14. April 2019, 15:06 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Störche wie hier: Jedes Jahr im Frühling wird das kleine Dorf Rühstädt Schauplatz einer ganz besonderen Reise. Und damit die Tiere immer wieder kommen, helfen die Einheimischen kräftig nach.
Der Himmel über Brandenburg ist absolut wolkenlos und blau, schöner könnte ein Tag hier im Unesco-Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“ kaum sein. Ein bisschen fühlt es sich an, als hätte man mit dem kleinen Dorf Rühstädt auch eine andere Welt betreten, wo die Zeit langsamer zu laufen scheint, und das nur etwa eine Fahrstunde entfernt von der ewig brummenden Millionen-Metropole Berlin. Das einzige Geräusch, das in der Stille des trägen warmen Nachmittags zu hören ist, ist ein konstantes Klappern: Das Klappern der Störche, die wie jedes Jahr nach Rühstädt zurückgekehrt sind.
In keinem anderen Dorf Deutschlands gibt es mehr der majestätischen Vögel, fast auf jedem Hausdach finden sich eines oder gar mehrere der beeindruckend großen Nester, in denen die Tiere alle Jahre wieder ihre Jungen aufziehen – und damit Rühstädt zu einem absoluten Besuchermagneten in der Region gemacht haben. Ein spektakulärer Anblick, die Gleitflüge der Störche zu beobachten, oder, wie sie auf der Suche nach Nahrung über die Felder staken. Über 30 Paare kommen jedes Jahr, 1996 waren es gar 44 – Rühstädt wurde daher laut dem „NABU“ im selben Jahr von der Stiftung Euronatur als „Europäisches Storchendorf“ gewürdigt.
10.000 Kilometer Reise
So sehr lieben die Einheimischen die schwarz-weißen Vögel, dass sie sogar immer wieder deren Nester instand setzen, so zum Beispiel der „Storchenclub Rühstädt“. Nadine Bauer vom NABU-Besucherzentrum sagt auf TRAVELBOOK-Anfrage: „Die Tiere bräuchten für den Bau eines neuen Nestes eine ganze Saison – ein geübter Helfer kann innerhalb von zwei Stunden ein neues auf einem Dach installieren.“ Uwe Weltin, Mitglied im Storchenclub, ergänzt: „Jährlich im März erfolgt eine Nesteraktion mittels Hebebühne, es werden Nester komplett erneuert, zu hohe Nester abgetragen, und es ist meist eine Reinigung nötig.“
Auf den Besucher wirkt Rühstädt, besonders an einem schönen Tag, unvergleichlich romantisch, denn auch das Dörfchen selbst ist ein echter Schatz: Ein ruhiges Sträßchen windet sich zwischen roten Backsteinhäusern, die gekrönt werden von den Nestern der Störche, im Zentrum des Ortes steht eine schöne alte Kirche, die bereits 1251 erbaut wurde. Busse fahren hier nur alle paar Stunden einmal wie aus Versehen vorbei.
Jedes Jahr, wenn die Vögel aus ihren Winterquartieren aus Afrika „heimkehren“, haben sie eine bis zu 10.000 Kilometer lange Reise hinter sich – auf den oft überfluteten Auen, gespeist von der hier mächtig dahin fließenden Elbe, finden sie dann genug Nahrung für sich und ihren Nachwuchs. Auch sonst ist die Region ein wahres Paradies für Tiere, nicht selten sieht man bei einem Spaziergang oder einer Tour mit dem Fahrrad – Rühstädt liegt auf dem beliebten Elberadweg – ganze Rudel von Rehen, Hasen, Gänse und Kraniche, sowie natürlich ab April auch immer mehr Störche.
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Storchenbeobachtung per Live-Cam
Schon aus der Distanz sind die Tiere beeindruckend, doch wer sie noch „näher“ beobachten möchte, kann in dem vom Storchenclub geführten Storchenhaus per Live-Cam dabei zugucken, wie die Vögel ihre Jungen aufziehen. Jedes Jahr am letzten Samstag im Juli findet zudem in Rühstädt das Storchenfest statt, bei dem die Tiere gefeiert werden – bereits ab August beginnen sie dann schon wieder mit ihrem Umzug in die wärmeren Gefilde Afrikas. Weltin: „Man sagt, wenn ein Drittel bis ein Viertel der Jungstörche nach drei Jahren zurückkehren, ist die Population noch gesichert.“ 2019 habe man bislang 23 Paare gezählt. Wie viele „Rühstädter“ Störche es weltweit gebe, sei aber nicht zu sagen.
„Die meisten Störche kommen immer wieder zu uns, wohnen und brüten sogar in den selben Nestern“, so Bauer. Im Übrigen kenne man alle Schützlinge genau, denn jedes Jahr werden die Störche „beringt“, erhalten also mit einem Ring um den Fuß eine Identität und oft auch einen Namen – daran lässt sich dann später auch ihr Alter bestimmen. „Durch die Pflege der Nester haben wir hier deutlich weniger Verluste als in anderen Storchendörfern – da steckt viel Einsatz und Herz dahinter.“ Aktuell überlege man, für die bald neu schlüpfenden Störche Namenspatenschaften zu vergeben.
Insgesamt wurden von EuroNatur bereits 15 Störchendörfer europaweit ausgezeichnet, darunter in Bulgarien, Polen und Mazedonien.