17. Februar 2024, 8:08 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Reisen kann bei zahlreichen kleinen und großen Themen im Alltag helfen. Wieso das so ist, erklärt unsere Autorin Anna Wengel (jetzt Chiodo), die auch als Reise- und Single-Coach arbeitet und selbst bereits viel und viel allein gereist ist.
Reisen tut gut. Nicht unbedingt in jedem Moment. Nicht unbedingt macht es immer Spaß. Mitunter kratzt es ganz schön an der eigenen Komfortzone, macht riesig Angst oder ruft kleine Stimmchen hervor, die weinerlich rufen: „Ich will zu meiner Mama.“ Ist dem so, sehr gut. Dann arbeitet etwas. Öffnet den Raum zum Wachsen und Loslassen. Denn ein Effekt des Reisens, neben all den schönen Dingen, die wir unterwegs sehen und erleben, ist der, dass Themen hochkommen, die uns auch im Alltag belasten – bewusst oder auch tief in uns verbuddelt. Reisen kann helfen, Alltagsprobleme anzugehen und gestärkt zurückzukehren.
Bevor ich tiefer in das Thema eintauche, möchte ich eine kleine Wort-Erklärung anfügen: Wenn ich vom Reisen schreibe, meine ich nicht zwei Wochen Urlaub auf Mallorca wie in jedem Jahr. Ich meine wahrscheinlich gar nicht das, was viele unter „Urlaub machen“ verstehen. Mit Sicherheit keine Pauschal-, sondern eine Individualreise. Ich meine tendenziell eine längere Reise, das Unterwegssein in einem oder mehreren Ländern, ebenso wie Soloreisen. Es geht mir ums Reisen außerhalb der Komfortzone, Abenteuerreisen.
Nun weiter im Text. Zurück zu den vielen Gründen, aus denen Reisen dabei helfen kann, mit Alltagsproblemen besser klarzukommen. Denn davon gibt es viele. Unter anderem diese:
Übersicht
- Abenteuer- und Soloreisen können das Selbstvertrauen stärken
- Das Selbstwertgefühl wird gestärkt
- Alltagsprobleme können durch Reisen eine neue Perspektive bekommen
- Reiseträume zu erfüllen, kann Alltagsproblemen vorbeugen
- Man lernt neue Dinge kennen
- Offenheit gegenüber anderen lernen
- Herausfinden, was man eigentlich will
- Zeit für Themen und darunter liegende Gefühle
- Achtsamkeit und Intuition
- Gelassenheit
- Burnout und Co. vorbeugen
Abenteuer- und Soloreisen können das Selbstvertrauen stärken
Abenteuer muss nicht bedeuten, dass man auf die höchsten Berge klettert, mit Haien schwimmt oder etwas ähnlich Adrenalinlastiges tut. Abenteuer kann schon bedeuten, allein loszufahren in ein Land, das einem nicht vertraut ist und in dem eine Sprache gesprochen wird, die man selbst nicht spricht. Es kann bedeuten, aus Deutschland rauszufahren, wenn man das noch nie zuvor gemacht. Jeder definiert sein Abenteuer für sich selbst.
Der Effekt, den eine Abenteuerreise hat, ist jedoch sehr wahrscheinlich bei vielen gleich: Ein gestärktes Selbstbewusstsein bei der Rückkehr. Denn überwindet man seine eigene Angst und tut etwas, das sich alles andere als angenehm oder einfach anfühlt, tut das dem Selbstbewusstsein in der Regel gut. Genauso, wie sich selbst aus kniffligen Situationen hinauszumanövrieren. Das Vertrauen in sich selbst wächst, wenn man sich selbst zu helfen weiß. Dieser Punkt gilt ganz besonders für Alleinreisende. Denn wer allein unterwegs ist, muss alles allein und mit sich allein ausmachen. Er oder sie wird regelmäßig mit neuen und mitunter schwierigen Situationen konfrontiert und muss sich dort allein hinausmanövrieren.
Wie hilft diese Form des Reisens nun den Alltagsproblemen? Viele Konflikte hängen irgendwie mit dem eigenen Selbstvertrauen zusammen. Mag ich meiner Freundin nicht sagen, dass ich mich durch ihr Verhalten verletzt fühle, meinen Boss nicht um mehr Geld bitten, überhaupt an irgendeiner Stelle nicht für mich ein- oder vor anderen auftreten – all diese Themen haben etwas mit Selbstvertrauen zu tun. Viele auch mit dem Selbstwert, zu dem wir jetzt kommen.
Zum Alleinreisen passt übrigens dieser Text: Warum JEDER mal allein reisen sollte
Das Selbstwertgefühl wird gestärkt
Steckt man zu Hause in einer Situation, in der man sich klein, unbedeutend oder irgendwie nicht gut genug fühlt, kann eine Reise mitunter helfen, den Blick auf sich selbst gerade zu rücken. Vor allem hilft dem Selbstwertgefühl das bereits erwähnte gewachsene Selbstbewusstsein auf die Sprünge. Wer sich selbst vertraut und sich seiner Selbst bewusst ist, kann vielleicht auch den eigenen Wert mehr schätzen. Doch schon allein das Woanderssein kann helfen, freier zu atmen. Und so kann auch der Raum entstehen, sich selbst klarer zu sehen und damit auch den eigenen Wert. Der gefühlte Selbstwert kann außerdem durch äußere Einflüsse neu wahrgenommen werden. Etwa, wenn man auf freundliche, offene und interessierte andere Menschen trifft, die all die liebenswerten Seiten sehen – und das auch zeigen. Sie dienen in dem Fall als Erinnerung und Spiegel für all das Schöne und Gute in einem selbst. Und vielleicht sogar als Unterstützung, die als „Schwächen“ oder „Makel“ empfundenen Seiten neu zu interpretieren und akzeptieren zu lernen. Zurück zu Hause kann das gestärkte Selbstwertgefühl dann helfen, die eigene Situation neu zu bewerten und gegebenenfalls zu ändern.
Alltagsprobleme können durch Reisen eine neue Perspektive bekommen
Manchmal sehen wir inmitten unseres immer gleichförmigen Alltags nur noch wie durch Scheuklappen auf unser Leben. Ein Problem kann dann alles andere verschlucken. Alles erscheint irgendwie ausweglos und grau. Reisen kann dann fast wie ein Befreiungsschlag wirken, ein Ausbruch aus dem immer Gleichen. Denn wer das alltägliche Leben verlässt und auf Reisen geht, kann mitunter erkennen, dass nicht immer alles genauso laufen muss, wie gewohnt. Dass der eigene Blickwinkel kleiner ist, als die Welt und ihre Möglichkeiten. Dass es immer auch noch andere Lösungen und Wege gibt, als die gewohnten oder sofort sichtbaren. Raus aus dem Alltag wird der Blick plötzlich wieder weit. Die Probleme bleiben zu Hause und erscheinen womöglich gar nicht mehr so groß, so lebensbedrohlich. Die Perspektive ändert sich. Vielleicht schafft man es sogar, aus dem Problemfokus herauszutreten und sozusagen von oben darauf zu schauen. Dann eröffnen sich manchmal Lösungsansätze und neue Perspektiven, die man vorher nicht sehen konnte. Kurzum: Reisen schafft Abstand von den Alltagsproblemen und damit auch die Chance, Lösungen für sie zu finden.
Reiseträume zu erfüllen, kann Alltagsproblemen vorbeugen
Der Traum: Die Welt (oder einen bestimmten Teil von ihr) sehen. Die gefühlte Realität: Ich kann das nicht oder zumindest nicht allein. Erkennen Sie sich hier irgendwie wieder? Ungelebte Träume gehen nicht einfach weg. Ebensowenig wie Ängste, die einen vielleicht am Erfüllen der Träume hindern. Stattdessen kann die Nicht-Erfüllung eines Traums zu Unzufriedenheit führen, die immer größer werden kann. Unzufriedenheit mit sich, weil man nicht tut, wonach man sich sehnt, aber auch dem Leben generell und allen darin können die Folgen sein. Ebenso können auch die Ängste größer werden, wenn man ihnen ungeprüft nachgibt. Statt zu Reisen traut man sich dann vielleicht irgendwann nicht einmal mehr, mit dem Bus zu fahren. Das ist ein Beispiel und es soll Ihnen keine Angst machen. Mir geht es lediglich darum zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, die eigenen Träume zu leben. Wer seine Reiseträume lebt, fühlt höchstwahrscheinlich eine Erfüllung. Gerade dann, wenn diese irgendwo Überwindung gekostet haben, es einen Moment gab, indem man etwas „trotzdem“ gemacht hat.
Das gesagt, möchte ich anfügen, dass man sich an einen Reisetraum langsam heranpirschen kann. Ich bin einmal sehr blauäugig in einen Reisetraum hineingestolpert – Afghanistan – und musste vor Ort erkennen, dass ich noch nicht bereit dafür war. Ich bereue es nicht, bin trotz allem, was dort passiert ist, auf verschiedenen Ebenen sehr froh, dass ich gefahren bin. Würde aber, wenn mich jemand um Rat zu einem ähnlichen Reisetraum bittet, wahrscheinlich vorschlagen, sich ein bisschen langsamer voran zu bewegen. Etwa erst einen einfacheren Traum zu erfüllen, der in die gleiche Richtung zeigt. Ich habe zum Beispiel zuerst Nepal und dann Indien bereist, was definitiv eine gute Vorbereitung war, weil ähnlich, aber nicht halb so intensiv.
Man lernt neue Dinge kennen
Reisen bildet und erweitert den Horizont. Man begegnet Kulturen, die anders sind als man es vom Leben zu Hause gewohnt ist. Lernt vielleicht neue Fähigkeiten, findet neue Interessen usw. All das bringt man mit nach Hause, kann es dort mitunter in den Alltag integrieren und so das eigene Leben bunter gestalten. Das Lernen neuer Fähigkeiten selbst kann auch wieder den Horizont öffnen, etwa für neue berufliche Wege oder andere Lebensentscheidungen. So werden durch die Reise mitunter tieferliegende Alltagsprobleme angegangen, die einem nicht unbedingt bewusst wird. Zum Beispiel, wie eingefahren sich eine berufliche oder auch private Situation eigentlich anfühlt. Oder wie sich fehlende Kreativität als Langeweile im Alltag niederschlägt.
Offenheit gegenüber anderen lernen
Auf Reisen trifft man häufig auf Menschen, die in anderen Kulturen aufgewachsen sind und entsprechend andere Selbstverständnisse vom Leben haben. Mitunter kommt man auf Reisen mit Menschen in Kontakt, die komplett an der eigenen Blase, dem eigenen Selbstbild oder auch dem moralischen Kodex kratzen. Und mit denen muss man trotzdem irgendwie umgehen. Tut man das und lernt auf der Reise im besten Falle, sich für die Andersartigkeit und die fremden Gedankenwege zu öffnen, sie verstehen zu wollen und nicht gleich abzuurteilen, hilft das wiederum im Umgang mit den Mitmenschen im Alltag – und löst so vielleicht das eine oder andere Alltagsproblem direkt auf.
Herausfinden, was man eigentlich will
Während man über Alltagsproblemen brütet, kommt die Frage „Was will ich?“ vielleicht zu kurz. Auf Reisen ist sie essentiell, gibt es sonst kaum ein Vorankommen. Egal, was man während einer Reise tut, man trifft ständig die Entscheidung, was man gerade tun oder nicht tun will. Das heißt, man fragt sich selbst (bewusst oder unbewusst) mehr danach – und kommt so in Kontakt mit den eigenen Wünschen. Und das ist wahrscheinlich nicht alles. Wer anfängt, sich nach den Wünschen in den kleinen Dingen zu fragen, kommt vielleicht auch irgendwann bei den größeren Lebensentscheidungen an. Was will ich für mein Leben? Bin ich glücklich darin oder gibt es Dinge, die ich mir anders wünsche? Wo geht es für mich hin? Das trifft auf alle Bereiche zu. Reisen hilft, das eigene Leben kritisch zu hinterfragen, Entscheidungen zu überdenken, Alltagsprobleme anders zu beleuchten und mitunter Wege zu finden, diese zu korrigieren oder die Richtung ganz zu ändern.
Zeit für Themen und darunter liegende Gefühle
Auf Reisen kommen gern mal Themen und Gefühle hoch, die im Alltag weggedrückt werden, sei es aus Angst, Zeitmangel, beidem oder anderen Gründen. Auf Reisen können diese Themen stärker werden, weniger ablenkbar. Gerade wenn man sich das vornimmt und Ablenkungen wie Social Media, Serien-Binge und Co. weglässt und sich bewusst auf Natur, Meditation oder ähnliches einlässt. Aber nicht nur dann. Denn Trigger für unverarbeitete Themen und nicht erwünschte Gefühle gibt es überall. Auf Reisen ist es jedoch manchmal einfacher, sich ihnen zu stellen. Sei es, weil man allein mit sich ist oder aber, weil das normale Umfeld weit genug entfernt ist und man einen freieren Rahmen für die schweren Themen spürt. Setzt man sich schließlich damit auseinander und gibt sich den Raum dafür, setzt irgendwann eine Klarheit und mit ihr Entspannung und Ruhe ein. Das Thema liegt nicht mehr im Dunklen und macht Angst, es liegt offen da, verliert vielleicht seinen Schrecken und man kann nach vorne schauen. Die Auseinandersetzung mit Themen an sich hilft, im Alltag besser klarzukommen, behindern uns unverarbeitete Themen oftmals unbewusst. Reisen ist einfach nur ein Mittel, um an die Themen zu kommen und ihnen Raum zu geben. Brauchen tut man die Reise dazu nicht.
Achtsamkeit und Intuition
Reisen kann neben Raum für tieferliegende Themen auch Raum für ein bewussteres Leben schaffen. Denn wer seine Reisen entspannt angeht, nicht durchplant und sich ein wenig treiben lässt, spürt sich unterwegs vielleicht wieder mehr. Lernt wieder, auf die kleine Stimme und das Gefühl tief im Bauch zu hören und den eigenen Bedürfnissen zu folgen. Was im Alltag manchmal schwer fällt, wenn alles zu laut oder zu hektisch ist, fällt unterwegs vielleicht leichter, weil man nirgendwo hinhetzen muss und sich Zeit nehmen kann, hinzuhören und zu schauen. Manch ein Reisender sucht auch gezielt nach entsprechenden Lehren und reist, um etwa Meditation und Achtsamkeitspraktiken zu erlernen. Ob auf eigenen Wegen oder mit Anleitung, einmal verinnerlicht, nimmt man diese neuen Lehren und Erkenntnisse mit nach Hause und integriert sie vielleicht auch in den Alltag.
Gelassenheit
Die gerade genannte Achtsamkeit allein hilft bereits, entspannter und gelassener zu werden. Ein weiteres tut der Austritt aus der Komfortzone: Wird die oft genug gedehnt und widersetzt man sich dem nicht, sondern lernt, achtsam mit den unangenehmen Gefühlen umzugehen, verhilft das am Ende zu mehr Gelassenheit und Entspannung. Nervt es wirklich noch, wenn man im Straßenverkehr geschnitten oder angehupt wird, nachdem man stundenlang auf einen Bus in Nepal gewartet hat, in dem man nicht nur mit lauter Musik, sondern auch umherfliegenden Hühnern und Menschenausscheidungen umgehen musste? Sicherlich weniger.
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Burnout und Co. vorbeugen
Und zu guter letzt: Besteht der Alltag vor allem aus Stress, Terminen und To-Do-Listen, kann Reisen schlicht und einfach helfen, endlich mal richtig zu entspannen. Nicht mal ein bisschen Pause zu machen, sondern so richtig. Wochenlang bis in die tiefsten Tiefen zu entspannen. Vielleicht hilft das Reisen auch dabei, den Stress im Alltag und Alltagsprobleme generell zu reduzieren. Vielleicht hilft es auch einfach im Moment, einem Burnout vorzubeugen.
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Gründe, aus denen Reisen bei der Bewältigung von Alltagsproblemen helfen oder diesen vorbeugen kann, gibt es viele. Und diese Liste ist mit Sicherheit nicht abschließend. Am Ende kommt es auch darauf an, welche Veränderungen man sich wünscht. Ebenso wie auf die Themen, mit denen man sich konfrontieren möchte beziehungsweise, die man für sich auflösen möchte.
Eine Anmerkung dazu: Ich meine hier Alltagsprobleme, die keiner psychotherapeutische Indikation unterliegen. Bei schweren psychischen Themen, Problemen und Störungen, sollte immer ein Psychologe beziehungsweise Psychotherapeut herangezogen werden.