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Paradies für Wanderer und Naturfreunde

Talassemtane – Marokkos wilder Nationalpark

Talassemtane
Der Talassemtane-Nationalpark im Norden Marokkos überrascht mit einer wilden, wunderschönen Natur, die man sich auch an mehreren Tagen erwandern kann Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

9. März 2024, 15:02 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Als unser Autor kürzlich Marokko bereiste, war er von dem Land in vielerlei Hinsicht begeistert und überrascht – vor allem vom Talassemtane-Nationalpark, einem Wanderparadies in der Nähe der Stadt Chefchaouen. Hier verbrachte er mehrere Tage, staunte über Einsamkeit und die unglaublich grüne Natur. Und wurde zwischenzeitlich als Tourist sogar selbst zu einer Art Sehenswürdigkeit.

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Talassemtane. Als ich bei den Vorbereitungen für meine Marokko-Reise auf diesen Namen stieß, den ich zunächst weder richtig aussprechen noch korrekt buchstabiert in die Google-Suche eingeben konnte, schlug mein Herz plötzlich schneller. Ein Nationalpark im Norden des Landes, 600 Quadratkilometer groß, in den Rif-Bergen des mächtigen Atlas-Gebirges. Meine Füße begannen unweigerlich zu jucken, am liebsten hätte ich noch vor Ort, im winterkalten Deutschland, meine Wanderstiefel geschnürt. Denn, so war mir jetzt schon klar, eine Tour in diese wilde Einsamkeit wäre sicher der Höhepunkt meines Trips. Am Ende wurden alle meine Erwartungen noch bei Weitem übertroffen.

Am schönsten für mich an einer Reise sind immer die Überraschungen. Dinge, mit denen man so auf gar keinen Fall gerechnet hätte. Wir reisen doch letztlich auch, um vorgeprägte Bilder in unserem Kopf mit der Wirklichkeit abzugleichen. Um sie dann erstaunt und erfreut zurecht zu rücken. Und schon auf dem Weg nach Chefchaouen wird ein solches Bild in meinem Kopf regelrecht zersprengt. Hatte ich mir Marokko als sehr trockenes, nahezu wüstenartiges Land vorgestellt, so trifft im Norden eher das genaue Gegenteil zu. Bereits Anfang Februar explodieren Täler und Berge in den vielfältigsten Grünschattierungen, wuchern in der immer archaischer werdenden Landschaft Palmen, Kakteen, Aloe, Orangen- und Olivenbäume.

Drei Schachteln Zigaretten als Proviant

Talassemtane
Marokkos Norden ist unglaublich grün, wie der Talassemtane beweist Foto: Getty Images

Die zuvor konturlose Umgebung wird zudem zunehmend schroffer. Dramatisch gezackte Felsmassive rahmen jetzt die Szenerie ein wie auf einem Bild von Ansel Adams. Und irgendwo hinter den Bergen von Chefchaouen erstreckt sich mein Sehnsuchtsziel, der Talassemtane-Nationalpark. Eine Tour zu organisieren ist dann auch tatsächlich erfreulich einfach. Als ich Yassine, meinen Gastgeber im „Hostel Aline“ nach den Möglichkeiten frage, fängt er sofort an zu telefonieren. Bereits ein paar Stunden später ist klar: Die Tour ist machbar, mit Übernachtung in einer Herberge irgendwo im Nirgendwo des Talassemtane. Kostenpunkt für zwei Tage, all-inclusive sozusagen, umgerechnet nicht einmal 80 Euro. Keine weiteren Fragen.

Yassine, der sich während meiner Tage in Chefchaouen generell als hilfsbereiter Engel erweist, bietet sich dann auch gleich an, den Guide zu machen. Und nur zwei Tage später stehen wir in der morgendlichen Kühle in den Gassen, bereit, ins Abenteuer abzumarschieren. Während ich mir noch Gedanken mache, ob meine Kondition für eine solche Tour und vor allem bei der später zu erwartenden Hitze ausreichend ist, steckt sich Yassine erstmal lässig eine Kippe an. Bevor es überhaupt richtig losgeht, hat er schon drei Stück gepafft. Sein Vorrat für die zwei Wandertage sind drei ganze Schachteln. Wir machen uns nun endlich auf in das Unbekannte, den Talassemtane-Nationalpark.

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Aufstieg ohne Schatten

Talassemtane
Der Talassemtane begeistert Wanderer mit seiner schroffen Bergwelt Foto: Getty Images

Durch die engen, himmelblau gestrichenen Gassen von Chefchaouen steigen wir immer höher, bis wir bei den Überresten der alten Stadtmauer den Ort verlassen. Nun beginnt ein wahrlich skurriles Waldstück, denn die Kiefern hier stehen in einem absolut abenteuerlichen Winkel schief zum Hang, wie ich es so noch nie gesehen habe. Doch mit dem herrlichen Schatten, in dem unzählige Vögel ihr poetisches Konzert zum Besten geben, ist es leider sehr schnell wieder vorbei. In der Folge werden wir den gesamten Tag eine gewundene Schotterpiste in die Berge des Talassemtane emporsteigen. Mehrere Stunden, etwa 1000 Meter Höhenunterschied, fast ohne jeglichen Schutz vor der auch im Februar schon brennenden Sonne.

Schon hier aber sind die Ausblicke auf das weite Land und Chefchaouen unter uns so gewaltig, dass man bei dem ohnehin langsamen Tempo die Strapazen immer wieder vergisst. Zumal der Weg technisch keinesfalls anspruchsvoll ist, es handelt sich quasi um eine Straße. Allerdings kommen uns den gesamten Tag sehr viel mehr vollbepackte Esel entgegen als Autos. Zwischendurch immer mal wieder wild in die Berghänge gewürfelte Ansammlungen von Häusern, die von Yassine tatsächlich als Dörfer bezeichnet werden. Immer, wenn wir auf Einheimische treffen, beäugt man uns freundlich und neugierig. Vermutlich fehlt diesen Menschen, die in der Wildnis des Talassemtane leben, das Konzept von Wandern als Freizeitbeschäftigung. Ein westlicher Luxus, unterwegs zu sein, aber dabei eigentlich nichts zu tun zu haben.

Das kosmische Ballett

Mit zunehmender Höhe werden auch unsere Pausen länger und häufiger, der Marsch unter der prallen Sonne fordert seinen Tribut. Ich mache mir zwischenzeitlich Gedanken, ob meine dreieinhalb Liter Wasser bis zum Abend reichen werden. Ein kühlender Wind erfrischt aber, und auf etwa 1400 Metern Höhe beginnt ein wahrer Märchenwald, der uns endlich wieder kühlenden Schatten spendet. Mächtige Kiefern, Zedern und die im Talassemtane endemische Marokkanische Tanne ragen hoch in den azurblauen Himmel, im Gebüsch duften Rosmarin und Ginster. Ich lasse mich hinter der Gruppe zurück fallen und genieße ganz allein die wilde Einsamkeit auf den letzten Metern bis zum unserem Übernachtungsziel in dem kleinen Ort Azilane.

Mit den Strahlen der hinter den Bergen versinkenden Sonne erreichen wir die Herberge „Gite Azilane“, wo uns Gastgeber Ibrahim herzlich mit dem in Marokko obligatorischen Pfefferminztee empfängt. In unser Gaststube bollert schon ein Holzofen, und Koch Ahmed steht in der Küche und bereitet uns ein herrliches Couscous mit Gemüse und Huhn. Vater Abdul ruht sich derweil vom Tag aus und schaut, Satelliten-Fernsehen sei Dank, auf einem kolumbianischen Sender eine englischsprachige Action-Serie mit arabischen Untertiteln. Die Nacht fällt schnell über den Talassemtane, und mit ihr beginnt ein kosmisches Ballett der Extraklasse. Mit fortschreitender Stunde erstrahlt der Himmel vom Glanz unzähliger Sterne, die Milchstraße direkt über meinem Kopf. Ein Kauz ruft immer wieder, mitunter gackern Hühner, bellen Hunde, ansonsten nichts als Stille und Seelenfrieden.

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Ein ganz besonderes „Souvenir“

Talassemtane
Der Anbau und die Produktion von Marihuana ist im Talassemtane ein für die Einheimischen einträgliches Geschäft Foto: Getty Images

Am nächsten Morgen beginnt dann, wenn man so will, die eigentliche Wanderung. Unterwegs auf schmalen Ziegenpfaden statt der Straße, durchschreiten wir nun das Tal rund um Azilane, steigen langsam durch die auch hier tiefgrüne Landschaft wieder ab. Koch Ahmed begleitet uns als Guide, da auch Yassine diese Strecke noch nie gegangen ist. Mit dabei ist zudem ein Hund, der einfach Lust auf Gassi de luxe zu haben scheint, und uns den gesamten Tag lang folgt. Die Herzen schlagen hoch, die Landschaft einmalig schön. Talassemtane, ein wahres Wander-Gemälde. Bei einer steinernen Brücke über einen Fluss dann eine längere Badepause, Wasserflaschen auffüllen, und tatsächlich in den Hügeln eine Bande wilder Berberaffen.

Fast immer, wenn wir mal wieder eine Ansammlung von Häusern passieren, hört man bereits aus der Ferne ein zunächst eigenartiges Geräusch. Ein rhythmisches Stampfen, nicht unähnlich dem einer Dampfmaschine. Da Sie in Marokko ohnehin zwangsläufig damit in Berührung kommen werden, kann ich Ihnen ja sagen, dass es sich dabei um Marihuana-Verarbeitungs-„Werkstätten“ handelt. Mitunter wird man sie auch stolz einladen, sich doch einmal eine solche „Manufaktur“ genauer anzuschauen und ein „Souvenir“ mitzunehmen. Der Anbau und die Produktion des Rauschgifts machen im Talassemtane, rund um Chefchaouen und überhaupt in ganz Marokko einen signifikanten Wirtschaftszweig aus.

Der Tourist als Attraktion

Talassemtane
Die Gegend um Akchour ist die bei Touristen beliebteste Region des Talassemtane-Nationalpark Foto: Getty Images

Wir steigen weiter durch die weiten Täler hinab, auf Wegen, die teilweise nicht einmal mannsbreit sind. Direkt daneben geht es steil und zum Teil auch vertikal in die Tiefe. Das schränkt leider die Möglichkeit, entspannt über die Natur des Talassemtane zu staunen, doch ziemlich ein. So hebt man immer wieder kurz den Blick und muss sich jedes Mal aufs neue davon überzeugen, tatsächlich hier zu sein, so diametral anders ist dieses Erlebnis im Vergleich zum sogenannten Alltag. Die Wiesen übersät mit bunten, duftenden Blumenteppichen, als wir in die Nähe des Ortes Wuslaf kommen. Die Felsformationen nun besonders dramatisch, hier könnte man auch genauso gut im Grand Canyon sein.

Und dann einer dieser Momente, von denen man genau weiß, dass man sie sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. Als wir in Wuslaf einlaufen, öffnen sich mehrere Türen nur einen Spalt breit, schauen Einheimische neugierig und ungläubig auf uns. Hier sind wir als Touristen tatsächlich eine Attraktion, während wir uns selbst vorkommen wie in einem Märchendorf. Hier und da ein schüchternes Lächeln. Eine Einheimische schenkt uns ein lehmofenwarmes Brot, das kleine finanzielle Dankeschön müssen wir ihr förmlich aufdrängen. Und als wären wir quasi Ehrengäste, sperrt sogar der Besitzer des einzigen Ladens von Wuslaf mürrisch kurz auf, damit wir Joghurt-Drinks und ein paar Snacks für den weiteren Weg erwerben können. Ein Umstand, von dem nach ein paar Minuten das ganze Dorf zu wissen scheint, und so werden die Fremden eben noch ein wenig beim Einkaufen bestaunt. Fotografiert werden möchte aber niemand, ein kurzes, freundliches „Salām“, dann trennen sich die beiden Welten wieder.

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Wie bei „Indiana Jones“

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Diese riesige steinerne Arche ist eine der bekanntesten Naturschönheiten im Talassemtane Foto: Getty Images

Von hier aus begleitet uns für die letzten Stunden dann wiederum ein Einheimischer auf unserem Weg zu einer der größten Attraktionen des Talassemtane. Einer gewaltigen steinernen Arche, die bekannt ist als „Brücke Gottes“. Sie liegt in einem Stück des Nationalparks namens Akchour, und hier ist es dann schlagartig auch mit der wunderbaren Einsamkeit vorbei. Denn Akchour erreicht man von Chefchaouen aus auch problemlos mit dem Auto oder Sammeltaxi, und ob seiner Schönheit ist der Ort stets gut besucht. Ein kristallblauer Fluss mäandert durch einen schroffen Canyon, an dessen Ende eben die Gottes-Brücke liegt. Sprichwörtlich über Stock und nassen Stein bahnt man sich den Weg dorthin – und muss zum Teil auch haarsträubend wackelige Holzbrücken überqueren, die als glaubwürdiges Requisit in einem „Indiana Jones“-Film auftauchen könnten.

Der Anblick der mächtigen Felsformation ist dann aber wirklich ehrfurchtgebietend und jeden Schritt wert. Überall entlang des Weges finden sich am Ufer des Flusses kleine Pop-up-Restaurants und -Bars, in denen man frisch und sehr günstig essen kann. Das Wasser lädt wiederum zum Baden ein, die müden Füße ein wenig einweichen. Der Abschied vom Talassemtane, dieser vergessenen Welt, fällt dann schwer. Es ist einer dieser Orte, an dem man ein kleines Stück seines Herzens zurücklässt. In der Hoffnung, es irgendwann einmal, bei einer möglichen Rückkehr an einem jetzt noch fernen Tag, wiederzufinden. Was bis dahin bleibt, sind die unvergesslichen Erinnerungen.

Themen Afrika Marokko
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