12. April 2023, 11:58 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Die Art von Freizeitaktivität, die der deutsche Journalist und Video-Reporter Christian Kemper* auf seinen Reisen ausübt, ist alles andere als gewöhnlich – und noch dazu lebensgefährlich. Denn der 49-Jährige taucht mit Weißen Haien, ganz ohne Käfig oder andere Schutzmaßnahmen. Im Interview mit TRAVELBOOK verrät er, was ihn an den Raubfischen so fasziniert und wie eine Hai-Begegnung für ihn einmal beinahe tödlich geendet wäre.
TRAVELBOOK: Wie bist du zu dem ungewöhnlichen Hobby, mit Weißen Haien zu tauchen, gekommen?
Christian Kemper: „Als ich noch ein kleiner Junge war, hatten meine Eltern als eine der ersten in ihrem Freundeskreis einen Videorecorder zu Hause. Eines Tages haben sie den Film ‘Der Weiße Hai‘ mit nach Hause gebracht, da war ich acht oder neun Jahre alt. Diesen Film habe ich mir dann angeguckt und hatte natürlich eine Riesenangst davor. Gleichzeitig war ich aber auch fasziniert und habe meine Eltern gefragt, ob es solche blutrünstigen Tiere wirklich gibt, denn damals kamen ja auch Filme wie ‘King Kong‘ und ‘Godzilla‘ raus, also reine Fantasy-Monsterfilme. Meine Eltern wussten auch nicht so genau, ob die Tiere wirklich so furchterregend wie im Film sind. Also wollte ich mehr darüber wissen, habe mir Zeitungsausschnitte besorgt und in eine Mappe geklebt, und zum Geburtstag habe ich mir Bücher über Haie gewünscht. Mich hat das auch als Teenager nicht losgelassen. Ich bin auch schon immer total gerne im Wasser gewesen und geschwommen, und eines Tages dachte ich dann: Mensch, du musst einfach mal zu diesen Tieren ins Wasser steigen.“
Wann war es dann das erste Mal so weit?
„Mit 18 Jahren habe ich einen Tauchschein gemacht, weil ich die Haie sehen wollte. In Dortmund, wo ich aufgewachsen bin, gab es die natürlich nicht. Mir wurde schnell klar, dass ich um die Welt fliegen muss, um Haie zu sehen. Also bin ich nach Jamaika geflogen, auf die Malediven, zum Great Barrier Reef nach Australien, ans Rote Meer – aber ich habe nur kleine Riffhaie oder Ammenhaie zu sehen bekommen, das war mir zu langweilig. Ich wollte ja den Hai sehen, der mich auf diese Reise geschickt hatte, den großen Weißen Hai.“
Und wann hat sich dieser Traum für dich erfüllt?
„Das hat tatsächlich noch ein paar Jahre gedauert. Ich habe später herausgefunden, dass es in Südafrika das White Shark Research Institut gibt, also ein Forschungsinstitut für Weiße Haie. Dort habe ich mich beworben und drei Monate als studentische Hilfskraft gearbeitet. Ich habe geholfen, vom Boot aus die Haie zu markieren, Fotos zu machen und das Verhalten zu analysieren. Das war auch das erste Mal, dass ich mit Weißen Haien getaucht bin, allerdings im Käfig.“
Wie kam es dann dazu, dass du auch ohne Käfig mit Weißen Haien tauchen wolltest?
„Durch meine Arbeit in dem Forschungsinstitut war ich schlussendlich total gefangen von den Tieren und bin dann die Jahre darauf immer mal wieder nach Südafrika gereist. Die Fotos von den Haien habe ich natürlich auch meinen Freunden und Bekannten zu Hause gezeigt, und alle meinten, dass das doch trotzdem viel zu gefährlich sei. Keiner wollte mir glauben, dass die Haie uns niemals im Käfig attackiert haben, sondern immer nur an den Ködern interessiert waren. Ich konnte die Haie durch den Käfig sogar anfassen! Aber alle hatten trotzdem nur diesen „Weißer-Hai-Hollywood-Mythos“ im Kopf. Und dann habe ich gedacht, okay, du musst noch einen Schritt weitergehen, du musst raus aus dem Käfig, damit alle sehen, dass Weiße Haie keine Killer oder Bestien sind.“
Eine gewisse Gefahr ist aber dennoch vorhanden, oder nicht?
„Natürlich sind es gefährliche Raubfische, und es kommt hin und wieder zu Angriffen. Aber der Mensch steht nicht klassisch auf dem Nahrungszettel von Haien. Wenn das so wäre, dann könnten wir gar nicht mehr ins Meer gehen, denn dann würde es nicht zehn Todesfälle im Jahr geben, sondern zehn Todesfälle pro Tag.“
Wie war deine erste Begegnung mit Weißen Haien ohne Schutzkäfig?
„Das war 2013, vor genau 10 Jahren, auf der mexikanischen Insel Guadalupe. Das ist quasi der einzige Ort auf der Welt, wo man ohne Käfig mit Weißen Haien tauchen kann, wenn auch nicht ganz legal. Teilweise waren vier Weiße Haie gleichzeitig um mich herum, da wird einem schon ein bisschen mulmig. Ich war aber auch total fasziniert, und – das soll nicht abgedroschen klingen – es ist schon auch ein spirituelles Erlebnis, wenn man sich nicht wie in Deutschland zum Beispiel einem Wildschwein gegenübersieht, sondern einem fünf Meter großen Weißen Hai, und dann gleich vieren auf einmal.“
Gab es mal eine Situation, die für dich besonders gefährlich war?
„Ja, das gefährlichste war dann tatsächlich auch in Guadalupe, wo diese vier Weißen Haie um mich herum waren, und plötzlich kam ein Fünfter von unten auf mich zu geschwommen. Ich wusste, dass das eigentlich ein Angriffsverhalten war, weil Haie beim Angreifen gerne von unten kommen. Der Hai war etwa 20 Meter unter mir, und ich wusste, ich habe jetzt noch drei oder vier Sekunden, irgendwie zu handeln, bevor der bei mir ist. Da schießen einem natürlich 1000 Gedanken durch den Kopf. Ich wusste, wegschwimmen ist schlecht, dann greift er erst recht an. Es hätte auch keinen Sinn gemacht, weil der Hai sowieso schneller ist. Ich stand in dem Moment senkrecht im Wasser, kurzfristig habe ich überlegt, mich waagerecht hinzulegen, weil Haie das nicht so kennen. Aber dann dachte ich auch wieder, dass er mich dann erst recht von unten packen könnte. Im Endeffekt habe ich gar nichts gemacht und einfach nur gewartet. Etwa einen Meter, bevor der Kiefer des Hais meine Flossen berührt hätte, ist er plötzlich abgedreht. Ich glaube, der wollte mich einfach testen. Er wollte gucken, was bin ich, wie reagiere ich, bin ich vielleicht Futter oder vielleicht doch nicht? Das ist dann zweimal relativ kurz hintereinander passiert, und beim zweiten Mal dachte ich dann, okay, jetzt ist Schluss. Vielleicht geht das beim dritten Mal nicht so gut aus. Der hat mich jetzt zweimal getestet, und beim dritten Mal wird er vielleicht noch forscher. Also bin ich wieder in den rettenden Käfig geschwommen. Das war die gefährlichste Situation, die ich bisher durchgemacht habe, da hatte ich wirklich Herzklopfen.“
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Diesen Wunsch, mit Weißen Haien zu tauchen, hattest du auf deiner Bucket List dann also quasi abgehakt. Was kam als Nächstes?
„Wenn Haie Menschen angreifen, dann ist es ja meist eine Verwechslung. Also habe ich überlegt, ob es nicht auch Tiere gibt, die Menschen angreifen und fressen, weil sie es einfach können. Und da bin ich relativ schnell bei den Krokodilen gelandet. Einem Krokodil ist es völlig egal, ob es ein Känguru frisst, ein Zebra oder ein neunjähriges Mädchen – die fressen alles, was ihnen vors Maul kommt. Die gefährlichsten Krokodile sind die australischen Salzwasserkrokodile. Dann kommen die afrikanischen Nil-Krokodile, und dann die Spitzkrokodile. Letztere leben auch in Salzwasser und sind für viele Angriffe und einige Todesfälle verantwortlich. In einem Naturschutzgebiet in Mexiko bin ich dann in einem Atoll, in dem etwa 300 Spitzkrokodile leben, im Wasser gewesen.“
Und wie war das?
„Das ist eine ganz andere Nummer, als mit Haien zu tauchen, aber genauso ergreifend und faszinierend. Teilweise waren sieben Krokodile um uns herum, die haben das Wasser so aufgewirbelt, dass alles voller Sand war und wir gar nichts mehr sehen konnten. Wir wussten nur, hier irgendwo um uns herum sind diese sieben Krokodile. Dann sind wir alle zur Salzsäule erstarrt, weil wir Angst hatten, auf eins drauf zu treten, denn das hätte einen Angriff provozieren können.“
Hattest du gar keine Angst?
„Angst würde ich nicht sagen. Das ist mehr so wie kurz vor einem Fallschirmsprung aus einem Flugzeug, wenn sich die Tür öffnet. Da stockt einem auch so ein bisschen der Atem. So ist es auch beim Tauchen mit Krokodilen. Man hat diese innere Anspannung und auch einen Adrenalinkick. Aber ich kann wirklich sagen, ohne zu übertreiben, ich hatte noch keine Situation, in der ich wirklich Angst hatte. Und ich denke, das muss auch so sein, denn Tiere können ja sehr gut Furcht und Angst und Panik spüren. Genauso, wie wenn ein knurrender Hund vor einem steht, dann sollte man niemals in Panik geraten und weglaufen, denn das erzeugt den Jagdtrieb ihn ihm, dann beißt er dich garantiert. So ist es auch bei den großen Raubtieren, wie Haien oder Krokodilen. Man darf niemals in Panik geraten. Wenn ich beim Schwimmen mit den Krokodilen in Panik geraten und wild planschend zum Boot geflüchtet wäre, dann hätte ich heute vielleicht nur noch ein Bein.“
In diesem Video sehen Sie die Expedition von Christian Kemper zu den Krokodilen in Mexiko:
Du hast Frau und Kinder und damit auch eine gewisse Verantwortung. Warum setzt du dich trotzdem diesem Risiko aus?
„Ja, das ist auch bei jeder Reise wieder eine Diskussion mit meiner Frau. Aber ich denke mir immer: Bei Stuntmen, Rennfahrern oder Fallschirmspringern wissen die Frauen ja auch, dass das nun mal deren Leidenschaft ist. Und wenn man jemanden liebt, hält man ihn nicht davon ab. Meine Frau sagt immer: ‚Pass auf dich auf, du weißt, du hast eine Familie.‘ Ich weiß durchaus, dass es ein Risiko ist. Aber ich rede mir immer ein, dass es ein kalkulierbares Risiko ist. Natürlich ist das ein gewisses Schönreden, denn das Verhalten von wilden Tieren kann man nicht wirklich kalkulieren. Deswegen sind sie ja wild. Es ist eine Mischung aus Furcht und Faszination bei mir, deswegen gehe ich das Risiko ein und werde es auch weiterhin tun. Mittlerweile sind meine Söhne auch in einem Alter, wo sie stolz sind auf ihren Papa. Aber klar, ich kann nicht leugnen, dass ein Restrisiko immer da ist.“
Du hast mehrere Bücher über Haie geschrieben, zuletzt „The Shark Files“, und dir ist es wichtig, über Haie aufzuklären und den Menschen die Vorurteile über diese Tiere zu nehmen. Was müsste aus deiner Sicht vor allem passieren, damit die Menschen Haie nicht immer nur als immer nur „Bestien“ abstempeln?
„Was viele nicht wissen: Haie spielen eine enorm wichtige Rolle in der Nahrungspyramide der Ozeane. Man hat in Studien festgestellt, dass ein Riff innerhalb von einem Jahr absterben würde, wenn man dort die Haie durch Jagen oder was auch immer entfernen würde. Denn Haie sorgen in einem Riff für ein bestimmtes Nahrungsgefüge, in dem sich keine Art explosionsartig vermehren kann. Haie sind im Meer also ganz wichtig, sie sind sowas wie die Nahrungspolizei der Ozeane. Ähnlich wie Wölfe im Wald, die kranke und schwache Tiere fressen und so dafür sorgen, dass Krankheiten nicht überhandnehmen. Das Traurige ist aber: Pro Jahr werden 100 Millionen Haie gefangen und abgeschlachtet, hauptsächlich für die Haifischflossen-Suppe, oder sie landen einfach als Beifang im Netz. Und wenn wir nicht aufpassen, gibt es irgendwann keine Haie mehr. Ein bekannter Meeresforscher hat mal gesagt: ‚Wenn der Hai stirbt, stirbt das Meer, und wenn das Meer stirbt, dann stirbt auch der Mensch.‘ Deswegen ist es mir so wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Haie schützenswert sind.“
Eine letzte Frage noch: Du bist mittlerweile mehrmals mit Weißen Haien getaucht, du bist mit Spitzkrokodilen geschwommen. Hast du noch ein weiteres Tier auf deiner Wunschliste, dem du auch mal so nahe kommen möchtest?
„Ja, zwei sogar. Einmal würde ich gerne mit Pottwalen tauchen. Die sind zwar für den Menschen nicht unbedingt gefährlich, aber mehr als 20 Meter groß und gelten als die größten Zahnwale der Welt. Wer kann schon sagen, er ist mal mit ‘Moby Dick‘ getaucht? Und dann würde ich auch gerne mal mit Orcas zusammen tauchen. Die sind nochmal größer als Weiße Haie, superintelligent und bisher gab es noch keinen Angriff auf Menschen in freier Wildbahn. Daher denke ich, dass es mit Pottwalen oder Orcas etwas ungefährlicher ist, als mit Haien oder Krokodilen zu tauchen, aber genauso faszinierend.“
*Christian Kemper arbeitet derzeit bei BILD (wozu auch TRAVELBOOK gehört) als Video-Reporter.