16. August 2018, 17:19 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Seit 1917 spülte der indische Fluss Brahmaputra, der bei Monsunen stets ansteigt, bereits ein Drittel der weltweit größten Flussinsel Majuli einfach weg. Indische Wissenschaftler fanden laut des e-Journals „Earth Science India“ heraus, dass sie durch Abtragungen in 15 bis 20 Jahren sogar ganz verschwunden sein könnte. Das versucht Jadav Molai Payeng seit den 1970er-Jahren zu verhindern. Der damals 16-jährige Bewohner Majulis begann eigenmächtig, als gezielte Aufforstung täglich einen Baum zu pflanzen, um den Fluten entgegenzuwirken – und das Ergebnis kann sich jetzt, etwa 40 Jahre später, mehr als sehen lassen.
Durch die Abtragungen des Flusses liegen seit Jahrzehnten immer mehr Sandbänke vor Majuli. Vor etwa 30 Jahren habe Payeng auf einer von ihnen tote Schlangen gefunden, die durch die Strömungen angespült worden und wegen der fehlenden Bäume schutzlos in der sengenden Hitze verendet sein sollen. Sie seien letztlich der Auslöser für das größte Projekt in Payengs Leben gewesen: die Bepflanzung einer unfruchtbaren Insel. „Als ich das gesehen hatte, dachte ich, dass sogar wir Menschen auf diese Weise in der Hitze sterben werden. Das hat mich getroffen. In Trauer um diese toten Schlangen habe ich den Wald erschaffen“, erinnert sich der Umweltaktivist im Interview mit „National Public Radio“ (NPR). .
Jetzt ist ein großer Teil einer dieser Sandbänke über und über mit Bäumen und Büschen bedeckt. Dank Payengs langjähriger Bepflanzungsaktion ist der Molai-Wald, der nach ihm benannt wurde, mittlerweile sogar größer als der New Yorker Central Park. Zum Vergleich: Die Waldlandschaft ist rund 5,5 Quadratkilometer groß, während der Central Park nur etwa 3,41 Quadratkilometer Fläche misst.
Doch nicht nur die Pflanzenwelt konnte sich seinetwegen in den vergangenen Jahren wieder erholen. Tatsächlich sollen Affen, Königstiger, indische Nashörner, Hirsche, Hasen und einige Vogelarten in dem Wald hausen. 115 Elefanten würden sogar jährlich den Marsch auf die Insel auf sich nehmen, um für drei Monate im Wald leben zu können.
„Es ist nicht so, als hätte ich das alles allein gemacht. Man pflanzt einen oder zwei Bäume, und die müssen säen. Und wenn sie das einmal getan haben, dann weiß der Wind, wie er säen muss, die Vögel wissen, wie sie säen müssen, die Kühe wissen es, Elefanten wissen es, sogar der Brahmaputra-Fluss weiß es. Das gesamte Ökosystem weiß das“, erklärt Payeng gegenüber „NPR“.
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Wunderwald wurde nur durch Zufall entdeckt
Von Payengs botanischem Wunderwerk wusste vorerst niemand. Erst im Herbst 2007 war der indische Fotojournalist Jitu Kalita bei einer Tour auf dem Fluss Brahmaputra durch Zufall auf den Wald gestoßen. In einer Dokumentation über Payeng mit dem Titel „Forest Man“ erzählte der Fotograf von seiner Entdeckung: „Ich bin darauf zugelaufen, und als ich ankam, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Ich hatte einen dichten Wald inmitten einer unfruchtbaren Einöde gefunden.“
Nachdem er Kontakt zu Payeng aufgenommen und den Inselwald erkundet hatte, war Kalita so fasziniert, dass er einen Artikel über seine unglaubliche Geschichte in einer lokalen Zeitung veröffentlichte. Vom ehemaligen Präsidenten Indiens, A. P. J. Abdul Kalam, bekam Payeng anschließend in Mumbai den Titel „Forest Man of India“ verliehen. 2015 wurde seine Arbeit sogar von der Regierung mit dem vierthöchsten zivilen Award Indiens, dem Padma Shri, ausgezeichnet.
Wovon lebt der „Forest Man“?
Payengs einzige Geldquelle sind den Berichten zufolge der Verkauf von Milch an andere Inselbewohner. Seine Frau Binita, ihre drei gemeinsamen Kinder und er leben zusammen mit Büffeln und Kühen in einer kleinen Hütte auf einer Farm.
Zukünftig wolle er sich nicht nur auf seine Tiere, sondern vor allem weiterhin auf den Baumbestand seiner Insel konzentrieren, sagt Payeng. Am Anfang sei die Bepflanzung sehr zeitintensiv gewesen, mittlerweile würden ihm die Bäume aber selbst Samen liefern und sich vervielfachen. Der Bestand der Wildtiere habe sich auch selbstständig verbessert.
Seitdem die Tiere jedoch auf der Insel leben, gebe es immer häufiger Schwierigkeiten mit Jägern. „Menschen konsumieren alles, bis nichts mehr übrig ist. Nichts ist vor Menschen sicher, nicht einmal Tiger oder Elefanten“, beklagt Payeng. Einige Inselbesucher sollen es sogar auf die Rodung seiner Bäume abgesehen haben, doch solchen mache der Umweltaktivist klar, dass sie zuerst ihn töten müssten, bevor sie seine Bäume töten könnten.
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Payengs Baumziel ist noch lange nicht erreicht
Payeng verfolgt bei seiner Bepflanzung ein bestimmtes Ziel: Er will auf Majuli und in dem nicht weit davon entfernten Jorhat Wälder sprießen lassen. „Ich werde mit dem Bepflanzen weitermachen bis zu meinem letzten Atemzug.“ Er habe ein Beispiel dafür gesetzt, was ein einziger Mann ausrichten könne. Niemand könne Gott sehen, für ihn sei Gott aber die Natur, und das würde ihm Inspiration geben. „Das gibt mir Kraft. Solange der Wald überlebt, überlebe auch ich.“