21. Februar 2025, 14:37 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es ist eine kleine Flucht nach innen. Kein Small Talk, keine Calls, keine privaten Gespräche, kein WLAN: Drei Tage Stille im Schweigekloster räumen den Kopf gründlich auf, wie unsere Autorin im Selbstversuch herausgefunden hat.
Wie lange können 30 Minuten nur dauern? Das frage ich mich bei der ersten Session im „Stillen Sitzen“ morgens acht Uhr. Verzweifelt und bewegungslos im Lotussitz. Gefühlte Stunden! Ich sehne den Gong herbei, der das Ende einläutet. Die gleiche Zeremonie am Abend fällt etwas leichter. In einem Raum mit 25 Menschen vergrößert sich die Stille wie eine Wolke. Nur den eigenen Atem höre ich gedämpft von innen. Die Fenster zeigen hinaus in den Park, ein friedliches Bild auf Gut Saunstorf, 15 Kilometer von Wismar entfernt, in Mecklenburg-Vorpommern. Das Kloster beschreibt sich als „Ort der Stille“, ein modernes, überkonfessionelles Kloster für alle, die die Begegnung mit sich selbst nicht scheuen, sondern suchen.
Übersicht
Zunehmendes Interesse an Schweige-Retreats
Mit meinem „Stille“-Anstecker, der signalisiert, dass ich nicht angesprochen werden will, fühle ich mich abgekapselt wie unter einer Taucherglocke, trotzdem komme ich mir nicht seltsam vor, denn alle huschen hier wie stumme Geister umher. Ein Gongschlag eröffnet das 15-minütige Schweigen während des Essens. Sonderlich lauter wird es danach nicht. Mit mir am Tisch sitzen zwei „Karma Yogis“, die hier mitarbeiten auf Zeit, um Ruhe zu finden. Die junge Frau hat gerade ihr Studium abgeschlossen, schreibt Bewerbungen, bekommt reihenweise Absagen. Soll sie die Richtung ändern? Außerdem überlegt, wie groß ihr Kinderwunsch ist oder sie sich besser von ihrem Freund trennt? Hier will sie Antworten finden.
Ihr Gegenüber am Tisch ist Diplom-Chemiker, der durch Tibet gereist ist und in buddhistischen Ashrams gelebt hat. Nun sucht er hier seit drei Monaten als Karma Yogi seinen Weg. „Mein Verstand sitzt auf dem Herzen“, sagt er. Ich lausche gebannt. Beide so jung, so nachdenklich, so sinnsuchend. Mit 30 wäre ich sicher nicht im Kloster gestrandet, eher in der nächsten Bar. Andere Zeiten. „Seit Ende der Pandemie kommen mehr junge Menschen zu uns. Vor allem Frauen zwischen 20 und 30, die über die Werte in ihrem Leben reflektieren“, erzählt Elisabeth Kasper im Begrüßungsgespräch. Sie lebt seit fünf Jahren in Saunstorf.
Etwa 60 Menschen wohnen dauerhaft hier im Schweigekloster, kümmern sich um den Park, bauen Bänke, ernten im Klostergarten, meditieren in der Kapelle. Eilig hat es hier niemand. Das steckt an. Allein der Gedanke an Smartphone und Laptop kommt mir absurd vor. WLAN ist ohnehin nur in zwei Räumen verfügbar, doch dafür müsste ich viele Treppen steigen.
Stille im Schweigekloster wirkt stressreduzierend
Im Park zwitschern die Vögel zu laut. Ich bin geräuschempfindlicher, nehme Farben und Licht intensiver wahr. Ich bewege mich langsamer, denke nach. Stille scheint ein begehrtes Gut zu sein, das auch gut vermarktet wird: Wir buchen Klosteraufenthalte, Schweigeseminare oder Meditationswochen. Dabei suchen wir eigentlich etwas, das nichts kosten dürfte: verbindliche Ruhezeiten. Doch warum schaffen wir es nicht, uns die Stille selbst zu gönnen? Zwei Stunden Stille am Tag sollen neue Zellen im Hippocampus wachen lassen, wirken stressreduzierend und fördern Geduld.
Die WHO stuft jedes atmosphärische Geräusch ab 65 Dezibel schon als Lärmbelastung ein. Das entspricht einem normalen Gespräch oder einem Fernseher in Zimmerlautstärke. Der Widerspruch: einerseits sehnen wir uns nach Stille, andererseits existiert wohl etwas wie eine Angst vor Stille („Sedatephobia“). Vielleicht weil die Welt so laut geworden ist und Stille so ungewohnt erscheint? Seit alten Zeiten haben sich die Menschen immer wieder an einen Ort zurückgezogen, an dem sie durch nichts abgelenkt werden. An diesem Ort stand der Flucht in die Sinne, die Suche nach dem Sinn entgegen. Die Reise zu sich selbst war Ziel und Weg zugleich. Im Schweigekloster rieche und schmecke ich intensiver. Esse Dinge, die ich sonst nie esse: Endivie, Chicorée, ayurvedische Suppen, warmes Pflaumenkompott, vegetarisch und aromatisch.
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Für Fortgeschrittene: Schweigen im Dunkeln
Die Steigerung von Stille wäre Schweigen im Dunkeln. Das hätte ich gern mal für eine Stunde getestet. Vor Ort erfahre ich, dass die Dunkel-Retreats mehrtägig und obendrein über Monate ausgebucht sind. Purer Unglaube: warum lässt man sich freiwillig für vier bis zehn Tage in einen Dunkelraum sperren und bezahlt noch teures Geld dafür? Die drei Mahlzeiten am Tag werden geräuschlos durch eine Klappe geschoben. Ich lese darüber, dass Prominente und Erfinder, etwa aus dem Silicon Valley auf Dunkel-Retreats schwören, dass sie überall auf der Welt angeboten werden und förderlich sein sollen für eine verbesserte Selbsterkenntnis, Stressabbau, Entgiftung, gesteigerte Kreativität sowie ein tieferes Verständnis des eigenen Selbst.
Im Park läuft ein junger Mann vorbei, der seine Dunkelzeit eben beendet hat. Wie ein Maulwurf blinzelt er in die Sonne, ungläubig und euphorisch. Er telefoniert, klingt glücklich. Im Vergleich zum Dunkel-Retreat kommt mir mein Schweigen wie Wellness vor. Doch mit Aussetzern. Zwischendurch plagt mich die Sehnsucht nach einer Party-Runde. Momente kommen, wo ich einen kurzen Anruf bei einer Freundin für lebensnotwendig halte – und verschiebe. Überhaupt lerne ich, Gedanken eiskalt wegzuschieben. Stille kann sehr laut werden. Die Gedanken lärmen im Kopf, sie tröten, hüpfen, ploppten hoch, innere Diskussionen türmten sich auf. Nach einiger Zeit im Schweigekloster kann ich nun jeden Stör-Gedanken identifizieren und in Handschellen abführen: „Dich kann ich jetzt nicht brauchen. Lieber freue ich mich auf die Bibliothek“, denke ich so laut und entschlossen wie möglich. Das klappt.
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Stille als kostbares Gut
Ich atme langsamer und bewusster, bekomme Lust auf Meditieren (die legt sich jedoch schnell wieder), fühle mich klarer, strukturierter, mehr bei mir selbst. Den Trip ins Schweigekloster will ich wiederholen, ruhig auch ein paar Tage länger. Auch zu Hause hält der Effekt noch an. Ruhige Minuten räume ich mir nun frei, ob morgens nach dem Wachwerden oder beim „Silent Walk“ am Nachmittag. Zu kostbar, diese Stille.
Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, findet auf der Website des Klosters Gut Saunstorf weitere Infos.