31. März 2022, 8:14 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Es gibt Kriminalfälle, die trotz umfangreicher Spurenlage und vieler Zeugen nie aufgeklärt werden. Fälle, die selbst die erfahrensten Profiler an ihre Grenzen bringen. Ein solcher Fall ist auch der des niederländischen Ehepaars Langendonk, das vor 25 Jahren während eines Campingurlaubs in Deutschland bestialisch ermordet wurde. TRAVELBOOK berichtet, was damals in der malerischen Kulisse des Chiemsees und der bayerischen Alpen passiert ist und war selbst an den Schauplätzen dieses mehr als rätselhaften Mordfalls.
Es ist der 29. Mai 1997, als die 61-jährige Truus Langendonk und ihr Ehemann Harry (63) mit ihrem Wohnmobil zu einem mehrwöchigen Campingurlaub nach Deutschland aufbrechen. Die beiden wohnen im niederländischen Delden in der Nähe von Enschede, sie haben drei Töchter und sieben Enkelkinder. Das Ziel ihrer Tour ist der Chiemsee und das Berchtesgadener Land, in einem niederländischen Reisemagazin haben sie laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen, dass es dort besonders schön sein soll.
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Sie haben es nicht eilig, übernachten unterwegs dort, wo es ihnen gefällt. Dabei sind sie aber immer vorsichtig, schlafen nur auf Campingplätzen oder in beleuchteten Wohnmobilen. Sie haben nicht übermäßig viel Bargeld bei sich, eine Reisekasse mit verschiedenen europäischen Währungen. Außerdem eine Geige, die sie unterwegs schätzen lassen wollen.
Der brutale Camping-Mord nahe dem Chiemsee
Am 6. Juni treffen sie am Chiemsee ein, werden dort noch in Prien am Bootsanlegesteg nach Herrenchiemsee gesehen. Die Insel ist ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen. Einen Tag später sehen sie sich den Ort Marquartstein ein und kehren mittags in das dortige Wirtshaus zum Schlossberg ein. Es ist eines der letzten Male, die Truus und Harry Langendonk lebend gesehen werden.
Von Marquartstein aus fahren sie nach Siegsdorf, tanken und rufen gegen 14.30 Uhr von einer Telefonzelle aus eine ihrer Töchter an. Dann, so rekonstruiert es die Polizei später anhand von Zeugenaussagen, biegen sie mit ihrem Wohnmobil von der Bundesstraße 304 bei Litzlwalchen in einen Feldweg und stellen es am Rande eines Wäldchens ab, vermutlich, um dort zu rasten. In der Nähe befindet sich ein Modellflugplatz, von dort sehen mehrere Zeugen, dass die Langendonks Campingstühle und einen Campingtisch vor das Wohnmobil stellen. Gegen 18 Uhr hören mehrere Zeugen Schüsse und die Schreie einer Frau, sowie einen Mann, der wie im Kommandoton laut spricht. Die Polizei alarmiert jedoch niemand, anscheinend gehen die Zeugen davon aus, dass es sich um Jäger handelt.
Tatsächlich aber sind Truus und Harry Langendonk brutal ermordet worden. Bei den späteren Ermittlungen und der Obduktion der Leichen stellt sich heraus, dass Harry Langendonk zweimal in den Kopf geschossen wurde, seiner Frau einmal in die Brust. Zudem wurden beiden Opfern die Kehle durchgeschnitten. Anschließend verbleibt der mutmaßliche Mörder noch etwa zwei Stunden am Tatort, wie weitere Zeugenaussagen belegen. Der Spurenlage nach verfrachtet der Täter danach beide Leichen in das Wohnmobil und fährt gegen 20 Uhr los. Die genaue Uhrzeit ist bekannt, da das Wohnmobil beim Abbiegen auf die B304 laut einem Bericht der „Nürnberger Nachrichten“ beinahe einen Unfall gebaut hat.
Tatverdächtiger fährt fast 300 Kilometer
Aber wohin will der Tatverdächtige mit dem Wohnmobil? Tatsächlich fährt er so lange, bis ihm das Benzin ausgeht, so vermuten es die Ermittler. Fast 300 Kilometer legt er zurück, bis er fast in Nürnberg ist. Dort fährt von der A9 ab, stellt das Fahrzeug bei Nürnberg-Feucht auf einem wenig einsehbaren Waldparkplatz ab – und zündet es an. Schon wenig später alarmieren erste Zeugen die Feuerwehr, die sofort zum Brandort fährt und dort nach dem Löschen im Wohnmobil zwei verkohlte Leichen entdeckt.
Der Tatverdächtige ist zu diesem Zeitpunkt längst verschwunden. Auf seinem Fluchtweg entledigt sich am Straßenrand mehrerer Gegenstände, die den Langendonks gehörten, zum Beispiel Ausweise und eine Geldbörse. Auch die Kamera des toten Ehepaars wirft er weg und versucht noch, den Film zu zerstören. Gegen 2:00 Uhr nachts ruft vermutlich derselbe Mann von einer Telefonzelle im nahen Altenfurt ein Taxi. Der Taxifahrer erinnert sich später nicht nur wegen der späten Uhrzeit an den Fahrgast, sondern auch, weil er die Fahrt zum Nürnberger Hauptbahnhof in Francs bezahlen möchte – Geld, das er möglicherweise aus der Reisekasse der Langendonks entnommen hat. Dem Taxifahrer fällt zudem die elegante Kleidung des Mannes auf, der aber gleichzeitig recht ungepflegt wirkt und stark nach Schweiß riecht.
Fahrt zurück an den Tatort
Der mysteriöse Fahrgast lässt sich am Hauptbahnhof noch 100 Francs in D-Mark wechseln und geht in den Bahnhof hinein. Auf der einen Seite des Bahnhofs steigt der Mann in ein weiteres Taxi, dieses Mal will er mit Schilling zahlen. Allerdings kann ihm der Fahrgast kein eindeutiges Ziel nennen, mal München Airport, mal Bahnhof München, dann will er nach Marquartstein. Weil der Taxifahrer sich aber so weit weg von Nürnberg nicht auskennt und auch der Fahrgast ihn nicht lotsen kann, fährt der Taxifahrer zwischendurch an einer Raststätte ab und kauft eine Landkarte, wie später ausgewerteten Videoaufnahmen von der Raststätte zeigen. Den Tatverdächtigen im Auto kann man auf den Aufnahmen allerdings nicht erkennen.
Mithilfe der Landkarte schaffen sie es dann auch fast bis nach Marquardtstein, aber als sie dann schon auf der Straße dorthin sind, ändert der Fahrgast ein weiteres Mal sein Ziel. Und plötzlich scheint er sich auch sehr gut auszukennen, denn er dirigiert den Taxifahrer durch Traunstein direkt in die Nähe des Tatorts. Er steigt an einer Bushaltestelle aus, zahlt mit Schilling und D-Mark, und verschwindet im Wald. Hier verlieren sich nun die Spuren des Tatverdächtigen.
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Patronenhülsen am Tatort
Als die Ermittler schließlich den Tatort ausfindig machen, entdecken sie unter anderem Projektile und Patronenhülsen, mit denen sie die Tatwaffe bestimmen können. Es handelt sich um eine Tokarew-Pistole, Kaliber 7.62. Ein Modell, das in Osteuropa gängig ist. Auch die Trittleiter des Wohnmobils, die der Tatverdächtige noch im Wald versteckt hatte, wird gefunden. Doch trotz all dieser Spuren und Zeugenaussagen, vor allem auch die genaue Beschreibung des Tatverdächtigen durch die beiden Taxifahrer, hat man bis heute den Mörder der Langendonks nicht gefasst.
Es gab zwei „Aktenzeichen XY… ungelöst“-Sendungen über den Fall, zuletzt hat der Sender Vox 2017 eine große Dokumentation ausgestrahlt, in deren Rahmen die Polizei in Bayern erneut um Hinweise bat. Den großen Durchbruch gab es allerdings bisher nicht. „Trotz jahrelanger intensiver Anstrengungen konnten die Beamten der Kripo Traunstein den Täter bisher nicht identifizieren“, heißt es auf der Webseite der Polizei Bayern.
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Wird der Camping-Mord vom Chiemsee nie aufgeklärt?
Die Kripo behandelt den Fall inzwischen als sogenannten Cold Case. Da die Polizei von Mord ausgeht, der nie verjährt, wird immer wieder versucht, den Fall mit neuen Methoden aufzuklären. „Ich kann Ihnen bestätigen, dass die kriminalpolizeilichen Ermittlungen in dem Fall bei der Kriminalpolizeiinspektion Traunstein weiterhin laufen“, sagte Stefan Sonntag, Polizeihauptkommissar und Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, auf Nachfrage von TRAVELBOOK. „Details dazu können wir – aus ermittlungstaktischen Gründen – derzeit nicht nennen.“
Den Tatverdächtigen im Camping-Mord vom Chiemsee beschreibt die Polizei (bezogen auf das Jahr 1997) als 180-185 Zentimeter groß, ca. 30 Jahre alt, schlank, blonde bis dunkelblonde Haare, nackenlang mit gleicher Länge über die Ohren. Er sprach Deutsch mit bayerischem oder österreichischem Dialekt. „Aus dem Verhalten des Täters lassen sich Rückschlüsse auf dessen Ortskenntnis in unmittelbarer Tatortnähe (B304 / Litzlwalchen / Nußdorf, Lkr. TS) schließen. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Täter einen Ortsbezug hat bzw. hatte“, heißt es in einem entsprechenden Fahndungsaufruf.
Die Polizei und die Hinterbliebenen haben gemeinsam eine Summe von insgesamt 51.000 Euro zur Belohnung ausgesetzt. „Wir möchten einfach nur wissen, warum und wie es passiert ist. Wir wollen endlich einen Adressaten für diese Fragen haben“, sagte eine der Töchter von Harry und Truus Langendonk mal in einem Interview mit der Münchner „Abendzeitung“. Das war vor 14 Jahren…