25. August 2023, 17:08 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Der Colca Canyon im Süden von Peru ist fast doppelt so tief wie der weltberühmte Grand Canyon in den USA – und war vor gut 40 Jahren noch fast völlig unbekannt. Erst eine lebensgefährliche Expedition per Kajak machte die Schlucht quasi über Nacht weltberühmt. Seitdem ist der Ort eine der größten Touristenattraktionen Perus.
Im Süden Perus, in der Provinz Caylloma, befindet sich eines der größten Naturwunder des südamerikanischen Landes. Man könnte wohl auch sagen, dass es sich um das tiefste handelt, denn bei der Schlucht namens Colca Canyon handelt es sich um einen wahrhaft schwindelerregenden Abgrund. Ihre Steilwände erheben sich fast doppelt so hoch wie die des weltberühmten Grand Canyon in den USA. Und doch war die spektakuläre Schlucht in Peru noch vor gut 40 Jahren fast völlig unbekannt.
Die nackten Zahlen um den Colca Canyon machen wahrhaft sprachlos: Über eine Strecke von 100 Kilometern hat er sich durchs Land gefressen, an seiner tiefsten Stelle geht es laut „BBC “ 3400 Meter hinab. Zum Vergleich: Der Grand Canyon, wohl die größte natürliche Touristenattraktion der USA, ist „nur“ bis zu 1800 Meter tief. Der offiziellen Tourismusseite von Peru zufolge ist die spektakuläre Schlucht über einen Zeitraum von 150 Millionen Jahren entstanden. Heute ist sie, nach der legendären Inka-Stadt Machu Picchu, einer der größten Besuchermagneten des Landes.
26 Tage für die Ewigkeit
Dabei tauchte der Colca Canyon erst 1981 wirklich auf der Bühne der touristischen Weltgeschichte auf. Natürlich war er auch vorher schon ein Faszinosum gewesen, galt aber als quasi unzugänglich. Bis eine Expedition von sieben polnischen Extremsportlern das Undenkbare wagte. Sie durchquerten als erste Menschen überhaupt die Schlucht komplett. Und zwar nicht zu Fuß, sondern auf dem oft reißenden Colca-Fluss per Kajak. Ihre beispiellose Eroberung ging über die Medien wie ein Lauffeuer um die ganze Welt und machte den Colca Canyon quasi über Nacht zu einem neuen Traumziel für Abenteuerlustige rund um den Globus.
26 Tage brauchte die Expedition namens „Canoandes“ damals für die Erst-Durchquerung des Colca Canyon. 26 Tage, in denen die mutigen Männer immer wieder ihr Leben riskierten. Vorher hatten sie bereits auf Flüssen und in Schluchten in Mexiko und ganz Mittelamerika trainiert, aber noch nie hatte jemand etwas Vergleichbares versucht wie die Durchquerung des Colca Canyon. Für die Teilnehmer war das Wagnis aber auch eine einmalige Chance. Auf diese Weise konnten sie dem sozialistischen Regime entkommen, das damals in Polen herrschte. Einige von ihnen sollten nie wieder in ihre Heimat zurückkehren.
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Pioniere des Wildwasser-Sports
Viele der Flüsse, die die Mitglieder von „Canoandes“ meisterten, wurden damals zum ersten Mal überhaupt von Menschen „bereist“. Noch heute gelten die Polen in weiten Teilen Mittel- und Südamerikas als Helden und Pioniere des Tourismus per Wildwasser-Kayak. Laut „Men’s Journal“ gelangen ihnen Erst-Befahrungen unter anderem in Mexiko, Guatemala, Nicaragua und Costa Rica. Heute sind viele der Flüsse, die sie damals als erste eroberten, größere Touristenattraktionen der jeweiligen Länder.
Das große Abenteuer geht los
Mit einem mexikanischen Empfehlungsschreiben von höchster Stelle reist das Team schließlich von Panama über Ecuador nach Peru, um den Colca Canyon zu erobern. Hier befahren sie zunächst die Flüsse Marañón und Urubamba. Doch ihre größte Herausforderung, die auch zu ihrer Lebensleitung werden soll, liegt noch vor ihnen: der Colca-Fluss und seine scheinbar uneinnehmbare Schlucht. Bereits 1929 hatte ein US-Pilot diese bei einem Überflug entdeckt, die Zeitschrift „National Geographic“ in den 1930er-Jahren das erste Mal darüber berichtet. In den 1960er-Jahren dann hatte ein peruanischer Professor erstmals gemutmaßt, man könne den Canyon eventuell per Boot befahren. Gewagt hatte das bis dahin freilich niemand.
Ein traumatisches Erlebnis als Impulsgeber
Ihr Mut macht ihre mangelhafte Ausstattung wieder wett, und so beginnt am 14.Mai 1981 schließlich das Abenteuer. Wie Expeditionsteilnehmer Andrzej Piętowski auf der offiziellen Seite von „Canoandes“ beschreibt, bewegt aber vor allem ein traumatisches Erlebnis die Gruppe endgültig zum Aufbruch. Am Vorabend hat es ein Attentat auf ihren Landsmann Papst Johannes Paul II. gegeben. In dem Glauben, dieser sei tot, widmen die jungen Männer ihre Reise quasi ihrem spirituellen Oberhaupt.
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Zu diesem Zeitpunkt hofft die Expedition noch, die 100 Kilometer des Colca Canyon in fünf Tagen überwinden zu können. Am Ende werden daraus 26 Tage, in denen sie mehr als nur einmal um ihr Leben fürchten müssen. Der wilde Fluss macht mit ihnen, was er will. Schon am zweiten Tag kentert ihr Beiboot, der Druck des Wassers reißt einem Teilnehmer die Kleidung und Schuhe vom Körper. Er klammert sich an einen Felsen im Wasser, kann so von den anderen vor dem Ertrinken gerettet werden.
Halb verhungert
Die Männer kommen viel langsamer voran als erhofft, müssen nicht selten ihre Boote tragen, um besonders heikle Stellen des Colca Canyon zu umgehen. Gleichzeitig staunen sie atemlos über die Schönheit der Schlucht und ihre tausende Meter hohen Steilwände. Weit oben kreisen am Himmel die majestätischen Kondore, die heute Touristen in Scharen in die Region locken. Bereits am fünften Tag gehen den Männern langsam die Vorräte aus. Am elften Tag dann erreichen sie, halb verhungert, die Siedlung Canco, wo die Einheimischen sie freundlich begrüßen und ihnen zu essen geben.
Hier rasten sie zehn Tage, stocken ihre Vorräte auf und reparieren ihre Boote. Die zweite Passage durch den Colca Canyon bewältigen sie dann in nur fünf Tagen. Am 26. Tag ihrer Reise flachen die steilen Wände der Schlucht plötzlich ab. Piętowski beschreibt die letzten Momente der Reise auf rührende Weise: „Wir alle schauten für einen letzten Blick zurück, und ich empfand dieses Gefühl der Sehnsucht. Es fühlte sich fast an, als hätten wir etwas dort zurückgelassen. Diese Sehnsucht ist seitdem immer in mir geblieben. Nach diesem Canyon, oder einem anderen, vielleicht noch nicht eroberten.“
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Beispielloser Wandel
Die Männer werden über Nacht zu weltweit gefeierten Stars, der Präsident von Peru empfängt sie. Der Colca Canyon entwickelt sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte von einer lebensgefährlichen Schlucht zu einem der größten Touristenmagneten des Landes. Für die vorher nahezu unzugänglichen Dörfer, die in seinem Inneren liegen, bringt er einen beispiellosen Wandel. Lebten die Menschen hier vorher vor allem von der kargen Landwirtschaft, verdienen sie ihr Geld heute größtenteils mit dem Tourismus.
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Trekking, Rafting oder Mountainbiking – der Colca Canyon und seine Umgebung bieten für quasi jeden (Aktiv-)Urlauber eine fantastische Szenerie. Dörfer wie Sibayo, Yanque, Callalli und Coporaque locken laut der offiziellen Tourismusseite von Peru mit ihrer ursprünglichen andinen Kultur. Zudem gibt es in der Gegend auch Thermalquellen, in denen man baden kann. 2019 ernannte die Unesco den Colca Canyon als ersten Ort des Landes zu einem Globalen Geopark. Jedes Jahr kommen heute der Organisation zufolge Hunderttausende Urlauber aus aller Welt in die Region.