13. Dezember 2020, 15:14 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Nick und Lins sind Nomaden, nudistische Nomaden. Vor ein paar Jahren haben die beiden beschlossen, ihre Bürojobs aufzugeben und reisen seitdem durch die Welt – nackt. Im Interview verraten sie, was ihnen daran gefällt.
Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf noizz.de
Lins ist 34 Jahre alt, Nick 38, und vor drei Jahren haben die beiden beschlossen, ihre Bürojobs gegen ein Nomadenleben einzutauschen – ein nacktes Nomadenleben. Seitdem tragen sie eigentlich nur noch Kleidung, um einkaufen zu gehen, Touristenattraktionen zu besuchen oder von einem Ort zum anderen zu reisen – auf der Suche nach den weltweit besten Orten für Naturisten.
Was ist Naturismus beziehungsweise Nudismus überhaupt?
„Naturismus ist vor allem wegen der Praxis nicht-sexueller sozialer Nacktheit bekannt, aber es ist so viel mehr als das. Naturismus ist eine Lebensweise, die auf Respekt für sich selbst, für andere und für die Natur basiert“, erzählen mir die Nick und Lins. In der Vergangenheit sei Naturismus ein sehr strenger Lebensstil mit vielen Regeln – zum Beispiel kein Rauchen, kein Fleisch, kein Alkohol… – gewesen. Menschen, die zwar die soziale Nacktheit genossen, sich aber mit den strengen Regeln nicht wohlfühlten, wurden daher lange Nudisten genannt. Lins und Nick nutzen für sich selbst sowohl den Begriff der Naturisten, als auch der Nudisten. Heute bedeuten beide Begriffe im Prinzip nämlich das Gleiche, erzählt mir das Paar.
So sind Nick und Lins Naturisten geworden
In Kontakt gekommen sind die beiden gebürtigen Belgier*innen mit „sozialer Nacktheit“ zum ersten Mal durch die Badekultur, die auch in Deutschland sehr beliebt ist. Damals war das Nacktsein für Nick und Lins noch ausschließlich mit Spaß verbunden. Erst als die beiden Naturisten-Campingplätze entdeckten, begann der richtige Lifestyle-Change. „Wir lernten andere Aspekte der sozialen Nacktheit kennen und begannen, nach weiteren Dingen zu suchen, die wir auch ohne Kleidung machen konnten.“ Als sie herausfanden, dass es weltweit Orte gibt, an denen man seinen Urlaub nackt genießen kann, eröffnete sich ihnen eine „ganz neue Welt.“ „Wir glauben, das war der Punkt, an dem wir Naturisten geworden sind“, erzählen Nick und Lins im Interview.
Gründe, weshalb sich Menschen dazu entscheiden, Naturisten zu werden, gibt es viele. Laut Nick und Lins bringt der Lifestyle körperliche und mentale Vorteile mit sich, wie unter anderem „körperliches Vertrauen, starke Freundschaften und ein Gefühl der Befreiung“. „Manche kehren gerne auf die natürlichste Art und Weise zur Natur zurück, manche wollen Körperprobleme überwinden, manche finden es einfach sehr bequem oder wollen keine Bräunungsstreifen haben“, so das Paar.
Der erste Ausflug in die Welt der Naturisten – inklusive kleiner Blamagen
„Ein paar Jahre nach unserer ersten Nacktbad-Erfahrung gingen wir zum ersten Mal auf einen FKK-Campingplatz. Tatsächlich war es ein ‚Textil-Campingplatz‘, der über eine FKK-Abteilung verfügte. Wir erinnern uns daran, dass der Textilteil laut war, voll von Leuten, die Lärm machten. Die FKK-Abteilung war eine Oase der Ruhe und Gelassenheit. Es waren auch ziemlich viele Leute da, aber sie machten einfach nicht so viel Lärm. Das war das Erste, was wir an Naturisten-Orten liebten. Dann kam der Komfort, in einem kleinen Zelt keine Kleidung anziehen zu müssen, sondern einfach nackt nach draußen gehen zu können. Wir mussten nicht in kleinen Kabinen duschen, sondern einfach draußen im Freien.“ „Und alle waren so freundlich“, fügen beide an. „Eines Tages machten wir einen Tagesausflug und es fing an zu regnen. Als wir zum Campingplatz zurückkamen, hatten unsere Nachbarn alle Sachen, die wir draußen gelassen hatten, sorgfältig aufgesammelt und irgendwo trocken aufgestellt.“
Aber auch das Naturisten-Sein kommt nicht ohne „soziale Regeln“. Naturismus ist schließlich immer noch ein Tabu. Es gibt kein Handbuch à la „In 10 Schritten zum Naturisten“ – Pardon gab, denn Nick und Lins haben mittlerweile einen Guide verfasst. Am Anfang mussten die Belgier*innen nämlich ein paar unangenehme Situationen durchmachen:
- „Am Anfang hatten wir so viele Fragen: Können wir uns bücken? Wie nah darf man sich anderen Naturisten nähern? Müssen wir alles nackt machen?“
- „Bei einem unserer ersten Male auf einem Naturisten-Campingplatz kamen wir mitten am Tag an. Alle waren nackt, also zogen wir unsere Kleider aus, sobald wir aus dem Auto gestiegen waren. Aber dann mussten wir das Zelt aufstellen. Es ist nicht einfach, ein Zelt aufzustellen, ohne die Hälfte des Campingplatzes deinen ‚Vollmond‘ genießen zu lassen. Als das Zelt schließlich aufgebaut war, kamen andere Leute auf dem Stellplatz neben unserem an. Sie blieben einfach bekleidet, bis ihr Zelt aufgebaut war, und zogen dann ihre Kleider aus.“
- „Ein anderes Mal wurden wir abends zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Es wurde schon ein bisschen kalt, aber da wir in einem FKK-Platz waren, dachten wir uns, dass wir nackt sein sollten. Als wir am Esstisch ankamen, waren alle anderen bekleidet, und wir waren die einzigen nackten Gäste.“
Seitdem haben Nick und Lins nackt den Großteil Europas gereist, die meisten FKK-Ferienorte in Asien, waren in den USA, Kanada und Mexiko und haben an mehreren Naturisten-Treffen in Südamerika teilgenommen. Diesen Winter wäre eigentlich Südafrika an der Reihe gewesen, wegen Corona fiel dieser Plan allerdings ins Wasser.
In Frankreich CHM Montalivet – Europas größter FKK-Campingplatz
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Vorsicht Diese wichtige Sache sollte man beim FKK im Freien nie vergessen!
„Die eigentliche Frage lautet doch: Wieso nicht?“
In der Zwischenzeit arbeiten Nick und Lins weiter an ihrem Blog „Naked Wanderings“ („Nackte Wanderungen“). Mit dem wollen sie Naturismus „durch die Augen unserer Generation“ vorstellen und andere Menschen von dem freizügigen Lifestyle überzeugen. Wieso? „Die eigentliche Frage lautet doch: Wieso nicht?“, kontert das Naturisten-Paar im Interview. „Es ist nicht gefährlich, kann dir nicht schaden und es ist nicht dauerhaft. Wenn du den Naturismus ausprobieren willst und es dir nicht gefällt, ziehst du eben deine Kleider wieder an und du bist kein Naturist mehr. Aber wenigstens hast du es versucht, und du weißt, worum es geht. Die Leute reden immer davon, Erfahrungen zu machen und aus der Komfortzone herauszukommen. Das alles ist Naturismus. Alle anderen Vorteile werden Sie selbst herausfinden, wenn Sie es einmal ausprobiert haben.“
Text: Alisha Archie