6. Mai 2024, 14:18 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Colobraro, das klingt schön. Nach einem bunten Himmel bei Sonnenuntergang, dessen Anblick man auf der Terrasse eines guten Lokals genießt, während man mit einem Glas Nero d‘Avola auf den gemeinsamen Italien-Urlaub anstößt. Doch den Namen des Ortes sollte man dabei nicht in den Mund nehmen – zumindest, wenn es nach dem Aberglauben vor Ort geht.
Der Name Colobraro leitet sich vom lateinischen Wort Coluber ab: und bedeutet Schlange. Für die abergläubischen Einwohner der süditalienischen Region Basilikata bereits Grund genug, um das schöne Bergdorf zu meiden. Ist die Schlange nicht schließlich der Inbegriff des Bösen? Doch tatsächlich gibt es noch ganz andere Gründe, warum niemand das Dorf am Fuße der Apenninen betreten will. Ja, die Einwohner der umliegenden Dörfer und Städte wollen nicht einmal seinen Namen aussprechen. Stattdessen sagen sie: „Quel paese“, oder im Dialekt der Provinz: „Cudd Pais“ – übersetzt heißt das: „Dieses Dorf.“ Manche nennen es auch nur: „Das Dorf ohne Namen.“
Denn wer den Namen laut ausspricht, dem soll angeblich das Unheil anheften wie Pech und Schwefel. Eine Dokumentation der BBC klärt über die Ursprünge dieses Aberglaubens auf.
Ein alter Fluch
Der Fluch, der auf dem Dorf lastet, begann in den 1940er-Jahren, als der Bürgermeister bei einer Versammlung drohte, wenn man ihm seine (nicht überlieferten) Worte nicht glaube, dann möge der Lüster von der Zimmerdecke herabfallen. Der Legende zufolge, die jeder Bewohner des Dorfes kennt, fiel der Kronleuchter sofort hinunter. Das Ereignis sprach sich bald in der gesamten Region herum. Fortan haftete dem Dorf der Ruf an, es bringe Unheil. Was dem Imageverlust nicht gerade zuträglich war: Hinter den Mauern der Stadt trieben sich bis weit in die 1970er-Jahre angeblich auch noch die berüchtigten „Masciare“ herum: Damals existierende Zauberinnen, die mit ihrer „bösen Magie“ dem Aberglauben nach ganze Städte kontrollierten.
Als ein Anthropologe 1952 die Geschichte und Funktion dieser Hexen im Dorf erforschen wollte, wurde er laut den Legenden selbst Opfer des Fluchs. Seine Mitarbeiter erkrankten, die Hose seines Gehilfen ging von selbst in Flammen auf. Der Ruf von Colobraro als verhextes Dorf verfestigte sich. Seitdem, so berichten einige Dorfbewohner, meiden die Menschen der Apenninen den Kontakt mit den Menschen, die dort wohnen. Wenn die Leute Colobraro passieren, berühren sie Eisen, ein Metall, das nach italienischem Brauch Unglück ableitet und abwendet.
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Mit dem schlechten Ruf Geld machen
Auch wenn schon lange keine angebliche Hexe mehr in Colobraro gesichtet wurde, der Ruf als Unglücksbringer blieb im Bewusstsein der Italiener fest verankert. Sogar das italienische Fernsehen berichtete über den Fluch der Stadt. Der vorherige Bürgermeister des Dorfes beschoss schließlich, den schlechten Ruf seiner Heimat zu benutzen, um dem, wie vielen süditalienischen Gemeinden, mit Geldproblemen kämpfenden Dorf zu helfen: Er rief ein Festival ins Leben, das er nach Shakespeares berühmten Stück „Ein Mitsommernachtstraum… in diesem Dorf“ nannte.
Hier inszenieren die Einwohner von Colobraro, wie oben beispielhaft in dem Bild zu sehen, jedes Jahr im August ihre eigene Unglückstradition: Die Masciare treffen auf andere italienische Folklore-Figuren, wie die Monacielli, Geister von Kindern, die vor der Taufe gestorben sind oder Werwölfe, die man durch das Stechen mit einer Nadel erlösen kann. Wahrsagerinnen lesen Schicksale aus Händen, auch Lagerfeuer, Tanz, Theater und Musik sollen Touristen in das Dorf locken. Für die Besorgten unter den Besuchern verkaufen die Dorfbewohner Schutzamulette: Sie enthalten drei verschiedene Salze gegen Beschwörungen, drei Sorten Weizen für Fruchtbarkeit und Wohlstand, drei Nadeln Rosmarin für Liebe und Schönheit und um böse Geister abzuhalten sowie schließlich Lavendel, als Symbol für Tugend und Gelassenheit und um ängstliche Besucher zu beruhigen.
So gilt das Dorf zwar nach wie vor als verflucht, aber immerhin schlägt es jetzt Gewinn aus dem vermeintlichen Zauberbann.