8. Januar 2018, 13:49 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Der freundlich in die Kamera lächelnde Mann wirkt auf seinen Bildern auf den ersten Blick fast unscheinbar. Ganz anders, wie wir das sonst von all den inszenierten Urlaubsfotos auf Instagram & Co. kennen. Dieser Mann nutzt kein Photoshop oder irgendwelche Filter. Er hat einen Titel, um den ihn sicher viele beneiden, denn Jorge Sanchez ist der meistgereiste Mensch der Welt. TRAVELBOOK erzählte er von seinem abenteuerlichen Leben.
Jorge Sanchez, 63 Jahre alt, ist Spanier und seit mehr als 30 Jahren widmet er sein Leben dem Reisen, erlebt ein Abenteuer nach dem anderen. Ob Alter, Geld oder Verbote – nichts hielt den Abenteurer davon ab, die Welt zu entdecken und so viele Eindrücke wir nur möglich zu sammeln.Kein Wunder, dass er der Rekord-Globetrotter ist: Jorge Sanchez ist der meistgereiste Mensch der Welt!
Wie wird man der „meistgereiste Mensch der Welt“?
Jorge Sanchez vor einer Statue Marco Polos in China
Foto: Jorge Sanchez
Wie er zu diesem Titel kommt? Auf der Website „Nomad Mania“ können sich Vielreisende registrieren, austauschen und inspirieren lassen. Auf dem Portal ist die Welt in 1281 Territorien unterteilt – hat man einen Ort besucht, kann man dies auf der Website vermerken. So ist ein Ranking entstanden, dass Jorge Sanchez mit beeindruckenden 1145 besuchten Zielen anführt. Dicht hinter ihm: der meistgereiste Deutsche Sascha Grabow. Auch auf der ähnlichen Website „The Best Travelled“ führt Jorge Sanchez die Liste der meistgereisten Menschen weltweit an. Natürlich reicht es nicht einfach zu behaupten, man sei an all diesen Orten gewesen: Ab 500 besuchten Zielen werden die User aufgefordert, ihre Abenteuer auch zu belegen.
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Ob Jorge Sanchez tatsächlich der meistgereiste Mensch der Welt ist, kann nicht mit letzter Sicherheit bewiesen werden. Bestimmt gibt es auch andere Menschen, die extrem viel von der Welt gesehen haben, ohne es online festzuhalten. Andere Rekordreise-Webseiten haben andere Kriterien und Unterteilungen, wodurch es zu anderen Platzierungen der Vielreisenden kommen kann. Jorge Sanchez ist jedoch ohne Zweifel ein Experte unter den Vielreisenden.
Mit 13 Jahren allein durch Afrika
Ein Abenteurer steckte schon immer in Jorge: Die ersten Reiseerfahrungen machte der Spanier mit 13 Jahren, als er sich in Richtung Süden aufmachte – er wollte den afrikanischen Kontinent bis hin zum Kap der Guten Hoffnung durchqueren. Kein einfaches Vorhaben, wie er feststellen musste. Denn schon in Mauretanien im Norden Afrikas wurde er von spanischen Soldaten aufgehalten – dennoch, in Anbetracht seines Alters eine beeindruckende Strecke! Die Soldaten schickten den Jungen wieder zurück zu seinen Eltern, denn neben der Tatsache, dass er minderjährig war, reiste er ohne Pass. „Zu jener Zeit wusste ich nicht, dass man ein Dokument namens Pass brauchte, um den Planeten bereisen zu können“, sagt Jorge. Also wartete er geduldig, bis er 18 Jahre alt wurde, um sich das Dokument zu besorgen und den Wunsch, die weite Welt zu entdecken, in die Tat umsetzten konnte.
Erfahrungen sind da, um sie zu teilen
Einer der Gründe, warum sich Jorge auf der Website „Nomad Mania“ registrierte, war, dass er seine Erfahrungen festhalten und an junge Reisende weitergeben möchte. Über die Jahre habe er viele Eindrücke gesammelt, Techniken gelernt und Ratschläge erhalten, dass er sein mehr als 30 Jahre lang angesammeltes Wissen weitergeben wollte. Auch habe er so viele Freunde über das Internet gefunden – mit manchen habe er Briefkontakt, mit anderen telefoniere er regelmäßig. „Abgesehen davon ist einer der positiven Aspekte der virtuellen Reisegemeinschaften, dass sie dir neue Reiseziele zeigen, neue Orte, von denen du zuvor nie gehört hattest. Und dann wirst du motiviert, dir diese Orte anzusehen. Dank der Reisecommunitys habe ich unbekannte Ziele wie Nordkosovo, Gagausien, Åland, Lundy oder Helgoland entdeckt, um nur einige zu nennen.“
Ob er alle 1281 der auf „Nomad Mania“ registrierten Ziele besuchen möchte? „Auf ‚Nomad Mania‘ fehlen mir noch 136 Territorien. Ich habe nicht die Absicht, all diese 136 Orte zu besuchen; viele von ihnen sprechen mich nicht an, wie einige Gebiete in Nigeria, Saudi-Arabien oder der Demokratischen Republik Kongo.“ Andere Orte finde er unnötig teuer, wie die Phoenixinseln, die Clipperton-Insel oder den Südpol. Doch auch wenn er das Geld hätte, würde er Orte wie den Südpol nicht besuchen. „Stattdessen würde ich das Geld für meine Familie ausgeben, zum Beispiel, um mit meiner Frau und unseren Kinder an den Baikalsee zu fahren, auf die Kanarische Inseln zu reisen oder eben um das Disneyland in Orlando zu besuchen.“
Die Erde ist seine Universität
„Für mich bedeutet reisen zu lernen, und ich liebe es, Neues zu lernen, ich brauche es. Ich betrachte die Erde als meine Universität“, erklärt der Abenteuer seine Faszination für das Reisen. „Ich sehe die Welt als einen wunderschönen Ort mit fünf Stockwerken. Jedes Stockwerk repräsentiert einen anderen Kontinent und auf jedem Stockwerk gibt es viele verschiedene Räume, die mit Schätzen, Wundern und Wissen über das Geheimnis des Lebens gefüllt sind. Der erste Stock heißt Europa und beherbergt 47 Zimmer, die 47 Länder repräsentieren. Der Name des zweiten Stockwerks ist Asien und beinhaltet 43 Zimmer. Afrika ist auf dem dritten Stockwerk und hat 54 Zimmer. Amerika, im vierten Stock, hat 35 Zimmer und schlussendlich Ozeanien auf dem fünften Stockwerk mit nur 14 Zimmern. Gemeinsam haben die fünf Stockwerke 193 Zimmer oder anders gesagt 193 Länder, die in den Vereinten Nationen registriert sind. Im Jahr 2003 betrat ich das letzte Zimmer, mein letztes Land: Somalia“, verrät er.
Bomben im Hindukusch
Dabei war Indien sein liebstes Zimmer: „Ich bin in Indien verliebt. Ich liebe seine Menschen, die Natur, die Tempel und die Religion. Ganz zu schweigen von dem Essen.“ Auch Orte, die er weniger mag, gibt es. „Ich mag die Länder nicht, die unter dem Krebs der Gesellschaft leiden: Krieg“, erklärt Jorge. Negative Erfahrungen habe er in Afghanistan gemacht, als der Präsident Mohammed Nadschibullāh an der Macht gewesen ist. Und im Irak während der Zeiten Saddam Husseins – im Jahr 1988 fielen nach eigener Aussage im Hindukusch Bomben von russischen Fliegern auf ihn herab. 2001 machte er ähnliche Erfahrungen am Ufer des Flusses Tigris in Bagdad, als US-amerikanische und englische Kampfflugzeuge über ihn hinweg flogen.
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Jorge erlebt auf seinen Abenteuern unzählige unvergessliche Momente. So wie 1989 in Nepal: Der Besuch im buddhistischen Königreich Mustang im Himalaya war ein ebenso abenteuerliches wie schönes Erlebnis. Damals war es Reisenden untersagt, das Königreich zu betreten – Jorge verschaffte sich den Zugang zu diesem schönen Ort nicht ganz legal: Gurung heißt ein nepalesisches Volk – und Jorge verkleidete sich als einer von ihnen. So schaffte er es, durch die Kontrollen zu gelangen und die Grenze zu überqueren, ohne entdeckt zu werden. Der abenteuerliche Weg wurde mit dem Blick auf das Dorf Lo Manthang belohnt: „Als ich dann einen Bergpass passierte, drehte ich meinen Kopf nach links und dachte: ‚Madre Mía, was für ein Erlebnis!‘ Es war wunderbar! Ich sah eine wundervolle, ummauerte kleine Stadt in den Hängen der schönen Berge, die an Tibet grenzten.“
„Ich dachte, ich müsse sterben“
Neben diesem Erlebnis gehört die Reise zu dem Kloster Simonos Petras auf der griechischen Halbinsel Athos, das er pilgernd besuchte, zu Jorges drei liebsten Momenten. Ebenso wie das erste Mal, dass er die Große Sphinx von Gizeh in Ägypten mit seinen eigenen Augen sehen durfte.
Jorges gefährlichste Erlebnis? Das war im Jahr 1987, Tatort Elfenbeinküste, als er im Taï Nationalpark unterwegs war: Er merkte beim Bergsteigen, dass ihm übel sei, woraufhin sein Begleiter ihn ins Krankenhaus fuhr. Jorge hatte sich mit der Krankheit Malaria infiziert – die im schlimmsten Fall sogar tödlich verlaufen kann. „Ich erinnere mich an nichts. Als ich wieder Bewusstsein erlangte, erzählte mir ein Freund, dass ich sieben Tage geschlafen hatte. Ich dachte ich müsse sterben. Aber ich überlebte; bald hatte ich das schlimme Erlebnis vergessen und bereitete eine neue Reise nach Afrika vor.“
Das Geld verdiente er bei der Goldsuche
Einen bestimmte Reise-Rhythmus hat Jorge nicht. Als er noch jünger war, reiste er mit einem One-Way-Ticket mehrere Jahre am Stück, ohne nach Spanien zurückzukehren. Inzwischen ist er zwar noch immer mit One-Way-Tickets unterwegs, die Touren haben sich aber etwas verkürzt: Meist sei er zwischen vier und sieben Monate im Jahr unterwegs.
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Lange Reisen brauchen eigentlich viel Vorbereitung – doch Jorge plant kaum, vielmehr lässt er sich von den Umständen, Zufällen und Begegnungen leiten. Dabei ist er mit leichtem Gepäck unterwegs: Ein One-Way-Ticket, etwas Geld, eine Kreditkarte, ein kleines Buch, um Eindrücke aufzuschreiben und ein paar Klamotten – mehr hat er nicht dabei. Bis vor kurzem hatte Jorge nicht mal eine Kamera mit auf seinen Abenteuern. Auf eine Sache, die viele Reisende im Gepäck haben, verzichtet Jorge aber bewusst: Reiseführer. „Ich habe mir niemals einen gekauft, ich vertraue ihnen nicht. Ich buche auch keine Hotels oder Hostels. Ich improvisiere die ganze Zeit und ändere meine Reisepläne häufig aufgrund der Umstände oder Ratschläge Einheimischer. Sie sind meine ‚Guides‘ – sie haben aktuelle und verlässliche Informationen über die verschiedenen Orte“, erklärt er.
Jorges Lebenslauf liest sich wie ein Abenteuerroman: Sein Geld verdiente er in jüngeren Jahren meist unterwegs – ob als Übersetzer in Taiwan, als Küchenhilfe in Australien oder Erntehelfer in Neuseeland. In Peru war er sogar auf Goldsuche, in den Straßen Kalkuttas, Indien, verkaufte er Regenschirme. Inzwischen jobbt er lieber in seiner Heimat. Mal als Tellerwäscher, mal als Küchenhilfe oder auch als Touristenführer. „Ich arbeite ungefähr fünf Monate, also die gesamte Touristensaison. Von diesem Geld reise ich dann die verbleibenden sieben Monate. Zur Sommersaison komme ich dann zurück nach Spanien und arbeite wieder“, sagt Jorge. Nebenbei hat er 25 Bücher über das Reisen geschrieben und seine Erlebnisse so festgehalten. Der Verlag überweist ihm jährlich seinen Anteil – auch wenn es kein Vermögen ist, hilft das Geld Jorge, seine Reisen mitzufinanzieren.
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Der Wunsch nach Gerechtigkeit
Wenn er die Welt verändern könnte, sie etwas besser machen könnte, würde er die Armut bekämpfen: „Ich würde gerne eine gerechtere Gesellschaft erleben – vor allem auf die Ökonomie bezogen – in der jeder mindestens dreimal am Tag essen kann und in der Kinder spielen und lernen können, um zu verantwortungsvollen Menschen zu werden und nicht gezwungen sind, wie Erwachsene zu arbeiten, wie ich es in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Amerikas beobachten musste.“
Wer mehr von den unglaublichen Abenteuern Jorges erfahren möchte, kann eines seiner Bücher zur Hand nehmen, ihn auf „Nomad Mania“ beobachten oder auf seiner Website nachlesen.