1. Februar 2022, 13:21 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Das Wetter oft grau, die Menschen mürrisch: Es gibt viele Deutsche, die davon träumen, ins Ausland auszuwandern oder es bereits getan haben. Umgekehrt leben aber auch in Deutschland viele Zugezogene, die ihrem Heimatland bewusst den Rücken gekehrt haben. Zum Beispiel der Liebe oder eines Jobs wegen – oder weil sie Deutschland einfach toll finden. In unserer neuen TRAVELBOOK-Serie berichten Menschen, die nach Deutschland ausgewandert sind, von ihren positiven und negativen Erfahrungen hier. Dieses Mal: Valerijs Zemisevs aus Lettland.
Im Jahr 2020 lebten laut Daten von Statista 36.730 Menschen aus Lettland in Deutschland – so viele wie in keinem anderen Mitgliedstaat der EU. Einer von ihnen: Valerijs Zemisevs. Seine Frau und er entschieden sich vor zwei Jahren, mit ihren beiden Kindern aus der lettischen Hauptstadt Riga nach Düsseldorf auszuwandern. Was Valerijs zu diesem Schritt bewogen hat, was er hier besonders mag und was weniger, und ob er sich vorstellen kann, dauerhaft in Deutschland zu bleiben, verrät der Auswanderer aus Lettland im Interview mit TRAVELBOOK.
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Auswanderer Valerijs aus Lettland – das Interview
TRAVELBOOK: Was hast du vor deiner Auswanderung in Lettland beruflich gemacht?
Valerijs Zemisevs: „Ich bin Jurist von Beruf, in Lettland habe ich mehr als 15 Jahre im Bankbereich gearbeitet. Ich habe auch etwa fünf Jahre als ‚Wochenend-Fotograf‘ gearbeitet.“
Und was machst du jetzt beruflich in Düsseldorf?
„In der Zeit vom Umzug im Februar 2020 bis Oktober 2021 habe ich Deutsch gelernt und mehrere Sprachkurse belegt. Seit November 2021 arbeite ich als Sachbearbeiter bei einer Personalvermittlungsfirma.“
War es dir wichtig, Deutsch zu lernen? Und fiel es dir leicht, diese komplett neue Sprache zu lernen?
„Als meine Frau und ich beschlossen haben, nach Deutschland zu ziehen, habe ich sofort angefangen, Deutsch zu lernen. Wenn ich in Deutschland leben möchte, muss ich aus meiner Sicht Deutsch können. Ich finde Deutsch nicht so schwer zu lernen, wie man sagt. Russisch – meine Muttersprache – ist viel schwieriger. Lettisch, meine ‘Berufssprache‘ in Lettland, ist auch nicht so einfach. Ich finde Deutsch sehr logisch, mathematisch und strukturiert. Nichts Unmögliches.“
Was waren deine Beweggründe, aus Lettland auszuwandern und warum hast du dich für Deutschland entschieden?
„Wir haben uns wegen der wirtschaftlichen und politischen Lage in Lettland entschieden, auszuwandern. Uns fehlten einfach die Perspektiven und wir hofften auf ein ehrenwertes Leben und eine aufregende Zukunft für unsere Kinder und uns. Warum Deutschland? Hier haben wir für uns drei Hauptkriterien identifiziert: Erstens ist die Wirtschaft stabil und besser als in Lettland. Zweitens: Deutschland liegt im Zentrum von Europa, das macht das Reisen einfacher. Und drittens: Das Klima hier ist besser als in Lettland. Deutschland entspricht diesen Kriterien besser als andere Länder.“
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Was gefällt dir in Deutschland besonders gut, was ist anders oder besser als in deinem Heimatland?
„Das Sicherheitsgefühl. Deutschland hilft Menschen, die Hilfe brauchen. In Lettland ist es leider ganz anders. Mir gefällt auch, dass die Menschen hier aktiver für ihre Rechte eintreten und nicht nur darüber reden.“
Und was gefällt dir weniger gut, was ist besser in deinem Heimatland?
„Das Thema Rauchen. In Lettland darf man nicht rauchen, wenn man andere stört. In Deutschland ist es fast allen Rauchern egal, ob sie jemandem stören. Sie denken nicht einmal daran, dass sie Nichtraucher vergiften, und rauchen sogar in Gegenwart von Kindern.“
Wie empfindest du die Mentalität der Deutschen?
„Im Großen und Ganzen: Höflichkeit, der man nicht immer vertrauen kann. Die Menschen hier versuchen, höflich zu sein. Oft scheint dies jedoch nur eine Formsache zu sein.“
Was ist mit der deutschen Küche, magst du das Essen hier? Was besonders, und was eher weniger?
„Darf ich diese Frage überspringen?“
Was war dein bislang schönstes Erlebnis hier, was dir immer in Erinnerung bleiben wird?
„Blumen! Nämlich, dass ich sie jeden Freitag auf dem Markt kaufen und meiner Frau schenken kann. Sie sind hier das ganze Jahr über erhältlich. Tulpen, Gladiolen, Amaryllis… Wir haben jetzt immer Blumen zu Hause, das macht meine Frau ein bisschen glücklicher. Mein schönstes Erlebnis hier.“
Gab es eine Situation, die dich besonders überrascht hat und in der du gemerkt hast, dass die Menschen in Deutschland einfach anders sind als in deinem Heimatland?
„Natürlich! Ich war sehr überrascht, als ich an einem der ersten Tage meines Aufenthaltes in Deutschland zur Bank ging, um ein Konto zu eröffnen. Ich konnte mir nicht vorstellen, die Frage ‘Wann könnten Sie kommen‘ zu hören. Ich war ja schon in der Bank! Deutschland ist ein ‘Termin-Land‘. Hier passiert fast nichts ohne Termine. In Lettland zum Beispiel würde das Konto SOFORT eröffnet. Right here, right now!“
Kannst du die vorstellen, dauerhaft in Deutschland zu bleiben?
„Ich sage mal ‘Jein‘. Jetzt sind wir hier, fangen ein neues Leben an und denken an die Bildung unserer Kinder. Was wir nach zehn Jahren machen, wenn die Kinder groß sind, weiß ich noch nicht.“