23. Mai 2022, 14:24 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Streiks, Personalmangel, Unwetter: Abgesagte Flüge wirbeln immer wieder die Reisepläne vieler Urlauber durcheinander. Vor allem kurzfristige Annullierungen, nicht zufriedenstellende Alternativen und unzureichende Informationen sind für Betroffene ärgerlich. Welche Rechte Kunden haben – TRAVELBOOK hat bei Reiserechtsexperten und Fluggesellschaften nachgefragt.
Viele Flüge scheinen derzeit nicht wie geplant stattzufinden und Airlines annullieren häufiger auch kurzfristig. Gutscheine, automatische Umbuchungen, Erstattungen – oft sind Verbraucher verunsichert, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Annullierungen hinnehmen müssen. Oder Änderungen der Flugzeiten beziehungsweise gar des Reisetages. Dabei wissen sie mitunter nicht, welche Rechte und sogar Entschädigungen ihnen bei annullierten Flügen zustehen – und lassen sich so eventuell sogar mehrere Hunderte Euro entgehen. TRAVELBOOK hat mit Fluggesellschaften und Reiserechtsexperten gesprochen.
Übersicht
Welche Rechte haben Passagiere, wenn ihr Flug gestrichen wurde?
Sollte ein Flug seitens einer Airline gestrichen worden sein, haben betroffene Passagiere wahlweise einen Anspruch auf Erstattung der gezahlten Ticketkosten oder aber auf Ersatzbeförderung, die unter vergleichbaren Reisebedingungen stattzufinden hat, erklärt Claudia Brosche vom Fluggastrechte-Portal Flightright auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Florian Gränzdörffer von Eurowings ergänzt: „Jede Flugannullierung ist mit Fluggastrechten verbunden. Einige dieser Rechte sind vollkommen unabhängig vom Grund der Flugstreichung, wie beispielsweise das Recht auf Erstattung des Flugpreises oder alternativ einer Umbuchung.“
Anspruch auf Erstattung / Entschädigung
„Ist der Flug für den Fluggast nach Annullierung durch die Fluggesellschaft nutzlos geworden, kann der Fluggast die vollständige Erstattung des Tickets und zusätzlich eine Entschädigung in Höhe von bis zu 600 EUR verlangen“, so Reiserechtsexperte Jan Bartholl. Das Recht auf vollständige Erstattung des Tickets bestehe immer und zudem uneingeschränkt. Das Recht auf Entschädigung bestehe hingegen, wenn die Fluggesellschaft den Flug zwei Wochen vor Abflug oder kurzfristiger annulliert habe.
„Für Flüge der Kurzstrecke (bis 1500 km) erhält der Fluggast eine Entschädigung i.H.v. 250,00 Euro pro Person unabhängig vom Ticketpreis. Das bedeutet, dass auch ein Fluggast, der ein 10-Euro-Ticket bei Ryanair bucht, einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung i.H.v. 250,00 Euro hat, wenn Ryanair den Flug annulliert. Für Mittelstreckenflüge zwischen 1500 bis 3500 km sieht das Gesetz eine Entschädigung i.H.v. 400,00 Euro pro Person und für Langstreckenflüge i.H.v. 600,00 Euro pro Person vor“, Bartholl weiter.
Allerdings sei zu beachten, dass sich die Fluggesellschaft möglicherweise vom Entschädigungsanspruch befreien kann. Dafür müsse ein sogenannter außergewöhnlicher Umstand vorliegen und die Airline alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben. Dazu Flightright:„Außergewöhnliche Umstände sind solche, die von Außen auf die Airline wirken und nicht in deren Verantwortung liegen, z.B. Streiks der Flugsicherung oder des Flughafenpersonals, Unwetter oder Vogelschlag.“
Laut Flightright sei es zudem wichtig zu wissen, „dass man in Deutschland drei Jahre Zeit hat, um für eine Flugverspätung eine Entschädigung zu fordern – vielleicht gibt es da noch ein Problem aus dem letzten Urlaub vor Corona, das man noch einmal zur Prüfung geben kann.“
Anspruch auf Ersatzflug
Annulliert die Fluggesellschaft den Flug, so hat der Fluggast Recht auf eine anderweitige Beförderung (= Ersatzflug). Dazu erklärt Rechtsanwalt Jan Bartholl: „Die Fluggesellschaft hat den Fluggast demnach auf verfügbare Ersatzflüge kostenfrei (!) umzubuchen. Häufig kommen Fluggesellschaften diesem Anspruch nicht nach. Leistet die Fluggesellschaft dem Fluggast keinen kostenfreien Ersatzflug, kann der Fluggast in Eigenregie einen Ersatzflug buchen und die vollständigen Ticketkosten für den Ersatzflug von der Fluggesellschaft, die den ursprünglichen Flug annulliert hat, verlangen.“
Bucht ein Passagier einen Ersatzflug in Eigenregie, da die Fluggesellschaft nicht oder nur unzureichend reagiert, so hat Jan Bartholl folgenden Praxistipp: „Der Fluggast sollte sämtliche Belege über Kosten, Aufwendungen und Zahlungen aufbewahren, um der Fluggesellschaft gegenüber die Aufwendungen zu dokumentieren.“
Auch interessant: Gericht entscheidet: Darauf müssen Airlines künftig bei Flugstornierungen achten!
Anspruch auf Entschädigung bei Verspätungen
Passagieren steht laut der EU-Fluggastrechteverordnung eine Entschädigung zu, wenn sich ihr Flug mehr als drei Stunden verspätet und keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen.
Handelt es sich um eine Pauschalreise?
Bei einer Pauschalreise ist der Veranstalter in der Pflicht, die Rechte sind hier umfassender. Bei Flugverspätungen kann unter Umständen eine Reise schon mal deutlich verkürzt werden. Möglich ist dann eine nachträgliche Minderung des Reisepreises. Fällt eine Pauschalreise wegen eines ausgefallenen Fluges kurzfristig ins Wasser, können Urlauber zudem Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude fordern – wenn keine Alternative gefunden werden kann.
Experten erklären Flug verspätet oder ausgefallen: Kennen Sie Ihre Rechte?
Flugausfälle Streik am Flughafen BER und Hamburg am 24. April – Infos für Reisende
Nachgefragt In welchen Fällen man für einen verpassten Anschlussflug Entschädigung bekommt
Gibt es momentan mehr annullierte Flüge als vor der Corona-Pandemie?
Auf Nachfrage von TRAVELBOOK bei Eurowings, ob es derzeit mehr Annullierungen von Flügen gäbe, erklärt Florian Gränzdörffer von Eurowings: „In den ersten Monaten des Jahres 2022 (Q1) haben wir aufgrund der starken COVID-Fallzahlen in Europa pandemiebedingt stärker Flüge streichen müssen. Aufgrund sinkender Fallzahlen und zunehmenden Lockerungen […] hat sich das Bild aber mit Beginn des Sommerflugplans 2022 stark gewandelt. Wir bieten unseren Gästen ein stabiles Flugangebot auf nahezu vor-Pandemie-Niveau ohne nennenswerte Anzahl an Flugstreichungen.“
Auch interessant: Darum ist es am Flughafen so viel teurer
Thomas Jachnow, Pressesprecher der Lufthansa, gibt gegenüber TRAVELBOOK an, dass sich das Flugangebot derzeit bei rund 60 bis 70 Prozent des Flugangebotes der Vor-Corona-Zeit bewegt. Das wiederum bedeutet, dass etwa 30-40 Prozent der ursprünglich geplanten Flüge infolge der Pandemie weiterhin gestrichen werden. Jachnow: „So war Lufthansa traditionell auf dem asiatischen Markt besonders stark vertreten, heute finden wöchentlich nur eine Hand voll Flüge nach Asien statt, China ist nahezu komplett geschlossen. Das hat bedauerlicherweise Auswirkungen auf unsere Gäste.“
Seitens Flightright heißt es: „In den absoluten Flugbewegungen sehen wir nur eine kleine Zunahme von Annullierungen. Bei Flightright melden sich aber fast doppelt so viele Kund:innen als noch vor der Pandemie.“
Die „gefühlte“ starke Zunahme von Flugannullierungen ist also trügerisch. Dazu vermutet etwa Florian Gränzdörffer von Eurowings: „Möglicherweise ist die Wahrnehmung zu dem Thema ,gefühlt‘ derzeit anders. Weil insbesondere in diesen Tagen die Bilder von Engpässen an der Security an vielen Flughäfen die Berichterstattung dominieren.“
https://oembed/travelbook/affiliate/b56cd72490dbf31432183c5e46c3d691b109f6cf95ed41d0da4bec8266d36967/70bc0c30-fb2e-4557-94a2-acae06cd44df/embed
Aktuelle Gründe für annullierte Flüge
Streiks, Unwetter, Vogelschlag – es gibt viele Gründe für Flugannullierungen. Flightright sieht jedoch eine aktuelle Tendenz: „Die Airlines und Flughäfen versuchen gerade, so schnell es geht, aus dem Krisenmodus zur Vollast umzustellen. Da geht natürlich immer wieder etwas schief. Während der Pandemie ist Personal abgebaut worden, was jetzt fehlt“, erklärt Flightright. Abläufe seien noch nicht auf eingespieltem Vorkrisenniveau oder Flugzeuge würden etwa zu spät ausgemottet. Weiter heißt es: „Wir gehen davon aus, dass so viel mehr Menschen bei Annullierungen unseren Service in Anspruch nehmen müssen, weil die Airlines kurzfristiger stornieren und keine zufriedenstellenden Ersatzbeförderungsangebote anbieten.“
Lufthansa führt an, auch auf weniger gut gebuchten Strecken vereinzelt Flüge zu streichen – vor allem dann, wenn adäquate Alternativen angeboten werden können. „So wird ein Großteil der Streichungen, wenn es sie denn gibt, auf der innerdeutschen Kurzstrecke stattfinden. Betroffene Fluggäste werden umgehend informiert und können alternativ die Anreise zu unseren Drehkreuzen in Frankfurt und München mit der Bahn vornehmen oder, wo möglich, auf einen anderen Flug umbuchen“, erklärt Thomas Jachnow.
Auch Eurowings streicht mitunter Flüge bei zu geringer Nachfrage. Dazu gibt Florian Gränzdörffer an: „Sollte sich beispielsweise die Nachfrage auf einem Flug wider Erwarten anders entwickeln als geplant, muss unser Netzmanagement flexibel darauf reagieren – aus ökonomischen wie ökologischen Gründen.“