga-Teacher-Training, das am 30. November starten soll. Um 13 Uhr (7 Uhr deutscher Zeit) gibt sie eine kostenlose Online-Yoga-Stunde über Instagram. „Das hilft mir auch”, sagt sie und erklärt: „Auch wenn ich mal keine Lust habe, weiß ich, da warten Leute auf mich, das gibt mir auch Struktur.“
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Viel Bewegung und liebe Worte
„Immer wenn ich das Gefühl hatte, dass ich nicht mehr kann oder keinen Bock mehr hab, war das Wichtigste, aufzustehen und mich zu bewegen“, erzählt Mika. Das könne Yoga sein oder einfaches Hin-und-Herlaufen. „Was ich ganz viel mache, ist tanzen. Wie eine Wahnsinnige“, sagt sie lachend und erklärt, dass es gerade die Bewegung und Lieblingslieder seien, die sie vom Trübsal blasen ablenken würden. „In dem Moment, wo wir uns bewegen und Spaß haben, funktioniert das eben nicht mehr mit dem Trübsal blasen.“
Besonders hilft ihr aber die Unterstützung, die sie von ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Instagram-Followern bekommt. „Ich teile meine Quarantäne ziemlich öffentlich und finde es spannend zu sehen, was das so mit einem macht.“ Täglich postet Mika neue Instagram-Storys und -Bilder und hält ihre Anhängerschaft über alle kleinen und großen Highlights sowie schwierigen Momente auf dem Laufenden. „Das fühl sich ein bisschen an wie bei ,Big Brother’“, sagt sie lachend, erklärt aber, dass es ihr helfe, sie durch die Isolation zu tragen. „Die sind wie eine große Cheerleader-Mannschaft“, sagt Mika und ist dankbar, dass viele Menschen ihr aufbauende Nachrichten in die Quarantäne schicken.
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Vorfreude auf Draußen
Mika hat sich mit ihrem temporären Gefängnis offensichtlich angefreundet, findet auch viele schöne Momente. „Nach zwei Wochen kann ich dir sagen, ich finde es jetzt gar nicht mehr so schlimm“, verrät sie. Mika hat Dinge gefunden, die sie beobachtet und findet so auch viele schöne Momente. „Direkt vor meinem Fenster hat ein Taubenpärchen angefangen, ein Nest zu bauen und jetzt zu brüten. Ich bin fast ein bisschen traurig, dass ich nicht mitbekommen werde, wenn die Kleinen schlüpfen“, erzählt sie und ergänzt: „Das sind Dinge, die mir sonst vielleicht nicht auffallen würden.“
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Doch natürlich freut sie sich darauf, wenn sie am Samstag (21. November) früh aus ihrem Quarantäne-Zuhause ausziehen darf. Das Erste, das sie vorhat, ist frühstücken zu gehen. „Ich habe mir hier in der Umgebung vegane Restaurants rausgesucht. Ich werde dann einfach da sitzen, eine coole Bowl essen, einen tollen Kaffee trinken und Leute angucken.” Anschließend fliegt sie nach Ko Samui. „Ich habe da schon Respekt vor, auch weil ich nicht genau weiß, was mich erwartet”, sagt sie. Die Geschäfte sind zu, die Insel ist leer. Der „Futurehippie“ steht seit rund einem halben Jahr verlassen da, wird einmal in der Woche von einer Mitarbeiterin besucht, zu der „die Kommunikation aber sehr rar ist“, wie Mika erklär.: „Ich glaube, da wartet viel Arbeit auf mich.“ Sie hofft, dass sie schnell einen Nachfolger findet, der den Hippie übernehmen möchte. Wie und wo es dann für sie weitergeht, weiß sie noch nicht, blickt aber positiv in die Zukunft: „Ich finde, das ist eine schwierige Zeit, aber sie hat eben auch Möglichkeiten und sie birgt Potenziale. Auch wenn man sie vielleicht nicht sofort sieht.“