24. August 2019, 8:35 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Alleine reisen ist nicht unbedingt leicht, aber die Reise wert. So sieht es TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel. Sie hat aufgeschrieben, was sie als Soloreisende gelernt hat und wieso sie findet, dass jeder mal alleine reisen sollte.
Alleine reisen ist jetzt nicht unbedingt besser. Oder schlechter. Härter vielleicht. Ehrlicher auf jeden Fall. Meistens. Jeder sollte mal alleine reisen. Ja, JEDER! Weil jeder dabei wahnsinnig viel lernen und daran wachsen kann. Selbsttherapie an den spannendsten Orten der Welt quasi. Je weiter weg die Komfortzone, desto größer der Lerneffekt.
Zehn Dinge, die ich beim Alleinreisen gelernt habe:
Ich kann alles aka Selbstbewusstsein
Alleinreisen ist der Boost fürs Selbstbewusstsein schlechthin. Ich erkläre: Allein unterwegs musste ich zwangsläufig mit allem allein klar kommen, jedes Problem allein lösen. Streckennetze verstehen zum Beispiel oder Sprachbarrieren überwinden, mich allein von glitschigen Bergen runterkatapultieren und Ruhe bewahren, als es mitten im Nirgendwo plötzlich dunkel wurde, in Strömen regnete und mein GPS ausfiel. War keiner da, der das hätte für mich lösen können – also habe ich es selbst gemacht. Und immer bin ich nicht nur lebend, sondern auch gestärkt wiedergekommen. Die Erkenntnis: Ich kann alles schaffen, was ich will. Mein Selbstbewusstsein hat sich gefreut.
Angst ist selbstproduziert
Ein Gefühl, das trotz allem noch so frisch aufgepumpten Selbstbewusstsein hin und wieder aufkommt ist Angst – definitiv ein Gemütszustand, den ich nicht sonderlich attraktiv finde. Trotzdem ist er da, weil allein eben auch unschöne Wahrheiten ans Licht kommen, die sich in Gesellschaft leichter ignorieren lassen.
Ein Beispiel: Ich fand mich super als ich einen Van kaufte und allein durch Neuseeland reiste. Fühlte mich stark und unabhängig. Bis zu dem Moment, als ich nachts auf einem einsam gelegenen Parkplatz parkte und zwei Autos auftauchten, die neben und vor meinem Gefährt stehenblieben. Hinter mir war ein See, wegfahren keine Option. Mein Kopf schlug Sorgen-Purzelbäume: Die könnten mich ausrauben – oder schlimmer. Die könnten mir auch den Van klauen, mit mir drin. Eine Stunde habe ich mich selbst in Rage gedacht, Flucht- und Kampfmöglichkeiten durchgespielt, vermutliche Tonnen Adrenalin ausgeschüttet und hin und wieder durch meine Vorhänge gespinst – um zu sehen, wie ein paar Teenies auf ihren Autodächern sitzen, rauchen und trinken. Wie ich vor gar nicht so langer Zeit. Dann fuhren sie wieder weg. Was habe ich da gelernt? Wie sehr ich Angst selbst produzieren kann, wenn ich sie mir nur lange genug einrede.
Intuition
Mit der Angst-Erkenntnis habe ich etwas wiedergefunden, das von dem ganzen Gedenke an die Seite gequetscht wurde: die Intuition. Ich glaube, wir alle wissen in uns drin genau, ob eine Situation bedrohlich ist oder nicht. Genauso wie wir wissen, ob jemand unsere Gefühle erwidert oder wir was total Dummes tun. Wir müssen nur zuhören – das ist oft die schwierigere Aufgabe. Denn manchmal sagt die Intuition Dinge, die wir nicht hören wollen.
Ich habe öfter von Menschen gehört, dass sie nicht wissen, wie sie wieder an ihre Intuition rankommen sollen, dass sie irgendwie den Zugang dazu verloren haben. Um den wiederzufinden gibt es einige Möglichkeiten. Meditation zum Beispiel. Sinnsuchen in Ländern wie Indien, Nepal, Kambodscha & Co. Oder alleine reisen – egal wohin. Ich glaube, allein hört jeder irgendwann unweigerlich besser hin – inner- und äußerlich. Dann wird auch das Bauchgefühl wieder lauter.
Aufmerksamkeit
Das ist dann auch die nächste Überleitung. Allein reisend bin ich klar aufmerksamer. Wenn keiner redet, ist es viel einfacher Rascheln, Rauschen und Zwitschern zu hören. Wenn keiner im Fokus ist, ist es viel einfacher Blumen blühen zu sehen, Kängurus in der Ferne zu erspähen und mitzubekommen, wie ein kleines Kind hinter der nächsten Straßenecke neugierig rüberguckt, bevor es kichernd wieder verschwindet. Alleinreisen stärkt die Aufmerksamkeit für das, was um einen herum passiert – und auch, was innen drin so los ist.
Allein ist nicht gleich einsam
In Sri Lanka hatte ich ein langes Gespräch mit einem 20-jährigen Israeli, der fürchterlich unglücklich war, weil er sich so einsam gefühlt hat auf seiner Alleine-Reise. Er fand das dann entsprechend doof und auch unverständlich, dass ich gerade das Alleinsein so sehr wollte und auch brauchte (ich hatte Textideen, die ich unbedingt schreiben wollte und kam gerade von einer Reise durch Indien mit Freunden und hatte nach viel Chaos und Lärm ganz viel Lust auf Ruhe und Me-Time). Gespräche, in denen ich auf Unverständnis stoße, weil ich manchmal Alleinsein der Gesellschaft anderer vorziehe, kommen immer wieder vor. Genauso wie mitleidige Blicke und Einladungen, mich irgendwo dazuzusetzen. Ich freue mich meistens, wenn Menschen mir das anbieten, lehne aber oft ab. Alleinsein ist ein selbstgewählter Zustand. Und alleine sein tut mir manchmal gut. Zum Runterkommen, Gedanken ordnen, Dinge verarbeiten. Einsamkeit finde ich auch scheiße. Aber da ich gut mit mir allein sein kann fühle ich mich eigentlich nicht mehr einsam. Auch ein Lerneffekt vom Alleinreisen.
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Menschen sind nett
Komischer Punkt, oder? Finde ich auch, musste ich aber erstmal wieder lernen. Ich habe mir in Berlin über Jahre Vorsicht gegenüber anderen angewöhnt. Weil Dinge passiert sind und weil’s für viele so normal ist und ich mir das abgeguckt habe. Auf Reisen kratzte ich mir diese Maske Stück für Stück runter – und plötzlich scheinen Menschen netter. Lächeln, sagen nette Dinge und sind gefühlt immer hilfsbereit. Solange ich all das selbst tue möchte ich dazusagen. Offenheit macht das Leben schöner.
Menschen
Wer allein reist lernt mehr Menschen kennen, einfach weil er oder sie gefühlt mehr darauf angewiesen ist. Denn immer nur mit sich selbst oder den Lieben via Facetime & Co. zu Hause zu kommunizieren ist auch doof. Also müssen sich Alleinreisende unterwegs Freunde suchen. Und die finden sie auch.
Lügen ist manchmal eine gute Idee
Das ist kein toller Punkt, aber einer, der mich schon aus doofen Situationen katapultiert hat. Reist Frau allein, muss sie sich leider mit blöden Annäherungsversuchen auseinandersetzen. Ein Beispiel: Ich saß abends in Colombo in einem Tuk Tuk und hatte ziemlich schnell ein ziemlich blödes Gefühl. Der Fahrer guckte immer wieder irgendwie unangenehm durch den Rückspiegel, musterte mich und fing dann an mich auszufragen, wieso ich denn so allein unterwegs sei. An sich eine verdammt ehrliche Seele fing ich intuitiv an Geschichten zu erzählen, durch die ich plötzlich nicht nur um einen Mann und ein Kind im Hotel reicher war, sondern auch noch ein Baby im Bauch hatte. Der Fahrer ließ mich daraufhin in Ruhe und fuhr mich wohin ich wollte. Lügen finde ich im Grunde immer falsch – mit dieser einen Ausnahme. Als Frau allein auf Reisen ist es manchmal einfach die klügere Idee.
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Roller fahren
Eins meiner liebsten Tu-Dinge, die ich alleinreisend gelernt habe: Rollerfahren. Denn immer nur alles ablaufen ist auf Dauer nicht immer eine Lösung, Bus allein fahren nicht immer eine gute Idee und Taxis mitunter teuer. Roller sind vor allem in Südostasien die billige Alternative. Und die zu fahren macht einfach Spaß. Hätte ich das mit anderen gelernt? Wahrscheinlich. Für mich bedeutete es aber allein anfänglich eine Überwindung, deshalb darf es auf die Liste.
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Ich mag nicht mehr allein reisen
Von der letzten Solo-Reise bin ich vor allem mit einer Erkenntnis wiedergekommen: Ich mag jetzt nicht mehr alleine reisen. Es ist zumindest für den Moment genug. Ich bin unendlich dankbar für Momente, Menschen und Orte auf meinem Weg sowie unzählige Erkenntnisse, bewusst gewordene und gelöste Blockaden. Und bleibe dabei: Alleinreisen ist eine gute Idee für jeden. Aber für mich reicht’s jetzt. Für den Moment…