9. April 2020, 14:53 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Im Interview mit TRAVELBOOK spricht Marek Andryszak, der seit 2017 Chef von Tui Deutschland ist, darüber, wie die Coronakrise ihn völlig unvorbereitet getroffen hat, die Auswirkungen auf seinen Konzern und wie es danach weitergehen könnte. Außerdem gibt er eine Einschätzung, wann wir wieder verreisen können und wie sich die Art zu Reisen verändern könnte.
Wenn die Corona-Pandemie nicht wäre, dann säße Marek Andryszak, wie er TRAVELBOOK sagt, jetzt im Urlaub an der Nordsee und würde das schöne Wetter genießen. Wir erreichen den Chef von Tui Deutschland stattdessen beim Spaziergang mit seinen Kindern, ansonsten arbeitet auch er, wie viele andere aktuell, zurzeit im Homeoffice in Hannover.
TRAVEBOOK: Herr Andryszak, bei Tui gab es zuletzt einige Probleme. Erst die gegroundeten 737 Max, jetzt die Corona-Krise – gibt es den Airline-Bereich von Tui im nächsten Jahr noch?
Marek Andryszak: „Ja, den wird es definitiv weiter geben. Tui gibt es in Großbritannien, Deutschland, Skandinavien etc. und natürlich sind diese Bereiche jeweils auf den lokalen Markt ausgerichtet. Anders als große Linienfluggesellschaften sind wir eher touristisch unterwegs, im Mittelmeer insbesondere. Wir erwarten natürlich, dass diesen Sommer das Volumen geringer sein wird als im letzten Jahr, weil sich das erst nach und nach im Laufe der Sommermonate wieder aufbauen wird, aber mittelfristig glauben wir nicht, dass das Volumen deutlich unterhalb des Normalen liegen wird.“
Mittelfristig heißt, dass sich z. B. im Sommer 2021 wieder alles normalisiert hat?
„Hier wird sicher deutlich weniger der Virus-Einfluss als vielmehr der wirtschaftliche Gesamtrahmen ausschlaggebend sein. Ich bin von Beruf aus Optimist: Daher gehe ich davon aus, dass die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise, auch durch das durchaus schnelle und entschlossene Handeln der Bundesregierung, abgefedert werden können. Meine Annahme ist, dass der Sommer 2021 nicht deutlich anders sein wird als der Sommer 2019.“
Aktuell leiden auch viele Reisebüros unter der Coronakrise. Müssen sich Mitarbeiter dort Sorgen machen?
„Ich fürchte, dass der kurzfristige wirtschaftliche Schaden in Summe so groß sein wird, dass vielleicht einige Reisebüros schließen müssen. Die Reisebüros hatten schon in den letzten Jahren immer größere Herausforderungen aufgrund des gestiegenen Online-Kaufverhaltens der Kunden. Aber es gibt auch problemorientierte Lösungen für die Reisebüros, zum Beispiel Voucher. Da bei einem Voucher auch eine Provision an das Reisebüro gezahlt wird, bleiben die Einnahmen erhalten. So können die Reisebüros über die schwierige Phase hinwegkommen und dann hoffentlich im Sommer wieder verstärkte Buchungen verzeichnen.“
Die Reisebranche setzt zwar auf Voucher, aber viele Kunden haben Bedenken gegenüber diesen Reisegutscheinen. Können Sie das nachvollziehen?
„Absolut. Ich bin mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen (aus Polen, Anmerk. d. Red.), in einem 15 Jahre alten Skoda, und ich habe die ersten sechs Wochen mit meiner Familie in einer Turnhalle gelebt. Was ich sagen möchte: Wir mussten immer sparen. Insofern kann ich es natürlich nachvollziehen, dass einige der Kunden, die Reisen gebucht hatten sagen: ‚Hey, da hätte ich mein Geld doch lieber bei mir als bei einem Reiseveranstalter.‘ Das ist verständlich. Hinzu kommt, dass einige Kunden eventuell in Kurzarbeit sind oder anderweitig von der Coronakrise beeinträchtigt. Auch das verstehe ich. Ich halte die Gutscheinlösung für einen Kompromiss. Denn hätte die Reise stattgefunden, wären die 1000 Euro für eine Reise ja auch ausgegeben gewesen.“
Ja, aber viele Kunden haben die Sorge, dass sie für den gleichen Wert im nächsten Jahr nicht die gleiche Reise bekommen. Denken Sie, dass Reisen in Zukunft deutlich teurer werden?
„Ich hätte nichts lieber, als dass Reisen wieder teurer werden (lacht)! Tatsächlich wird es genau umgekehrt sein. Momentan haben die Hotels keine Kunden, aber hohe Fixkosten. Das wird dazu führen, dass viele Hotels in den nächsten Monaten ihre Preise herabsetzen werden, damit potenzielle Kunden zu ihnen und nicht ins Nachbarhotel gehen. Das Gleiche gilt für die Fluglinien, die aktuell mit einer unterdurchschnittlichen Auslastung auf dem Markt stehen. Und auch die werden alles tun, damit ihr Flug gebucht wird und nicht bei der Konkurrenz. Demzufolge wird es so sein, dass die Preise eher nachgeben werden. Was für den Tourismussektor alles andere als hervorragend ist.“
… aber für den Kunden schon.
„Das stimmt. Wir wollen übrigens den Kunden auch zusätzlich zu den Vouchern noch eine weitere Vergütung geben, nämlich einen Bonus in Höhe X, damit man auch etwas davon hat, dass man uns sein Geld beim Veranstalter ‚gelassen‘ hat. Und ich möchte noch einmal sagen: Kunden, die umbuchen oder umgebucht werden, werden ganz sicher nicht schlechter gestellt werden.“
Wer umbucht, oder überhaupt darüber nachdenkt, fragt sich aktuell: Wie kann eine Rückkehr der Reisebranche überhaupt aussehen?
„Tatsächlich bereitet man sich in vielen Urlaubsregionen jetzt schon genau darauf vor. Einige Hoteliers fragen sich zum Beispiel, ob man statt auf Buffets zunächst auf ‚A-la-Carte‘ umsteigt. Bei den Fluglinien, vor allem am Anfang, wenn es schwierig sein wird, die Flugzeuge komplett auszulasten, ist die Frage, ob es nicht Sinn macht, erstmal nur die Fenster- und Gangplätze zu besetzen. Sicherlich wird es auch erstmal Einschränkungen in der Frequenz geben. So fliegt eine Maschine von Hannover vielleicht nur noch zwei- anstatt viermal die Woche nach Griechenland. Diese Maßnahmen sollen einerseits die Kunden schützen, aber andererseits auch helfen, das Geschäft wieder aufzubauen. Wir werden schon ab der nächsten Woche verstärkt mit den Regierungen im Mittelmeerraum sprechen, wie die Wiederaufnahme des Tourismus aussehen kann – und unter welchen Prämissen.“
Bis jetzt sind ja nur Reisen bis Ende April abgesagt, bei Tui kann man schon wieder Reisen ab Mai buchen. Glauben Sie wirklich, dass das so schnell wieder möglich sein wird?
„Schwer zu sagen, bis zum 20. April sind wir erstmal angehalten, zu Hause zu bleiben und mit nicht mehr als einer Person das Haus zu verlassen. Ob das ab dem 21. April schon anders sein wird oder erst ab dem 15. Mai, das ist für mich schwer zu sagen. Wir brauchen die Informationen der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes, aber wir brauchen auch die Informationen der anderen Länder, denn es hilft uns nichts, wenn Deutschland sagt, ihr könnt reisen, aber Spanien lässt niemanden einreisen.“
Viele sind auch verunsichert, was den späteren Sommer betrifft, also August/September, werden wir da wieder reisen können?
„Definitiv. Ich gehe fest davon aus, dass wir in diesem Sommer, vor allem im Hochsommer, wieder Kunden an verschiedene Ziele bringen werden. Was die Zeit davor betrifft, ist es wahrscheinlich, dass wir auch Teile unseres Programms modifizieren werden. Wir versuchen, sehr flexibel vorzugehen, das heißt, Informationen zu sammeln, zu analysieren und dann zu entscheiden, was wir tun. Wenn wir zum Beispiel erfahren, Spanien macht am 15. Juni wieder auf, Portugal am 20. Juni und die Kanaren, Tunesien, Ägypten schon früher, dann wissen wir, sofern Deutschland wieder ‚geöffnet‘ ist, dass wir dort hinfliegen könnten. Dann schauen wir, wie viele Kunden Reisen dorthin gebucht haben, wie weit die von diesen Daten entfernt sind und wie realistisch es ist, dass diese Reisen klappen.“
Welche langfristigen Auswirkungen wird es auf das Reisen geben?
„Jede Krise, die wir bisher durchgestanden haben, und da gab es durchaus einige, hat uns immer wieder gezeigt, dass das Gesamtkonzept des Reisens von Bestand ist. Zwar buchen heute mehr Kunden online und es sind auch mehr Reisen für Erwachsene gefragt, aber das Grundprodukt, das wir vertreiben, ist sehr stabil geblieben. Insgesamt gilt: Reisen ans Meer, die Berge oder Kreuzfahrten werden immer gefragt bleiben. Was sicherlich einen Einfluss haben könnte auf das langfristige Reisen, sind wirtschaftliche Nachbelastungen. Das wird sich aber nach zwei bis drei Jahren auswachsen, ggf. sogar deutlich früher.“
Hat die Branche angemessen auf die Coronakrise reagiert oder hätte man sich anders vorbereiten können oder müssen?
„Da sprechen Sie etwas an, was mich sehr beschäftigt. Ich gebe zu: Als wir an jenem Samstag alle Reisen nach Spanien stoppen mussten, war das für mich noch an dem Donnerstag davor unvorstellbar. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass Spanien oder die Türkei deutsche Touristen nicht mehr einreisen lassen. Ich habe mir es einfach nicht vorstellen können. Insofern: Wenn Sie mich fragen, ob die deutsche Reiseindustrie angemessen reagiert hat, sage ich: ja. Wenn Sie mich fragen: Haben Manager wie unter anderem ich das vorher richtig geahnt, sage ich: nein. Ich weiß nicht wie es bei anderen war, aber ich kann es für mich sagen.
Ein Kollege von mir hat mal gesagt: Man hat ein Worst-Case-Szenario, was für 48 Stunden das ’normale‘ Szenario ist. Dann kommt ein neues Worst-Case-Szenario, was für 48 Stunden wieder das ’normale‘ Szenario ist, und so habe auch mich selbst beobachtet. Insofern denke ich, unsere Reaktion war die richtige und auch schnell genug. Hätten wir vorher etwas ahnen können – wahrscheinlich hätten wir es müssen und sollen –, frage ich mich, hätten wir überhaupt die richtige Handhabe gehabt, um dieser Vorahnung auch richtig zu begegnen? Denn am Ende des Tages gilt: Wenn wir von unserer Seite aus stornieren, sind wir schadensersatzpflichtig. Das ist rechtlich schwierig.“
Das ist also die schlimmste Krise, die Sie je mitgemacht haben?
„Definitiv, mit Abstand.“
Haben Sie denn selbst in diesem Jahr noch Urlaub geplant, und wenn ja, wo soll es hingehen?
„Im Sommer haben wir über Tui ein Ferienhaus an der polnischen Ostsee gebucht, wo wir mit den Kindern hinfahren. Alles andere wollte ich spontan buchen, weil das mit der Urlaubsplanung bei mir ein bisschen schwierig ist. Das wird jetzt aber definitiv spontan gebucht. Wo es dann hingeht, wissen wir noch nicht.“