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Die unglaubliche Geschichte von Christopher aus Backnang

Wie ein Deutscher im Urwald seine Krankheit besiegte

Christopher Denz mit seiner schwangeren Freundin Lilli. Der Informationselektroniker ließ seinen Alltag in Deutschland hinter sich, um im peruanischen Ort Tamshiyacu ein neues Leben zu beginnen
Christopher Denz mit seiner schwangeren Freundin Lilli. Der Informationselektroniker ließ seinen Alltag in Deutschland hinter sich, um im peruanischen Ort Tamshiyacu ein neues Leben zu beginnen Foto: Getty Images
Tim Röhn

8. Januar 2015, 11:03 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Elf Jahre lang litt Christopher Denz aus Backnang unter Epilepsie und musste täglich Medikamente nehmen. Eines Tages entschloss er sich, in den peruanischen Dschungel zu gehen und sich einem Schamanen anzuvertrauen. Seitdem hatte er keinen Anfall mehr. Eine Geschichte über Heiler, die große Liebe und ein neues Leben mit wenig Geld.

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Wer nach Tamshiyacu im peruanischen Regenwald reist, der tut dies, um Schamanen zu treffen. Weil er krank ist und auf Heilung hofft. Weil er Geister treffen will. Oder weil er den ultimativen Kick sucht. Manches klappt und manches nicht. Am Ende reisen die Ausländer wieder nach Hause. Nach Europa, Asien und Nordamerika. Sie steigen in ein Boot zurück in die Normalität, und erzählen, wie krass alles war. Das Brechen. Das Schwitzen. Die Visionen. Die Geister. Der Durchfall. Einige berichten tatsächlich von Heilung. Davon dass sie kein Krebs mehr hätten oder Aids. Bleiben wollen die wenigsten, Tamshiyacu ist so anders als die westliche Welt. Und doch ist einer immer noch da: Christopher Denz. Ein Deutscher aus der Nähe von Stuttgart.

Der junge Mann hatte ein gewöhnliches Leben in Deutschland. Er hat es eingetauscht gegen ein Leben am Rande des Dschungels. Christopher war Informationselektroniker. Er lebte in einer WG. Hin und wieder hatte er eine Freundin. Er war Epileptiker, die Ärzte verschrieben Tabletten, so ging es einigermaßen. Irgendwie war alles nullachtfünfzehn. Er hat das hinter sich gelassen. Jetzt hat er ein langsames Leben, in dem Zeit bedeutet, dass genug davon da ist. Und Geld, dass man immer genau so viel hat, dass man durchkommt.

Christopher brachte die erste Bohrmaschine mit ins Dorf

Tamshiyacu, Region Loreto, Peru. 3000 Einwohner. Delfine hüpfen über den Amazonas. Überall Kindergeschrei. 18-Jährige als Dreifach-Mütter. Der Regenwald beginnt 200 Meter hinter dem Ortsausgang. Die rostbraune Piste führt bis 20 Kilometer hinein, Regen und Sonne wechseln sich ab, die Vögel singen, alles ist grün und friedlich. Hier hocken die Schamanen und vermeintlichen Wunderheiler. Die Bauern verkaufen ihre Früchte aus dem Wald auf dem Markt. Jeden Morgen ab 5.30 Uhr schallen die Lautsprecher-Durchsagen durch das ganze Dorf, so nervtötend wie das Propaganda-Gebrüll der Kommunisten-Aufmärsche in Havanna, Kuba.

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Tamshiyacu liegt direkt am Amazonas. Foto: Tim Röhn

Jeder hat ein Dach über dem Kopf. Die Häuser wurden zusammengenagelt, Bohrmaschinen kannten sie solange nicht, bis Christopher eine mitbrachte. Es gibt ein Hotel, die Zimmer sind klein, die Kakerlaken groß, der Schimmel im Bad beträchtlich, der Preis okay: 15 Soles pro Nacht, knapp vier Euro. Gringos, wie die Ausländer hier genannt werden, werden in Tamshiyacu erst bestaunt wie Marsmenschen, dann wird ihnen ein Bier in die Hand gedrückt und gefragt: „¿Qué pasa, amigo?“, was geht ab, mein Freund? Getrunken wird von nachmittags bis nachts.

Das ist jetzt die Welt von Christopher Denz aus Backnang, Baden-Württemberg.

Es war ein weiter Weg hierher.

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Die Kinder haben nicht viel zum Spielen, aber sie scheinen glücklich. Foto: Tim Röhn

Aus Lima geht es mit dem Flugzeug nach Iquitos, der weltweit größten Stadt, die nicht über eine Straße erreichbar ist. Iquitos ist ein stinkendes Moloch. Im Hafen legt das kleine Holzboot nach Tamshiyacu ab, wenn es voll ist. Das dauert auch mal ein paar Stunden. 30 Menschen passen hinein, und manchmal bleibt das Boot auf dem Amazonas liegen. Dann hantiert der Kapitän solange an dem Motor herum, bis er wieder läuft.

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Von Iquitos aus kommt man mit dem Boot in Tamshiyacu an. Foto: Tim Röhn

„Damals hätte ich niemals gedacht, dass alles so gut wird“

Es war Mitte 2013, als sich Christophers Leben veränderte. Elf Jahre war er damals Epileptiker, er litt an genuiner Aufwachepilepsie. Kurz nach dem Aufwachen hatte er seine Anfälle, sein ganzer Körper zitterte, er brüllte, er hatte keine Kontrolle über sich. Die Ärzte verschrieben Pillen, auch Antidepressiva, Christopher arrangierte sich mit der Krankheit. Schlimmer war es für Mitko, seinen besten Freund, mit dem er zusammenwohnte. Mitko stand hilflos daneben, wenn Christopher einen Anfall hatte. Der Freund entschied, etwas zu tun, er suchte nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten. Im Internet stieß er auf einen Schamanen, einen Heiler, einen sogenannten Curandero. Der sollte bald nach Deutschland kommen. Mitko erzählte Christopher davon.

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Christopher ist ein Mensch, der sich seine Worte sorgfältig zurechtlegt, bevor er spricht. Er redet deutlich und klar, er ist der Typ Pragmatiker. „Eigentlich ist dieser Kram hier nichts für mich, das habe ich immer gedacht“, sagt er, während er im Dorfrestaurant an einem Tisch mit lila Tischdecken sitzt und eine giftgrüne Inka-Cola trinkt. „Damals“, sagt Christopher, „hätte ich niemals gedacht, dass alles so gut wird.“

Der Schamane sagte: „Ich habe alles unter Kontrolle“

Es war im Juni 2013, als Joven Murayari, ein peruanischer Schamane, in Gummersbach eine Zeremonie abhielt. Mitko und Christopher nahmen gemeinsam teil. Zum ersten Mal tranken sie Ayahuasca, ein Gebräu, das aus der Regenwald-Liane Banisteriopsis caapi gewonnen wird. Ayahuasca bewirkt Halluzinationen, Schamanen schwören auf die reinigende Wirkung und darauf, dass Menschen so Kontakt mit Pflanzengeistern aufnehmen. Während der Zeremonien rauchen und singen sie und blasen den Leuten Qualm ins Gesicht. Die Schamanen sagen, sie könnten kranke Menschen gesund machen.

Christopher verlor das Bewusstsein, andere Teilnehmer riefen den Notarzt. Als der kam, sagte der Schamane: „Ich habe alles unter Kontrolle.“

Kein Salz, kein Zucker, kein Alkohol, kein Sex

Nach der dreitägigen Zeremonie ging es ihm besser, die Anfälle waren weniger heftig. Er glaubte jetzt an die heilenden Kräfte der Schamanen. Er entschied sich, an einer sechswöchigen Zeremonie im peruanischen Urwald teilzunehmen, begleitet von einer strengen Diät: kein Salz, kein Zucker, kein Alkohol, kein Sex. Stattdessen irgendein Pflanzenextrakt, drei Liter pro Tag. Ayahuasca. Zeremonien. Rauchende Schamanen. Durchfall, Übelkeit.

„Es hat mich total zerrissen“, sagt Christopher. Es war am zehnten Tag, als der Schamane Christopher zur Seite nahm: „Das war’s, du brauchst ab heute keine Tabletten mehr.“ Es wäre das erste Mal seit elf Jahren, das kann ich nicht machen, dachte Christopher. Zwei Tabletten vor dem Einschlafen, verschrieben vom Hausarzt in Backnang, waren obligatorisch. Aber der Deutsche vertraute dem Schamanen. Er wachte am nächsten Morgen auf, wartete und wartete, aber er hatte keinen Anfall. Seit jenem Tag hat er keine Tabletten mehr genommen, sie landeten auf dem Müll.

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Kann Schamanismus wirklich heilen? In Deutschland ist die Skepsis groß, die meisten Mediziner glauben nicht daran. Sie reden von einem Placebo-Effekt und verorten Schamanismus irgendwo zwischen Kartenlegen und Esoterik. Die Anhänger dagegen sprechen ehrfürchtig von der ältesten Heilmethode der Welt – und davon, dass sie den Körper und Geist mit der Natur in Einklang bringen kann. Christopher sieht es genauso.

Christopher verliebte sich in die Nichte des Schamanen

Er wollte nach der Zeremonie zurück nach Deutschland, aber es gab diese Begegnung mit Lilli, der Nichte des Schamanen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sein Spanisch war miserabel, er las Infinitive aus dem Wörterbuch ab, um sich auszudrücken. Dass sie damals erst 16 war, wusste er nicht. Ihr Vater sagte: „Kannst du für sie sorgen? Ja? Dann ist es okay.“ Der Rest der Familie sagte: „Ihr tut einander gut.“

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Christopher mit Lilli und ihren Eltern. Foto: Tim Röhn

Lilli wurde schwanger, das war nicht geplant, und sie sagte es ihm nicht. Christopher musste zurück nach Deutschland, so war es geplant, er musste sein Leben ordnen. „Mir war klar, dass ich zurückkommen würde. Ich wusste, dass ich jetzt zu Lilli gehöre.“ Am Telefon sagte sie ihm, dass ein Baby auf dem Weg ist. „Ich habe sofort meine Sachen gepackt und bin zurück nach Peru“, sagt Christopher. Er nippt an seiner Inka-Cola und blickt in den Himmel. Er lächelt, wenn er von seinen Erlebnissen in Tamshiyacu erzählt.

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Wer braucht schon einen Pool, wenn er direkt in den Amazonas springen kann?. Foto: Tim Röhn
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„Sie haben mich aufgenommen, als wäre ich einer von ihnen“

Da sind die Feste in den Nachbardörfern, in denen getrunken und getanzt wurde bis zum Morgengrauen. Und in denen zuvor noch nie ein Gringo war. „Sie haben mich aufgenommen, als wäre ich einer von ihnen“, sagt Christopher. Der Deutsche hat für 300 Soles ein kleines Haus gemietet, eigentlich ist es nur ein riesiger Raum, aber Christopher hat zwei Holzwände gebaut, jetzt gibt es so etwas wie ein Schlafzimmer. Das Klo ist im Garten, an der Hausfassade prangt das Logo der Partei Acción Popular, eine Schaufel. Hier will er mit Lilli leben.

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Alte Autos am Straßenrand in Tamshiyacu. Foto: Tim Röhn

Geld verdient er mit seinem Onlineshop „Ablantis“, den er mit Freund Mitko betreibt. Sie exportieren Kunsthandwerk und Pflanzenextrakte aus dem Regenwald nach Deutschland: Camu-Camu-Pulver, angeblich wirksam bei Rheuma und Diabetes, gut fürs Herz und das Immunsystem. Copaiba-Öl, nützlich bei Hauterkrankungen und Bronchitis, hilft angeblich gegen Parasiten. Christopher verdient nicht viel mit seinem Shop, aber er kommt über die Runden. Man braucht nicht viel in Tamshiyacu, im besten Restaurant der Stadt kosten ein Zwei-Gänge-Menü und zwei Coca Cola etwas mehr als zwei Euro.

Was er vermisst? „Ich kann es nicht sagen. Ich glaube, mir fehlt nichts. Das Leben hier ist so was von interessant.“ Er liebt die Offenheit und Herzlichkeit der Leute, er sagt, dass es in Deutschland viel rüder zugehe. „Hier in Tamshiyacu ist es, als wären wir alle Freunde.“

Die Frage ist, wie lange er bleiben will. Christopher denkt lange nach. Dann grinst er. Deutschland wolle er bald wieder besuchen, Lilli soll seine Kultur kennenlernen. „Aber“, sagt Christopher, „meine Zukunft sehe ich mittlerweile hier.“

Themen Bolivien Dschungel Peru
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