10. Oktober 2010, 14:38 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
„Coral Castle“ im US-Bundesstaat Florida ist, anders als der Name suggeriert, eigentlich keine richtige Burg, sondern ein riesiges Stein-Monument aus mehr als 1100 Tonnen Kalkstein. 28 Jahre lang hat ein Mann an dem Bauwerk gearbeitet – ganz allein, angeblich aus Liebeskummer. Die erstaunliche Geschichte von „Coral Castle“.
„You will be seeing unusual accomplishment“ (z. Dt.: „Sie werden eine ungewöhnliche Leistung zu sehen bekommen“). Diese Worte zieren eine dicke Steintafel, die Edward Leedskalnin einst am Eingang zu seinem „Coral Castle“ aufstellte und mit der hier heute noch Besucher empfangen werden. Ungewöhnlich – das trifft es wohl ganz gut, wenn man diesen inzwischen mehr als 60 Jahre alten Ort in Homestead, etwa 35 Kilometer südwestlich von Miami, beschreiben will.
Auf einem kleinen, parkähnlichen Areal stehen hier eine Reihe von Skulpturen aus Korallenkalkstein, zwischen denen sich Wege hindurchschlängeln. Etwa 1100 Tonnen Steine sollen hier verarbeitet sein, mächtige Blöcke in der Form von Mauern, Möbelstücken und einem Burgturm. Auch ein aufgehender Halbmond ist hier zu bewundern, genauso wie eine große Sonnenuhr, ein Obelisk, diverse Planeten und ein Wasserfall – alles aus Stein gemeißelt.
Ungewöhnlich ist aber nicht allein das Äußere dieses akkurat gepflegten Skulpturenparks, sondern auch die Art und Weise, wie Edward Leedskalnin ihn erschaffen hat. Er habe, so behauptete der gebürtige Lette bis zu seinem Lebensende beharrlich, komplett allein daran gearbeitet. Was insofern erstaunt, als einige der Steinblöcke bis zu 30 Tonnen wiegen und mehrere Meter hoch sind.
Die Geschichte des Coral Castle
Seinen Erzählungen nach wanderte Edward Leedskalnin im Alter von 26 Jahren nach Nordamerika aus, weil seine lettische Verlobte, die damals 16-jährige Agnes Scuffs, ihn kurz vor der Hochzeit abserviert hatte. Der gelernte Steinmetz lebte zunächst in Kanada, später dann in Texas. Nach einer überstandenen Tuberkulose-Erkrankung siedelte er schließlich wegen des besseren Klimas nach Florida über. Um 1923 soll er begonnen haben, in Florida City an seinem Steinpark zu bauen, der von ihm selbst zunächst Rock Gate Park genannt wurde. Weil Leedskalnin einmal vage erklärte, der Park sei für seine „Sweet Sixteen“, heißt es, seine unerwiderte Liebe zu der 16-jährigen Lettin habe ihn dazu angetrieben.
28 Jahre lang hat Edward Leedskalnin letztlich an seinem Monument gearbeitet, meistens nachts. Und die Menschheit rätselt bis heute, wie der nur 1,50 Meter kleine und schmächtige Mann die schweren Blöcke aus Korallenstein allein bewegt haben will. Bis zu 30 Tonnen sollen einige der Steine in ihrem Rohzustand gewogen haben, der größte ist 7,60 Meter hoch. Leedskalnin hat die Steinblöcke ohne Mörtel so übereinander setzt, dass sie nur durch ihr eigenes Gewicht zusammengehalten werden. Dabei ging er mit einer solchen Präzision vor, dass kein Licht zwischen den Steinen hindurch blitzt. Selbst diverse Hurrikans soll der Skulpturenpark ohne Schäden überstanden haben.
Zu den besonderen Objekten, die der Lette erschaffen hat, gehört auch eine frei schwingende, mehrere Tonnen schwere Steintür am Eingang. Sie ließ sich einst ganz leicht drehen, der Druck mit nur einem Finger soll dazu ausgereicht haben. Als die Tür 1986 – mehr als 30 Jahre nach Leedskalnins Tod – ihren Geist aufgab, waren sechs Männer und ein Kran notwendig, um sie anzuheben. Im Zuge dessen wurde das Mysterium hinter ihrer genialen Technik offenbar: Die Tür ruht über einem Loch auf einem Lager, das aus einer ehemaligen Lkw-Achse gefertigt ist. Rost hatte dazu geführt, dass sie sich nicht mehr drehen ließ.
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Leedskalnin behauptete, er kenne das Geheimnis der Pyramiden
Bleibt die Frage, wie Edward Leedskalnin all das allein bewerkstelligt haben will: der Transport der Blöcke, deren Aufeinanderstapeln – es scheint schier unmöglich, dass ein Mann allein zu so etwas fähig sein könnte. „Bis zum heutigen Tage weiß niemand, wie Ed das Coral Castle erschaffen hat“, heißt es dazu auf der Website des Coral Castle Museums. „Erbaut im Schutz der Nacht und im Geheimen, zu einer Zeit, in der es keine modernen Konstruktionshilfen gab, sagte Ed nur, dass er das ‘Geheimnis der Pyramiden‘ kenne.“ Tatsächlich hat Leedskalnin einmal gesagt, er habe „herausgefunden, wie die Ägypter und die alten Baumeister in Peru, Yucatan und Asien nur mit primitiven Werkzeugen viele Tonnen wiegende Steinblöcke hoben und an ihren Platz setzten.“ Was genau er damit meinte, ließ er im Dunkeln. Als Besucher ihn einmal fragten, wie er die Monumente erbaut habe, sagt er nur „Es ist nicht schwierig, wenn man weiß, wie es geht.“
Ein auf Youtube hochgeladener Clip, der sich mit dem Geheimnis um den Bau des Coral Castle beschäftigt, zeigt alte Filmaufnahmen aus dem Jahr 1930. Darauf zu sehen ist Edward Leedskalnin, der riesige Steinblöcke mithilfe eines großen Dreibeinmastes mit eingebautem Flaschenzug anhebt. Es handele sich um einen besonders effektiven Kettenflaschenzug, wird im Video erklärt. Auch, wie die Blöcke von einem Punkt zum anderen bewegt werden, wird durch Filmaufnahmen belegt: Leedskalnin nutzte dazu ein Kettenzahnrad und ein System aus Rollen, auf denen die Steinblöcke ruhten.
Leedskalnin, der im zweiten Stock des Burgturms wohnte, bot gegen einen kleinen Eintrittspreis von 10 Cent Führungen durch seinen Rock Gate Park an. Mitte der 30er-Jahre entschied Leedskalnin, seinen Rock Gate Park von Florida City nach Homestead zu verlegen. Der Museums-Website zufolge gab es seitens des Staates Überlegungen, auf dem ursprünglichen Standort in Florida City zu bauen, weshalb Leedskalnin sich zu dem Schritt entschied. Er baute weiter an seinem Castle, bis er 1951 krank wurde und im Alter von 64 Jahren an einer Nierenvergiftung starb. Sein Besitz ging an seinen nächsten Verwandten in den USA, einen Neffen, der den Park aber weiterverkaufte.
Noch heute kann der Rock Gate Park, der nach Leedskalnins Tod in Coral Castle umbenannt wurde, besichtigt werden. Die Adresse: 28655 South Dixie Highway, Miami, Florida 33033.
Auf manch einen mag der Park an sich vielleicht ein wenig unspektakulär wirken – aber mit dem Wissen, dass ein schmächtiger Mann ihn allein erbaut hat, vermutlich aus Liebeskummer, bekommen die alten Steinskulpturen einen ganz neuen Sinn. Der britische Sänger Billy Idol war bei einem Besuch des Parks in den 80er-Jahren sogar derart fasziniert von dessen Entstehungsgeschichte, dass er kurz darauf seinen weltberühmten Song „Sweet Sixteen“ schrieb.