28. Juli 2023, 16:37 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Es waren erschreckende Zahlen, die die Bahn am Donnerstag als Halbjahresbilanz 2023 vorgelegt hat: Die ohnehin schon schlechte Pünktlichkeitsquote aus dem Vorjahr wurde weiter unterboten und liegt nun bei 68,7 Prozent. Hinzu kommt ein Minus von 71 Millionen Euro. Bis zum Jahresende soll der operative Verlust bei etwa 1 Milliarde Euro liegen. Gleichzeitig drohen weiterhin Chaos für Reisende und wahrscheinlich auch noch höhere Preise. TRAVELBOOK-Chefredakteur Nuno Alves findet, dass es so nicht weitergehen kann, und fordert das, was schon länger im Raum steht: eine Zerschlagung
„Zu alt und zu störanfällig“ – was Bahn-Chef Richard Lutz bei der Pressekonferenz zur DB-Halbjahresbilanz von sich gab, hätte auch eine treffende Beschreibung seines Konzerns sein können. Aber den meinte er natürlich nicht. Seine Aussagen bezogen sich auf die Infrastruktur, die „für den wachsenden Verkehr einfach nicht ausreichend dimensioniert“ sei, wodurch Engpässe, Staus und Verspätungen entstünden. Klingt nachvollziehbar, doch Lutz scheint offenbar völlig vergessen zu haben, wer für die Infrastruktur verantwortlich ist: nämlich die Bahn selbst.
Man fragt sich also, warum der Konzern, der sich immerhin zwei (sicher nicht günstige) „H-Zukunftslabs“ gönnt, in der Vergangenheit nicht absehen konnte, dass Schienennetze auch mal repariert und saniert werden müssen. Dr. Matthias Stoffregen, Geschäftsführer von Mofair, dem Bündnis für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr, sagt dazu auf TRAVELBOOK-Anfrage: „Der Hauptgrund für den schlechten Zustand ist das Kaputtsparen der vergangenen Jahrzehnte. Wenn man zu wenig in Infrastrukturerhalt investiert, merkt man erst mal nicht viel über mehrere Jahre, und die Bilanzen sehen prima aus. Wenn man dann nach einer Weile eben doch etwas merkt, ist es zu spät, weil sich die Probleme dann ballen und gegenseitig aufaddieren. Das erleben wir jetzt.“
Und nun kommt gefühlt alles auf einmal. Zumindest klingt das so, wenn Lutz sagt, die Bahn tausche präventiv rund 480.000 Betonschwellen aus, „sechsmal so viel wie sonst in einem ganzen Jahr“. Von einer „Generalsanierung“ ist die Rede und von einem dadurch entstehenden „Hochleistungsnetz, das den Namen“ verdiene.
Die Bahn ruht sich auf dem Quasi-Monopol aus
Finanzieren müssen das die Steuerzahler. 45 Milliarden Euro sollen dafür bis 2027 vom Bund kommen. Und daran ist im Prinzip auch nichts auszusetzen. Wie bei Autobahnen und Straßen auch sollte der Staat ein effizient funktionierendes Schienennetz bereitstellen und auch wesentlich mehr investieren als bisher. Aber: Dieser Auftrag – und vor allem: das Geld – sollte nicht an den Konzern gehen, der offenbar unfähig ist, effiziente Strukturen aufzubauen und nachhaltig zu wirtschaften, und der auch noch Hauptnutzer des Netzes ist.
Stoffregen sieht die Konstruktion der DB AG als integrierter Konzern als Nachteil: „Aus unserer Sicht ist eben nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen, dass Einnahmen aus dem regulierten Infrastrukturbereich doch zur Quersubventionierung der Transporttöchter (DB Fernverkehr, Regio und Cargo ‚zweckentfremdet‘ werden“, sagt er zu TRAVELBOOK – und fordert eine Vollendung der personellen und finanziellen Entflechtung zwischen Monopol- und Wettbewerbsbereich. „Eine solche Konstruktion, wie wir sie bei der Eisenbahn haben, wäre etwa im Energiebereich heute undenkbar“, so der Mofair-Geschäftsführer.
Wie es auch anders geht, zeigt ein Blick nach Spanien. Auch wenn die Auslastung der Schiene dort nicht mit der in Deutschland vergleichbar ist, bietet das südeuropäische Land ein gutes Vorbild. Dort kümmert sich seit der Zerschlagung 2005 das öffentliche Unternehmen Adif um das Netz, investiert in Trassen sowie moderne Systeme, und auf der Schiene konkurrieren gleiche mehrere Anbieter.
Hierzulande dagegen ruht sich die Deutsche Bahn auf dem Quasi-Monopol im Fernverkehr aus. Kaum eine Reise endet ohne Verspätung, verpasste Anschlüsse oder in übervollen Zügen mit unplanmäßigen Stopps oder sonstigen Unvorhersehbarkeiten, die für Kunden aber leider längst vorhersehbar sind. Eine Anschlusszeit von 10 Minuten auf einer Strecke riskieren nur noch wenige. Zu hoch ist das Risiko, die Verbindung zu verpassen. Zumal eine Verspätung zwischen 6 und 16 Minuten mitunter noch als „pünktlich“ in die Quote eingeht.
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Die interne „Konzern-Infrastruktur“ ist ein genauso großer Sanierungsfall wie das Schienennetz
Nun mag sich der Verspätungsreigen zu 80 Prozent, wie Lutz sagt, mit der Infrastruktur erklären lassen. Aber was ist mit den anderen 20 Prozent? Hier könnte – nein: sollte! – die Bahn auch ohne milliardenschwere Schienen-Sanierungsprogramme ansetzen.
Und sie könnte sich sichtbar anstrengen, die vielen anderen Probleme in den Griff zu bekommen: von kurzfristig geänderten Wagenreihungen bis hin zu regelmäßig kaputten Klimaanlagen im Sommer sowie den ständigen Engpässen beim Personal. Bevor jedoch die Bahn auf ein Problem reagiert, hat die Zukunft längst das nächste geschaffen. Die interne „Konzern-Infrastruktur“ ist ein genauso großer Sanierungsfall wie derzeit das Schienennetz. Man merkt dem Konzern leider in nahezu allen Bereichen an, dass es sich eben um ein aufgeblähtes Staatsunternehmen handelt, behäbig und ineffizient.
Vieles hätte man bereits in der Vergangenheit in die Wege leiten können. Doch geschehen ist viel zu wenig – oder vielleicht das Falsche? „Kaputt gespart“ sei die Bahn, werfen manche ein. Bei den Boni jedenfalls trifft das nicht zu. Hier zahlte der Konzern im Frühjahr mehr als 100 Millionen Euro an Erfolgsprämien. Und das in Zeiten von vor allem eines: Misswirtschaft und Misserfolgen. Kaum auszudenken, wie viel in die Taschen der Führungskräfte fließen würde, wenn die Zahlen etwas besser wären.
Wie lange möchte Deutschland noch warten, um endlich das zu tun, was eigentlich unumgänglich ist: eine Zerschlagung der Bahn, wie sie auch die Monopolkommission fordert. Oder eben, wie es Mofair-Geschäftsführer Stoffregen ausdrückt: eine Entflechtung.
In Zeiten, in denen die Schiene für unsere Umweltbilanz wichtiger denn je ist, können wir es uns jedenfalls nicht leisten, länger auf Besserung zu hoffen. Die Deutsche Bahn der Zukunft besteht aus einem Netz und vielen unabhängigen Bahnen. Es ist Zeit, diesen Prozess zu starten.