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Insider verrät

Warum ich meinen Besuch im Sutjeska-Nationalpark in Bosnien niemals vergessen werde

Sutjeska-Nationalpark
Wandern wie in einer Fototapete. Solche Ausblicke locken immer mehr Reisende in den Sutjeska-Nationalpark, den ältesten von ganz Bosnien Foto: Robin Hartmann
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

23. September 2023, 7:21 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Im Südosten von Bosnien liegt mit dem Sutjeska-Nationalpark das wohl schönste Wanderparadies des Landes. Hier läuft die bezaubernde Natur des kleinen Staates zur absoluten Hochform und zahlreichen Superlativen auf. Wie wäre es zum Beispiel mit dem höchsten Berg Bosniens und dem ältesten Urwald auf europäischem Boden? TRAVELBOOK-Autor Robin Hartmann hat sie beide besucht. Warum er davon noch heute schwärmt, aber auch froh ist, überhaupt darüber schreiben zu können.

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Wenn ich mich für ein Reiseziel interessiere, dann schaue ich meistens bei meiner Vorbereitung vor allem auf einen Punkt: Wie viel möglichst unberührte Natur hat meine Destination zu bieten? Als ich kürzlich zunächst eher zufällig auf Bosnien und dann auch noch auf den Sutjeska-Nationalpark stieß, fühlte ich mich daher, als hätte ich im Casino einen Jackpot geknackt. Der älteste Nationalpark des Landes, etwa 17.000 Hektar Wald, Berge und Seen. Mittendrin, mit dem Maglić, der höchste Berg des kleinen Balkan-Staates, und mit dem Perućica der älteste Urwald auf europäischem Boden. Ganz klar: Ein Wochenende hier würde der sprichwörtliche Höhepunkt meiner einwöchigen Bosnien-Reise werden. Ein Wochenende, von dem ich immer noch froh bin, es unbeschadet überstanden zu haben.

Zunächst einmal ging es für mich von Sarajevo aus mit einem Kleinbus los, nachdem ich das Abenteuer bei einer lokalen Firma gebucht hatte. Von hier aus starten die meisten Touren in den wilden Südosten des Landes. Die Organisation und Abholung war reibungslos verlaufen, und die Agentur vermutlich heilfroh, denn ich hatte einen Mitarbeiter namens Nikola vorab mit etwa 30 Emails zu allen möglichen Fragen behelligt. Stets kamen freundliche Antworten zurück, und Guide Marko stand sogar noch vor der verabredeten Zeit vor meinem Hotel. An Bord bereits eine Gruppe fröhlich schnatternder Däninnen und der Brite Chris.

Ruckelige Anfahrt

Die Stimmung im Bus aufgekratzt heiter, obwohl sich die angegebene Fahrzeit von anderthalb Stunden in den etwa 70 Kilometer entfernten Sutjeska-Nationalpark eher als doppelt so lange herausstellt. Doch das ist in Bosnien eigentlich egal, denn alle Strecken, die ich hier in einer Woche gefahren bin, nahmen sich ob der überall im Land spektakulären Natur aus wie Panorama-Fahrten. Der Einstieg zum Park befindet sich bei dem kleinen Dorf Tjentište, von dem ich außer zwei Restaurants und ein paar Häuschen nichts gesehen habe. Von hier aus ging es dann nach einem Frühstück zu dem Wanderparkplatz Prijevor.

Die Fahrt dorthin verläuft so ruckelig, dass man selbst mit einem Geländewagen nur mit Schritttempo voran kommt, ja, mitunter wäre man zu Fuß vermutlich sogar schneller. Die „Straße“ ausgewaschen von Regengüssen, mit Schlaglöchern von Canyon-artigen Dimensionen. Kurz unterhalb des Prijevor ist dann aber alles vergessen, denn der Wald lichtet sich und gibt den Blick frei auf eine unglaublich weite und schöne Berglandschaft, die genauso gut eine Fototapete sein könnte. Atemloses Staunen – ich hatte bis dahin wirklich schon sehr viel schöne Natur in Bosnien gesehen. Doch dieser erste Blick auf den Sutjeska-Nationalpark setzt dem allem noch einmal eine Krone auf.

Sutjeska-Nationalpark
Ausblick ins Paradies: Das Panorama vom Prijevor-Parkplatz Foto: Robin Hartmann

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Eine unerwartete Lektion

Hier, an der Grenze zu Montenegro, scheint der Horizont keine Grenze zu haben. Die Gipfel unzähliger kahler Karstberge ragen in den strahlend blauen, nur mit ein paar Wolken akzentuierten Himmel. Unsere Kameras klicken jetzt schon wie wild, um diese ersten Eindrücke vom Sutjeska-Nationalpark festzuhalten. Die Landschaft, bedeckt in den tieferen Lagen mit dichtem Nadelwald, mutet an wie die letzte Wildnis Europas – wären da nicht die zahlreichen Autos auf dem hoffnungslos überfüllten Wanderparkplatz. Denn der Sutjeska ist schon lange nicht mehr der Geheimtipp, der er noch vor ein paar Jahren vielleicht war. Dennoch ist die Natur so weitläufig, dass wir unser Abenteuer beginnen, ohne dabei anderen Wanderern zu begegnen.

Es soll tatsächlich zum Gipfel des Maglić gehen, der mit 2386 Metern höchste Berg des Landes. Eine Tour, durchaus auch für Einsteiger geeignet, wie ich auf der Webseite gelesen hatte. Nun war ich zuvor bereits auf die höchsten Gipfel von Spanien, Panama und den Kapverden gestiegen und sah mich daher bestens gewappnet für diesen vergleichsweise eher kleinen Berg. Was sollte schon passieren, immerhin war ich doch bereits in Höhen von über 5000 Metern unterwegs gewesen. Daher konnte ich mir doch durchaus einbilden, dass ich zumindest ein bisschen was vom Bergsteigen wusste, oder? Nun ja, der Maglić belehrte mich schnell eines Besseren. Ich wusste so gut wie gar nichts.

Sutjeska-Nationalpark
Das Abenteuer beginnt: Hier sah der Aufstieg zum Maglić noch aus wie ein netter Spaziergang Foto: Robin Hartmann

Spektakel vor Sicherheit

Doch noch weniger wussten leider meine Mitreisenden. Sie behaupteten, auf der Webseite der Agentur gelesen zu haben, Sneakers würden für die Besteigung völlig ausreichen. Ein Umstand, den ich im Nachhinein nicht verifizieren konnte. Hier wurde, wenn auch kleingedruckt, darauf hingewiesen, festes Schuhwerk sei unerlässlich. So war ich neben dem Guide der einzige Teilnehmer mit richtigen Wanderschuhen. Zum ersten Mal verspürte ich ein flaues Gefühl im Magen. Dass noch gesteigert wurde durch den Umstand, dass Marko uns an diesem Tag allein zum Maglić führen würde.

Nun arbeite ich selbst in einem meiner zahlreichen Nebenberufe als Guide, und auch im flachen Gelände ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass eine Truppe immer mindestens zwei Führer oder zumindest Aufpasser haben sollte. Meiner Meinung nach hätte man die Bergtour im Sutjeska-Nationalpark unter diesen Umständen absagen müssen. Doch ich habe besonders in solchen vergleichsweise eher ärmeren Ländern schon oft erlebt, dass Agenturen in erster Linie leider darauf bedacht sind, ihren Schnitt zu machen. Und das ist in Bosnien, wo der durchschnittliche Monatslohn 300 Euro beträgt, das Wochenende für eine Person aber schon 250 Euro kostete, irgendwie ja sogar nachvollziehbar.

Sutjeska-Nationalpark
Blick in die archaische Landschaft von unterhalb des Gipfels Foto: Robin Hartmann

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Abbruch nach einer halben Stunde

Trotzdem rächt sich Markos Alleingang bereits nach etwa zehn Minuten. Eine der jungen Däninnen sagt, ihr sei schwindlig, und außerdem ihr Knie verletzt. Nun muss man sicher ob solch blauäugiger Herangehensweise den Kopf schütteln, aber im Zeitalter von Instagram scheint vielen der Realitätssinn für die Machbarkeit von echten Abenteuern verloren gegangen zu sein. Es stellt sich jedenfalls heraus, das außer mir und Marko noch nie einer der Teilnehmer überhaupt schon einmal auf irgendeinem Berg war. Dazu hier vorweggenommen ein Fakt, den ich von Einheimischen in Erfahrung brachte, nachdem Gott sei Dank alle den Gipfelsturm relativ unbeschadet überstanden hatten. Der Maglić ist demnach wohl vom Schwierigkeitsgrad eine Acht auf einer Skala von Zehn.

So geht es denn auch nur in eine Richtung: Steil bergan. Lichter Wald weicht bald unglaublichen, von Blumen-Teppichen übersäten Wiesen, auf denen Enzian, Hahnenfuß, Trollblumen, wilder Thymian und zahllose andere Arten blühen. Die Pumpe geht hier schon ordentlich, und das, obwohl ich als letzter Mann und inoffizieller zweiter Guide eigentlich die gemütlichste Position in der ganzen Gruppe habe. Das Tempo bestimme nicht ich, sondern die Leute vor mir. Und ob diesem zeigt sich Guide Marko bereits nach einer halben Stunde besorgt. Nur wenig später beschließen dann mittlerweile zwei angeschlagene Däninnen, umzukehren, um den anderen die Chance auf den Gipfel nicht zu verbauen. Und spätestens hier hätte ein zweiter Guide dabei sein MÜSSEN, der die beiden zu unserem Nachtlager begleitet. So aber machen sie sich allein, und natürlich stark verunsichert, auf den Rückweg.

Ein falscher Schritt wäre der Tod

Je höher wir anderen steigen, desto unglaublicher werden die Ausblicke auf den Sutjeska-Nationalpark, der jetzt schon weit unter uns im Tal liegt. Wie eine Modellbaulandschaft wirken Wälder und Gipfel. Ein so krasser Anachronismus zur Realität des Alltags, dass weder Kopf noch Herz so richtig begreifen, was hier gerade eigentlich passiert. Und doch muss man jederzeit hellwach sein, denn nur einen Fußbreit hinter uns gähnen mehrere hundert Meter steile Abgründe, die wir zuvor mit Mühe herauf gekraxelt sind. Und das nervenaufreibendste Stück Weg liegt da noch vor uns.

Denn was folgt, ist eine Passage, die ich gedanklich als Hillary Step bezeichne, in Anlehnung an den schwierigsten Aufstieg auf dem Mount Everest. Nur an einem im Berg verankerten Stahlseil müssen wir uns, ohne Karabiner, teils vertikale Abschnitte hochhangeln. Ein falscher Schritt, und das ist keine Dramatisierung, wäre hier der sichere Tod. Dass bei mir dennoch keine Angst aufkommt, liegt vermutlich allein daran, dass ich im Geist bereits die wütendsten Beschwerde-Mails an die Abenteuer-Agentur formuliere, die uns in den Sutjeska-Nationalpark gebracht hat. Und daran, dass ich viel mehr Sorge um die weiblichen Gruppenmitglieder habe, die ich quasi permanent sichern muss.

Sutjeska-Nationalpark
Kein Platz für Fehler: Ein Teil der Wanderstrecke zum Gipfel kann für unerfahrene Bergsteiger gefährlich werden Foto: Robin Hartmann

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Gipfelglück und Abstiegs-Horror

Doch dann ist es tatsächlich geschafft, und wir betreten den flachen, breiten Gipfel des Maglić, von dem aus sich in alle Richtungen ein unglaubliches Rundum-Panorama bietet. Der Blick schweift über die unzähligen Bergkuppen, die größtenteils schon im nahen Montenegro liegen. Erst jetzt löst sich bei mir die Anspannung, denn alle haben es heil zum sprichwörtlichen Höhepunkt des Sutjeska-Nationalpark geschafft. Verschnaufen, tief durchatmen, staunen, bevor es dann nach knapp einer Stunde ganz nah am Himmel wieder an den Abstieg geht. Die Nacht werden wir am Trnovačko-See in Montenegro verbringen, der schon von hier oben wie ein blauer Diamant in der dramatischen Landschaft schimmert.

Sutjeska-Nationalpark
Auf dem Gipfel des Maglić und am Ende mit den Nerven trotz diesem gigantischen Ausblick Foto: Robin Hartmann

Zunächst geht es über ein flaches Hochplateau mit wiederum Postkarten-Ausblicken, wo ich alle fünf Meter stoppen und Bilder machen muss. Schnell verwandelt sich der Abstieg aber in eine steile Schotterpiste, die mehr Abhang als tatsächlich Weg ist. Nach den Strapazen des Aufstiegs der nächste Nervenkitzel, meine Mitreisenden bewältigen dann auch den Großteil der Strecke auf dem Hintern rutschend. Auch hier gilt: Würde man stürzen, zöge das zumindest erhebliche Verletzungen nach sich. Der Sutjeska-Nationalpark zeigt sich uns wirklich von seiner wildesten Seite. Ein Abenteuer, auf das ich auch noch Wochen später ungläubig staunend zurück blicke, während ich diese Zeilen schreibe.

Sutjeska-Nationalpark
Der Abstieg war kein bisschen entspannter als der Auftstieg Foto: Robin Hartmann

Eine archaische Wildnis

In der Nacht am Trnovačko-See ist denn auch an Schlaf nicht zu denken. Das liegt zum einen an der Aufregung, die immer noch in mir nachwirkt. Zum anderen an dem völlig klaren Sternenhimmel, der millionenfach seine Lichter aussendet, und sogar einige Sternschnuppen über das Firmament rasen lässt. Ich wärme mich lange bei Einheimischen am Lagerfeuer und rauche meine erste Zigarette seit Ewigkeiten – so sehr brauche ich in diesem Moment eine spürbare Bestätigung, am Leben zu sein. Lange liege ich danach noch in meinem Schlafsack, ein kleiner Mensch mitten im großen Sutjeska-Nationalpark. Als um 4:30 Uhr die ersten Vögel zu singen beginnen, bin ich vor ihnen schon wieder wach.

Sutjeska-Nationalpark
Der Blick auf den Trnovačko-See von unterhalb des Gipfels. Unser Autor verschnauft und staunt Foto: Robin Hartmann

Dichter, geisterhafter Nebel liegt noch über der Landschaft, als sich unsere kleine Gruppe auf die Wanderung zurück zum Prijevor-Parkplatz begibt. Wie flauschige Watte wabert er in Bodennähe, hüllt die Bäume und Gipfel ein, bis die aufsteigende Sonne ihn langsam auflöst. Unser Tagesziel ist heute der Perućica, laut Guide Marko mit 20.000 Jahren der älteste Urwald auf europäischem Boden. Die mächtigsten Bäume fast 60 Meter hoch, eine archaische Wildnis, in der auch heute noch Bären leben. Hier wird uns eine etwa vierstündige Wanderung zum Skakavac-Wasserfall führen, mit knapp 80 Metern der höchste seiner Art in Bosnien und Herzegowina.

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Der höchste Wasserfall Bosniens

Der Wald ist schon beim Einstieg ein überaus beruhigender Ort. Außer unseren Schritten und seichtem Vogelgezwitscher schluckt er nahezu jedes Geräusch in einem dichten Teppich aus Moos, das hier alles überzieht. Leider verläuft der Weg zum Wasserfall aber auch hier wieder sehr steil, so dass man den Frieden des Waldes gar nicht so richtig genießen kann. Zumal uns allen auch noch der gestrige Tag mächtig in den Knochen steckt. Vorbei an umgestürzten Riesen windet sich der schmale Pfad nur bergab, immer tiefer in das grüne Herz des Sutjeska-Nationalparks.

Der Skakavac, übersetzt „Grashüpfer“, ergießt sich über eine Abbruchkante rauschend in die Tiefe, wo wir sozusagen zu seinen Füßen stehen. Ein feiner Sprühregen überzieht schon bald erfrischend die Haut und sorgt für Abkühlung an diesem sehr heißen Mittag. So richtig staunen kann jetzt aber niemand mehr. Denn alle denken schon an den steilen Rückweg. Als der schließlich geschafft ist, fallen wir nur noch in den Bus. Und holen auf der Rückfahrt nach Sarajevo ein wenig Schlaf nach. Der Sutjeska-Nationalpark hat uns an diesem Wochenende ein paar seiner Geheimnisse enthüllt. Ich zumindest weiß jetzt schon, dass ich irgendwann auch noch all die anderen entdecken möchte.

Sutjeska-Nationalpark
Der Skakavac-Wasserfall ist der höchste in ganz Bosnien Foto: Robin Hartmann
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