30. Mai 2014, 11:00 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mein Herz schlägt höher, als das Flugzeug über Recife Richtung Landebahn fliegt. Im Landeanflug sehe ich die neue Arena Pernambuco, die gerade fertiggestellt wurde und auf die WM 2014 wartet, die bunten Häuser und das Meer. Ich bin nicht der einzige Passagier, der mit Freudentränen in den Augen das Flugzeug verlässt und sich über die Hitze freut, die einen fast erschlägt.
Noch während des Fluges war mir etwas mulmig zumute, nicht nur wegen meiner schlimmen Flugangst, sondern auch weil ich über zwei Jahre nicht mehr in meiner Heimat war. Brasilien ist in den letzten Jahren ständig in den Medien präsent gewesen. Überall hört man vom Aufstieg des Dritte-Welt-Landes, und ich fürchte mich davor „mein“ Brasilien nicht wiederzuerkennen. Da mir aber nach 10 Minuten auf der Schnellstraße eine Geisterfahrer-Pferdekutsche entgegenkommt, muss ich zugeben, bin ich beruhigt. Das hat sich also nicht verändert. Ebenso gibt es noch meine geliebten Obstverkäufer am Rand der Autobahn, sozusagen der „Rastplatz“ der Brasilianer, und Männer, die mit einem PS am Straßenrand in dieselbe Richtung reiten.
Gemeinsam mit meinem Empfangskomitee, bestehend aus Opa, Onkel, Tante und zwei meiner unzähligen Cousinen, geht die Reise noch ein bisschen weiter. Mein erstes Ziel liegt ca. 130 Kilometer nördlich von Recife entfernt. Jacumã ist ein Bezirk direkt am Strand, wo viele Großstädter ihre Wochenenden verbringen. Ich habe das Glück, dass meine Familie dort ein Häuschen hat, denn Jacumã ist umzingelt von Traumstränden wie Tambaba, Coqueirinho, Praia Bela, Tabatinga, Graú und Carapibus. Das Wasser ist türkisfarben, die Wellen an jedem Strand anders, und ein kräftiger Wind sorgt für Abkühlung an diesen heißen Tagen.
Als wir den Berg runterfahren, ich den endlosen Ozean sehe und den Salzfilm auf meiner Haut spüre, fühle ich, dass ich zu Hause bin und kann es kaum erwarten, die Schauplätze meiner Kindheit wieder mal zu besuchen. Die ersten Tage im Nordosten verbringe ich eigentlich immer gleich. Ich habe sozusagen ein „Eine-Woche-Ritual“. Die Reihenfolge variiert von Besuch zu Besuch, aber im Prinzip ist meine erste Amtshandlung auf brasilianischem Boden immer: Kokosnuss-Wasser trinken, was ich schon wenige Kilometer vom Flughafen entfernt erledigt habe. Es gibt kein leckereres und gesünderes Getränk auf dieser Welt, und ich bin wirklich süchtig. Von allen Sachen, die mir in Deutschland fehlen, ist das mit Abstand die Nummer eins.
Nach knapp zwei Stunden Fahrt erreiche ich Jacumã. Wenn man zu einer brasilianischen Großfamilie gehört, ist jedes Wiedersehen ein Fest, und an Ruhe und Entspannung ist erst mal nicht zu denken, aber so vergesse ich schnell den zehnstündigen Flug von Frankfurt nach Recife, und es fühlt sich an, als wäre ich nie weg gewesen. Zur Begrüßung bekomme ich Feijoada, mein absolutes Lieblingsessen, dazu hausgemachten Chilli-Pudding – eine scharfe Angelegenheit, bei der nicht jeder mithalten kann: gekochte rote Chillis, etwas Essig, etwas Zucker – wirklich nix für zartbesaitete Gaumen!
Ich genieße es, meine Liebsten um mich rum zu haben, die beste Feijoada meines Lebens und den Blick aufs Meer.Wie schön, wieder hier zu sein…
Den nächsten Tag verbringe ich am Strand von Jacumã. Ich besuche alte Bekannte, quatsche mit den Fischern, snacke frische Krabben mit Blick aufs Meer und freue mich, dass es meine Lieblingsbars noch gibt. Jacumã hat sowohl typische Strandbars mit Musik und allen möglichen regionalen Spezialitäten zu bieten als auch ruhigere Abschnitte, etwas abseits, für alle, die nicht auf brasilianischen Schlager stehen, denn die Ohrwürmer, die es ab und zu bis nach Deutschland schaffen, laufen hier nonstop und in voller Lautstärke.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht unbedingt vertrauenerweckend aussieht, das Essen und die Drinks sind wirklich gut, preiswert und lecker. Am besten macht man es wie die Brasilianer: immer dahin, wo es am vollsten ist. Ich empfehle die Bar Luan, hier kocht die Frau des Besitzers noch selber, und der Fisch nach Art des Hauses ist der Knaller und reicht für fünf Personen. Dazu gibt es selbstverständlich Reis, Bohnen (denn ohne Reis und Bohnen ist es keine echte Mahlzeit in Brasilien) und Pirão, ein Püree aus der Fischsauce gemischt mit Maniokmehl. Für mich darf natürlich die Pimenta, also die Chillisauße nicht fehlen, aber Vorsicht: drei Tropfen können manchmal schon zu viel sein!
Zu Fuß laufe ich von Jacumã bis zum Tabatinga-Strand. Hier, wo der Fluss Bacatú im Meer mündet, habe ich als Kind schon gespielt. Die Strömung des Flusses ist der perfekte Ort, um sich treiben zu lassen und schwimmen zu lernen. Dieser Strand ist wirklich magisch. Es gibt keine Strandbar weit und breit, und für alle, die es ruhiger mögen, ein absoluter Geheimtipp. Man kann entweder im flachen Süßwasserbecken des Flusses schwimmen, sich mit der Strömung ins Meer treiben lassen oder mit den Wellen spielen. Hier verbringe ich immer gerne Zeit, wenn ich es etwas ruhiger haben will. Ich genieße den Sonnenuntergang, die Weite, die Ruhe und die Seeluft. Ich bin mir sicher, ich werde heute sehr gut schlafen, genauso wie die Kids, die hier im Wasser toben – so wie ich es früher gemacht habe.