19. Januar 2021, 4:55 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Man muss nicht alleine zum Südpol marschieren, um ein Abenteurer zu sein. Der Norweger Erling Kagge hat es trotzdem getan – und nicht nur das. Im Interview erzählt er, was er unterwegs gelernt hat.
Wenn irgendjemand ein echter Abenteurer ist, dann Erling Kagge. Der Norweger erreichte als erster Mensch die „drei Pole der Erde“ – Südpol, Nordpol und den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest. In der extremen Kälte der Antarktis war er wochenlang völlig allein nur mit einem Schlitten unterwegs.
Seine Erfahrungen und Erkenntnisse hat Kagge in einer „Philosophie für Abenteurer“ festgehalten. Was die mit dem vermeintlich ganz normalen Leben zu tun hat, darüber spricht der Autor, Kunstsammler und Familienvater im Interview.
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Abenteurer Erling Kagge im Interview
Was hat dich motiviert, deine Abenteuer zu starten?
Erling Kagge: Ich glaube, wir sind alle geborene Entdecker. Du, ich und jeder andere auch. Jedes Kind fragt sich, was hinter dem Horizont liegt. Und jedes Kind möchte mehr Raum um sich herum schaffen. Dieser Entdeckergeist verschwindet nie, aber er wird langsam verwässert durch den Kindergarten, Eltern, Freunde, Schule und Kollegen. Aber wir haben ihn in uns, solange wir leben.
Was waren die härtesten Momente auf deinen Expeditionen zum Süd- und Nordpol?
Kagge: Jeden Morgen zur richtigen Zeit aufzustehen, wenn es im Zelt minus 50 Grad hat. Der erste Schritt ist immer der schwierigste.
Und die erhabensten, großartigsten Augenblicke?
Kagge: Teil der Natur zu sein, Mutter Erde zuzuhören. Sie verrät dir, woher du kommst und auch ein paar Dinge, die noch auf der Straße vor dir liegen. Außerdem war die Wärme schön, wenn ich Erfrierungen hatte, und satt zu sein, nachdem ich vor Hunger fast gestorben bin.
Manche sagen, das Abenteuer warte direkt vor der Haustür. Stimmst du zu oder hältst du das für ein Klischee?
Kagge: Da stimme ich definitiv zu. Manche der größten Geheimnisse des Lebens warten in deiner eigenen Nachbarschaft. Jedes zweite Reisebuch handelt von jemandem, der weit gereist ist, aber die Antworten auf die großen Fragen findet, wenn er nach Hause zurückkehrt.
Was hält denn Reisende davon ab, ein Abenteuer zu erleben?
Kagge: Du musst erkennen, wie wichtig es ist, dein Leben etwas schwieriger zu machen als nötig. Ein freier Mensch besitzt Zeit. Aber wenn du dich im Leben immer für den einfachsten Weg entscheidest, dann lebst du ein unfreies Leben.
Wie meinst du das genau?
Kagge: Verantwortung ist der Schlüssel zu einem freien Leben. Wenn du Verantwortung vermeidest, wirst du dich an jeder Kreuzung für den einfachsten Weg entscheiden, und in diesem Fall werden deine Entscheidungen, ob groß oder klein, vorherbestimmt sein.
Wir sollten uns ein herausforderndes Leben wünschen. Verantwortung und Belastungen geben dem Leben Substanz. Immer den einfachsten Weg zu wählen, ist das Rezept dafür, das Leben um diese Substanz zu bringen. Wenn dein Leben keinen Unterschied für andere macht, wird es auf lange Sicht auch dir nicht mehr so viel bedeuten.
Muss ich Reiseveranstalter meiden, um Abenteuer zu erleben?
Kagge: Nein. Ich glaube, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Und Reiseveranstalter schlechtzureden, finde ich respektlos.
Fühlst du manchmal Nostalgie, weil die Welt schon entdeckt ist und es kaum noch weiße Flecken auf der Landkarte gibt?
Kagge: Ich glaube, die Welt bleibt eigentlich unentdeckt. Sie ändert sich die ganze Zeit, genau wie wir, und in diesem Sinn ist die Welt jeden Morgen wieder neu. Und was Entdeckungen angeht, da bin ich überzeugt, dass das Beste erst noch vor uns liegt.
Haben wir zu viel Angst, mit etwas zu scheitern?
Kagge: Manchmal wahrscheinlich schon. Scheitern ist fast nie ein gutes Gefühl. Diese Erfahrung ist andererseits eine sehr gute Schule, auch wenn sie am aufwendigsten ist. Jemand, der niemals scheitert, hat wahrscheinlich von Anfang an zu wenig gewagt. Scheitern ist Teil des Lebens – wir alle scheitern.
Was wird dein nächstes Abenteuer sein?
Kagge: Ich stelle mir das Leben als einen langen Spaziergang vor. Ein Weg, auf dem jeder seinen eigenen Südpol finden muss.
(Interview: Philipp Laage, dpa)