15. November 2021, 11:15 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Kreuzfahrten boomen – obwohl die Ozeanriesen ständig in der Kritik stehen, unter anderem wegen der vermeintlich schlechten Arbeitsbedingungen an Bord. Doch was berichten die Menschen, die auf einem solchen Giganten arbeiten? Die neue Serie „Hinter den Kulissen der Traumschiffe“ gibt mit exklusiven Interviews Einblicke, die den Gästen sonst verwehrt bleiben. Den Anfang macht ein Bordfotograf, der drei Jahre lang für eine deutsche Kreuzfahrt-Reederei gearbeitet hat. Sein Fazit: „Nie wieder! Für kein Geld der Welt.“
Was früher ein Luxus-Privileg war, ist heute auf einen großen Markt ausgerichtet. Jedes Jahr stechen mehr Touristen auf den Giganten der Meere in See. Doch die Kreuzfahrtschiffe geraten immer wieder in der Kritik, etwa wegen ihrer Öko-Bilanz und der angeblich schlechten Arbeitsbedingungen an Bord. Kreuzfahrturlauber hingegen blenden das aus. Schließlich lassen sich auf einem schwimmenden Hotel viele Orte in kurzer Zeit entdecken. Dazu locken permanente Unterhaltung und Verköstigung an Bord – das Ganze vor der Kulisse der grenzenlosen Weite des Meeres.
Doch während eine Kreuzfahrt den Passagieren Entspannung verspricht, arbeiten an Bord und unter Deck Hunderte bis Tausende Menschen. Sie sorgen dafür, dass keine Urlaubswünsche offen bleiben. Die Arbeitsbedingungen auf einem Kreuzfahrtschiff werden immer wieder angeprangert: So ist die Rede von Lohndumping, zu langen Schichten, Schwerstarbeit, zu niedrigsten Gehältern arbeitenden Menschen aus dem asiatischen Raum, winzigen Gemeinschaftskabinen und monotonen Tagen unter Deck ohne einen einzigen freien Tag.
TRAVELBOOK hat hinter die Kulissen oder – besser gesagt – auf und unter Deck der Kreuzfahrtschiffe geschaut und gibt den Menschen hinter dem Beruf ein Gesicht. Persönliche Erfahrungsberichte zeichnen jeweils unterschiedliche Stimmungsbilder. Zum Auftakt unserer Serie „Hinter den Kulissen der Traumschiffe“ haben wir mit einem ehemaligen Bordfotografen gesprochen, der von 2009 bis 2012 auf einem der großen schwimmenden Hotels einer deutschen Reederei gearbeitet hat. Da wir ihm Anonymität zugesagt haben, nennen wir ihn Tobias.
Teil 1 „Hinter den Kulissen der Traumschiffe“: Ein Bordfotograf packt aus
Mit falschen Hoffnungen an Bord gelockt
Tobias hat Medienmanagement und Bildjournalismus studiert. Kurz vor Ende des Studiums hat er von einer Kommilitonin erfahren, dass ein großer deutscher Kreuzfahrt-Anbieter einen Bordfotografen sucht. Neugierig geworden, macht er sich schlau: „Es klang verlockend. Sie versprachen mir, die Welt entdecken und in Bildern festhalten zu können. Dazu wäre auch noch das Essen umsonst. Ich dachte mir, geil, wo kann ich unterschreiben?“
Während des Assessment-Centers im Rahmen des Bewerbungsverfahrens schoss Tobias dokumentarische Bilder in einer Kultkneipe. Das sei, was die Reederei suchen würde. Kurz darauf folgte das Sicherheitstraining und dann ging es auch schon los: von Kreta nach Dubai. Tobias erinnert sich: „Vom Flieger ging es direkt an Bord. Ich hatte 30 Minuten auf der Mini-Gemeinschaftskabine, danach musste ich auf dem Pooldeck die Leute knipsen. Von Expeditionen und Abenteuern im Orient war die Rede gewesen, nicht davon, Menschen beim Essen zu fotografieren.“
Tobias spricht in diesem Zusammenhang etwas übertrieben davon, „shanghait“ worden zu sein. Das Wort „Shanghaien“ bezeichnet das übergriffige Rekrutieren von Seeleuten, indem diese unter Alkohol gesetzt und vernebelt wurden. Das ist bei ihm natürlich nicht der Fall, aber er fühlt sich getäuscht, und man habe ihm verschwiegen, dass nicht Bilder der Welt gefragt seien, sondern Bilderwelten vom Schiff und seinen Passagieren.
Tobias prangert die Arbeitsbedingungen an
Zu Hochzeiten war Tobias sieben Monate ununterbrochen an Bord. Ohne einen einzigen freien Tag, aber immer mit zu vielen Arbeitsstunden. „Hirn aus und einfach machen“, nur so habe er die Arbeitsbedingungen an Bord „seiner Kreuzfahrtschiffe“ aushalten können. Einen Arbeitsalltag während eines Landtages skizziert Tobias wie folgt (ausgehend von beispielhaften Liegezeiten, die nach Hafen und Tour stark variieren):
Ein Landtag im Leben eines Bordfotografens
Um 06:00 Uhr klingelte der Wecker, eine Stunde, bevor im Hafen angelegt wurde. Von 07:00 Uhr bis 10:30 Uhr fotografierte Tobias die Passagiere am Gangway beim Verlassen des Schiffes. Das hätten die beim ersten Mal noch witzig gefunden – ab dem zweiten Mal seien einige sehr unfreundlich gewesen. In der Stunde von 10:30 Uhr bis 11:30 Uhr sichtete Tobias die Bilder: doppelte oder unbrauchbare sortierte er aus. Nachdem er die Speicherkarten mit circa 800 Fotos ins Labor gebracht hatte, aß er etwas, um dann selbst von Bord zu gehen. Die Häfen kannte er bald, kreuzte er etwa sechs Monate auf demselben Schiff, in derselben Region. Von 15:30 Uhr bis 23:30 Uhr arbeitete Tobias im Foto-Shop. Er bereitete den Shop und die Fotogalerie vor, indem er die gedruckten Fotos an die Wände pinnte, um sie anschließend zu verkaufen. Mit dem Boom der Selfies und immer besseren Handykameras gestaltete sich der Verkauf für Tobias jedoch zunehmend schwieriger.
Insgesamt hatte so ein „typischer“ Landtag für Tobias 12,5 Arbeitsstunden. Überstunden wären an der Tagesordnung gewesen – auch während eines Seetags.
Ein Seetag im Leben eines Bordfotografen
Ob All-inclusive-Buffet, Pool-Party oder Themen-Abend: Oft hätte er entgegen dem Willen der Passagiere auf den Auslöser gedrückt – und sich dabei hinter der Kamera versteckt, erzählt Tobias. Zu hoch sei der Quotendruck der Reederei gewesen. So habe er etwa während der Rettungsübung von 30 Minuten 400 Fotos schießen müssen. Dazu wären zahlreiche Nebenjobs gekommen: „Als Begrüßer vor dem Bordrestaurant habe ich 1000 Mal ‚Guten Abend‘ gesagt oder hoppelte als Weihnachtsmann, Osterhase und Club-Maskottchen über’s Deck“, erinnert er sich. Und daran, dass seine Uniform eigentlich immer zu groß war und eher grau als farbig, weil sie so oft gewaschen wurde.
Tobias sagt aber auch: „Andere Bereiche hatten es noch viel schwerer. Die Mitarbeiter aus der Wäscherei zum Beispiel haben quasi nie das Tageslicht gesehen. Ob wir in Dubai oder in New York waren, hat für die gar keinen Unterschied gemacht.
Die Arbeitsbedingungen auf einem Kreuzfahrtschiff fasst Tobias so zusammen: „Hart wie alter Schiffszwieback. Muss man für geboren sein – oder jung und naiv.“
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Miese Bezahlung und keine Privatsphäre
Tobias gibt an, dass sein Grundgehalt bei circa 700 bis 800 Euro netto gelegen habe. Einen „guten Bonus“ gab es, wenn er seine ständig steigende Quote erfüllte – doch das war für ihn vielfach nicht machbar. So habe er in guten Monaten etwa 1200 Euro netto verdient. Die Verpflegung und Unterkunft in der Kabine war inklusive, bis auf die Drinks in der Crewbar – was aber dennoch wenige davon abhielt zu trinken, als ob es kein Morgen gäbe. Viele hätten nicht nur hart gearbeitet, sondern auch exzessiv gefeiert. Tobias habe da nicht mitgespielt, meint aber: „Unter den Crew-Mitgliedern hatte fast jeder mit jedem Sex.“
Geschlafen wurde in einer 6-Quadratmeter-Kabine: zu zweit, fensterlos und unterhalb der Wasserlinie.
Tobias erinnert sich an sein einziges Trinkgeld: „Obwohl die Reederei überall angibt, dass die Trinkgelder für die Crew im Reisepreis inkludiert sind, haben wir nur einmal Trinkgeld bekommen. Eine Frechheit: 10 Cent für eine Woche und sechs Mitarbeiter – sonst gab es nie den versprochenen Zuschlag.“
„Ich wurde zum Menschenhasser!“
Tobias wird energischer: „Es gab Passagiere, die sich beklagt haben, dass es um 18:00 Uhr im Bordrestaurant irgendetwas nichts zu essen gab, obwohl sie gerade vom Landgang im indischen Mumbai zurückgekommen sind. Lkw sind von Rostock nach Istanbul gefahren, damit der Deutsche sein Radeberger auch außerhalb seines Landes trinken kann.“ Dazu kam die, seiner Meinung nach, nicht übersehbare Umweltverschmutzung.
Die Folge der Arbeit auf dem Kreuzfahrtschiff: „Ich bin zum Menschenhasser geworden.“ Nach drei Jahren eskalierte schließlich die Situation. „Als ich gesehen habe, wie ein Passagier junge, leicht bekleidete Mädchen an einem brasilianischen Strand fotografiert hat, hat sich mein ganzer Frust entladen und ich bin ausgetickt – verbal, nicht körperlich. Am nächsten Tag landete mein Flieger in Deutschland.“
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Warum hat Tobias trotzdem drei Jahre als Bordfotograf gearbeitet?
Gab es neben den Schatten- auch Sonnenseiten? Tobias erinnert sich an zahlreiche Momente, die er nie vergessen wird: „Wer kann schon sagen, dass er Rio vom Hubschrauber aus gesehen hat? Oder dass er an Bob Marleys Grab war? Dass er mit dem Wasserflugzeug über Dubai geflogen ist? Oder dass er mit dem Jeep durch den Oman geheizt ist?“
Es gab sie also schon, die Traum-Momente. Und die bei der Rekrutierung versprochenen Expeditionen und Abenteuer. „Nirgendwo sonst hätte ich die Möglichkeit gehabt, so viel von der Welt zu sehen. Daher habe ich vieles einfach weggeschoben“, so Tobias, der auch seine jetzige Freundin bei seiner Arbeit auf dem Schiff kennengelernt hat. Und trotzdem wiegen die Schattenseiten der Arbeitsbedingungen und negativer Erlebnisse so schwer, dass Tobias nie wieder an Bord eines Kreuzfahrtschiffs gehen möchte.
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