18. November 2019, 11:08 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die Menschen sind es leid. Seit Tagen fluten Wassermassen Venedig. Und es geht weiter. Der Bürgermeister richtet einen Appell an Klimaforscher. In Südtirol tobt dagegen der Schnee. Vor allem in einem Dorf bekommen es die Menschen mit der Angst zu tun.
Brugnaro hatte zur „maximalen Vorsicht“ aufgerufen. Die Lage sei aber unter Kontrolle. Die Menschen würden sich nicht entmutigen lassen. „Die Venezianer gehen nur zum Beten in die Knie“, erklärte er. Am Dienstag hatte die höchste Flut seit mehr als 50 Jahren verheerende Schäden in Venedig angerichtet und Kulturschätze zerstört. Fast jede zweite Kirche wurde beschädigt. Das Wasser war getrieben von starkem Wind auf bis zu 187 Zentimeter über den normalen Meeresspiegel gestiegen. Am Freitag fluteten Wassermassen dann erneut einen Großteil Venedigs. Für die kommenden Tage ist leichte Entspannung angesagt.
Brugnaro sagte, auch aus dem Ausland komme viel Hilfe, darunter aus Russland. Der Bürgermeister will ein weltweites Zentrum für Klimawandel-Studien in Venedig einrichten, das sich auch mit der Wasserverschmutzung beschäftigen solle. „Ich will einen großen Appell an die Wissenschaftler richten: kommt hier her.“
Kunstschätze in Gefahr
Unzählige Kunstschätze sind bislang schon in den Fluten der Stadt zerstört worden. Aber die Ideen, das einzigartige Kulturerbe zu schützen, sind bestenfalls schwammig. Die Buchhandlung „Acqua Alta“ hat dieser Tage nicht nur einen symbolischen Namen, sondern auch schon vorher einiges mitgemacht. Weil Hochwasser hier regelmäßig eindringt, liegen unzählige Bücher zum Schutz in Badewannen oder in einer Gondel. Doch so etwas wie in den vergangenen Tagen haben die Mitarbeiter noch nie erlebt.
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Die Flut schwappte auch in Wannen und Schiffe, Bücher segelten im Wasser davon. „Wir müssen Hunderte wegwerfen“, sagte Mitarbeiterin Chiara am Telefon. Helfer versuchten zu retten, was zu retten ist. „Es sind schwere Tage, aber wir machen weiter.“
Es sind nicht nur Bücher, die ihr Ende in der Mischung aus Meer-, Regen- und Schmutzwasser gefunden haben. Es sind Instrumente, wertvolle Schriften, Mosaiksteine, Karnevalsmasken, Gemälde, Gondeln, historische Möbel und Holzböden, Marmorböden und Gemäuer. Der Verlust lässt sich nicht an einzelnen Kulturgütern festmachen. Es sind nicht die einzelnen Museen, Galerien, Paläste, Kirchen und Handwerksläden, die diese Stadt ausmachen. Venedig ist ein Gesamtkunstwerk, ein von der Unesco geschütztes Kulturerbe der Menschheit. Jedes Haus im historischen Zentrum ist ein Kunstwerk.
Vergleich mit Notre-Dame-Brand
Der Kulturbeauftragte des Vatikans, Kardinal Gianfranco Ravasi, verglich nun die Zerstörung mit dem Brand von Notre-Dame in Paris. Es habe nach dem Feuer nicht nur eine „technische Diskussion“ gegeben, sagte er laut Nachrichtenagentur Ansa. „Es gab Leute, die weinten, weil sie ein großes Symbol sterben sahen. Ich würde sagen, diese kulturelle Sensibilität müssten wir wiederholen.“
Natürlich nutzen die Politiker nun symbolisch den Markusplatz mit dem Markusdom für ihre Besuche in Gummistiefeln. Sie machen ernste Minen, posten Bilder von sich selbst in dunkelgrünen Wasserhosen und geloben, alles für den Schutz der „schönsten Stadt der Welt“ zu tun. Selbst Spieler der italienische Fußballnationalmannschaft schauten am Wochenende am Markusdom vorbei. Die Krypta wurde komplett geflutet. Die ganze Kathedrale habe Schaden erlitten, aber keine „irreparablen“, wie Kulturminister Dario Franceschini erläuterte.
Aber auch weniger bekannte Kirchen waren betroffen. „Mindestens 60 bis 70 von insgesamt 120 standen unter Wasser“, erklärte die Denkmalschutzbeauftragte der Stadt, Emanuela Carpani. Jede zweite Kirche ist also beschädigt.
In der Basilika dei Santi Maria e Donato auf der Insel Murano putzten freiwillige Helfer das byzantinische Mosaik aus dem 12. Jahrhundert. Denn das Gift ist das Meerwasser. Zieht sich das Wasser zurück, bleibt das Salz und zerfrisst langsam Marmor und Mosaike. „Das Risiko der Zersetzung ist groß“, sagte Carpani. Hinzu kommen giftige Schmutzpartikel im Wasser, die von Kreuzfahrtschiffen stammen.
„Wenn man sieht, wie Straßen in reißende Flüsse verwandelt werden und Mosaike unter Wasser stehen, dann merkt man, dass das eine viel größere Katastrophe ist, als die Fernsehbilder zeigen“, sagte Kulturminister Franceschini.
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Italien von Unwetter betroffen
Unterdessen tobten in fast ganz Italien Unwetter mit Sturm und heftigen Niederschlägen. In Südtirol herrschte Schneechaos, eine Lawine traf ein Dorf. Die Schneemassen hätten sich durch die Straßen von Martell gedrückt, sagte Bürgermeister Georg Altstätter der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe aber keine Verschütteten. Häuser seien beschädigt und Menschen in Sicherheit gebracht worden. «Die Lage ist prekär.» Möglich sei, dass sich weitere Lawinen lösen. Das Dorf mit rund 900 Einwohnern sei von der Außenwelt abgeschnitten. In mehreren Orten fiel der Strom aus.
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Auch die Brennerautobahn – die wichtigste Verbindungsstraße zwischen Italien und Österreich – war vorübergehend zwischen Brixen und Sterzing gesperrt, teilte die Verkehrsleitzentrale mit. Es herrsche im Großteil Südtirols große Lawinengefahr Stufe 4, erklärte Landesmeteorologe Dieter Peterlin auf Twitter.
Auch weiter im Süden des Landes war Alarm angesagt.
Über Rom fegte in der Nacht ein Sturm. Zahlreiche Bäume kippten um. In Florenz stieg der Fluss Arno bedrohlich. Auch in anderen Gegenden der Toskana herrschte Angst. In Grosseto wurden Dächer abgedeckt, wie die Feuerwehr mitteilte. Menschen mussten mit Motor-Schlauchbooten gerettet werden. Bei Bologna in Budrio drohte ein Deich zu brechen.