17. Juni 2016, 12:08 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Seit mehr als 100 Jahren kommt es in einer abgelegenen Region von Patagonien immer wieder zu Monster-Sichtungen – angeblich treibt dort eine Nessie-ähnliche Kreatur ihr Unwesen. Auf den Spuren des vermeintlichen Urzeitmonsters.
Am 19. Januar 1922 erhält Clemente Onelli, Direktor des Zoos in Buenos Aires, einen rätselhaften Brief aus der Provinz Río Negro, einer unzugänglichen Gegend Argentiniens, die damals noch ganz der Willkür der umliegenden Anden ausgeliefert ist. Der Absender ist ein gewisser Martin Sheffield, ein Jäger und Goldsucher, der sich auf der Flucht vor dem US-amerikanischen Gesetz dort niedergelassen hat. Was Sheffield berichtet, lässt Onelli das Blut in den Adern gefrieren: Mehrere Nächte hintereinander habe er an einem See eine mysteriöse Kreatur beobachtet, ein „enormes Tier mit einem Kopf wie ein Schwan, von gewaltiger Größe. Seine Bewegungen lassen auf einen Krokodils-Körper schließen.“
Sollte Sheffield tatsächlich den mysteriösen Nahuelito entdeckt haben, das Monster, das seit einigen Jahrzehnten immer wieder die Region in Angst und Schrecken versetzt hatte? Bereits seit 1875 kursierten erste Gerüchte um die Bestie, befeuert durch mehrere angebliche Sichtungen. Onelli hatte alle verfügbaren Informationen über Nahuelito gesammelt, das Thema war für ihn längst zu einer Obsession geworden.
Manche berichteten von einer Kreatur mit dem Körper einer Kuh, für andere wiederum stand fest, dass Nahuelito nichts anderes sein könne als ein Plesiosaurier – ein Tier, das seit 65 Millionen Jahren als ausgestorben gilt. Onelli zögert nicht lange und stellt ein Expeditionsteam zusammen, welches sich sofort auf den Weg zum Lago Nahuel Huapi macht, dem Gletschersee, dem das Monster seinen Namen verdankt, ein 557 Quadratkilometer großes und bis zu 464 Meter tiefes Gewässer. Die Aufmerksamkeit der Presse ist riesig, und so reist mit Onelli ein buntes Ensemble von Glücksrittern an, unter anderem ein Schützenkönig, der Nahuelito wenn möglich zur Strecke bringen soll.
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Die Marine jagt ein mysteriöses Objekt
Obwohl sie das Monster sogar mit Dynamit und Elefantenbüchsen jagen und an den verschiedensten Stellen suchen, bleibt die Suche nach Nahuelito erfolglos, doch es wird eine Legende geboren, die sowohl Wissenschaftler als auch Mystery-Fans bis zum heutigen Tage beschäftigt. So behauptete zum Beispiel Juana, die Tochter des Goldsuchers Sheffield, auch noch im stolzen Alter von 85 Jahren in einem Interview mit der Zeitung „La Nación“, sie habe Nahuelito mehrmals mit eigenen Augen gesehen: „Seine Fußspuren waren riesig, und er heulte wie ein junges Kalb.“
Im Jahr 1960 ist die Region um den Lago Nahuel Huapi wiederum in Aufruhr, denn die argentinische Marine erscheint plötzlich ohne Erklärungen und verfolgt über mehrere Tage lang angeblich ein unidentifiziertes Untersee-Objekt im dem See. Viele Anwohner in der Region sind bis heute davon überzeugt, man habe damals Nahuelito gesucht. Auch der Zeitung „Newsweek“ ist das mysteriöse Jagd damals einen Artikel wert, und die „New York Post“ rätselt sogar (wohl nicht ganz ernst gemeint), ob es sich bei dem Monster um Nessie handele, der von seinem See in Schottland bis nach Patagonien geschwommen sein könne.
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Ist Nahuelito ein Dinosaurier?
Über Nahuelito kursieren aber bis heute auch noch ganz andere Gerüchte: So gibt Verschwörungstheoretiker, die glauben, er sei eine grausame Mutation, entstanden bei nuklearen Tests unter dem Perón-Regime. Aber aus welchem Tier könnte ein solches Monster entstanden sein, dessen Länge Augenzeugen auf bis zu 15 Meter schätzen? Wieder andere, sogar Wissenschaftler, glauben an die Theorie, Nahuelito sei ein Plesio- oder Ichthyosaurier, der das große Aussterben vor 65 Millionen Jahren überlebt habe. Dagegen spricht allerdings, dass Seen wie der Nahuel Huapi erst nach dieser Zeit entstanden sind.
Eine weitere Gruppe ist überzeugt, es könne sich bei Nahuelito nur um ein Mylodon handeln, ein bis zu vier Meter großes Riesenfaultier – welches aber auch schon vor mehr als 10.000 Jahren ausstarb. Manche wiederum einen, Nahuelito sei in Wirklichkeit ein Unterseeboot. Konkrete Beweise für irgendeine der Theorien – und vor allem auch für die Existenz des Wesens – konnte bislang jedoch niemand vorlegen.
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Bücher, TV-Shows, Souvenirs
Was es aber durchaus gibt, sind (angebliche) Fotos von Nahuelito. 1988 wurden einer lokalen Zeitung von einem Unbekannten Bilder zugespielt, der Mann wollte anonym bleiben, war aber überzeugt: „Das Monster hat sein Gesicht gezeigt.“ Wirklich zu erkennen ist aber auf keinem der Bilder etwas, und natürlich gibt es auch viele plumpe Fälschungen.
Die Legende um Nahuelito fasziniert dennoch bis heute: So hat der Autor Austin Whittal Nahuelito und anderen patagonischen Monstern sogar ein Buch gewidmet, in welchem er detailliert die Geschichte der Bestien darlegt, und der TV-Show „Destination Truth“ war die Kreatur eine eigene Sendung wert. Noch heute kommt es immer wieder zu angeblichen Nahuelito-Sichtungen, denn die Region um den Lago Nahuel Huapi ist ganzjährig ein beliebtes Ziel für Touristen.
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Viele vermuten daher auch, Nahuelito sei nichts weiter als ein geschickt am Leben erhaltenes Gerücht, das die Nippes-Verkäufer vor Ort ein bisschen reicher mache, denn natürlich gibt es längst Nahuelito-Souvenirs in allen Variationen.
Am Ende muss wohl jeder für sich selbst entscheiden, ob er der Legende um das Monster im Lago Nahuel Huapi Glauben schenken will – und das ist wohl auch der Grund, warum sie bis heute die Menschen begeistert.