17. August 2020, 16:44 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Jahrelang ging es für die Kreuzfahrtindustrie nur nach oben – keinerlei Kritik oder Skandale schienen den Boom bremsen zu können. Dann kam die Corona-Krise und plötzlich stand der Branche das Wasser bis zum Hals. Nun wird der Betrieb langsam wieder hochgefahren, mehrere Reedereien bieten wieder Fahrten an. Doch die sind alles andere als normal. TRAVELBOOK gibt einen Überblick.
Mit zehn Toten und mehr als 700 Infizierten wurde das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess Anfang des Jahres zum ersten Corona-Hotspot außerhalb Chinas. Die Kreuzfahrtindustrie wurde so früh zu einem Symbol der Krise. Mit der Aufhebung der Reisewarnung für viele Länder im Juni sollte es dann ein Comeback geben: Beim weltgrößten Kreuzfahrtkonzern Carnival, zu dem auch die Reederei Aida zählt, wurden Kunden mit Schnäppchen gelockt, die ersten Vorverkaufszahlen waren gut, die Börse zeigte sich euphorisch.
Keine US-Kreuzfahrten, Infizierte bei Hurtigruten
Doch aus dem Neustart wurde nichts. Zunächst stiegen die Infiziertenzahlen, vor allem in den USA, wieder deutlich – insofern besonders dramatisch, als etwa die Hälfte der Kreuzfahrtpassagiere weltweit US-Amerikaner sind. Der Kreuzfahrtverband CLIA teilte daraufhin im Juli mit, dass man den Betrieb von US-Häfen bis zum 15. September ruhen lasse. Einen Monat später, Anfang August, stoppte die norwegische Kreuzfahrtreederei Hurtigruten nach dem Ausbruch von Covid-19 auf einem ihrer Schiffe bis auf Weiteres alle sogenannten Expeditionskreuzfahrten. Mindestens 40 Passagiere und Crewmitglieder der „Roald Amundsen“ waren positiv auf das Virus getestet worden.
Hurtigruten-Vorstandschef Daniel Skjeldam erklärte: „Unser eigenes Versagen sowie der jüngste Anstieg der Infektionen auf internationaler Ebene hat uns dazu veranlasst, alle Expeditionskreuzfahrten in norwegischen und internationalen Gewässern einzustellen.“ Kurz darauf musste in Norwegen ein weiteres Kreuzfahrtschiff wegen eines Corona-Falls gestoppt werden, weil ein bereits von Bord gegangener Passagier positiv getestet wurde.
Aida und Costa planen Neustart
Einen Hoffnungsschimmer gibt es bei Aida. „Aida Cruises plant die Wiederaufnahme des Kreuzfahrtbetriebes mit den ersten Schiffen ab deutschen Häfen Anfang September 2020“, teilte das Unternehmen TRAVELBOOK mit. So sollen die ersten Schiffe ab Kiel (6. September) sowie ab Hamburg (12., 19. und 26. September) Richtung norwegische Fjorde fahren. Abgesehen von diesen Kurzreisen werde das Unternehmen aufgrund der aktuellen Lage „die Unterbrechung der Kreuzfahrtsaison bis zum 30. September 2020 verlängern“, hieß es weiter.
Costa will ab September wieder erste Kreuzfahrten im Mittelmeer anbieten – vorerst jedoch nur für italienische Urlauber. Das gab die Reederei bekannt. Die „Costa Deliziosa“ soll vom 6. September an einwöchige Seereisen ab Triest zu Häfen in Italien unternehmen. Ab 19. September soll dann die „Costa Diadema“ regelmäßig von Genua aus ins westliche Mittelmeer aufbrechen. Die übrigen Schiffe der Flotte sollen nach jetzigen Plänen erst frühestens wieder ab Oktober fahre
MSC Cruises fährt wieder
Auch MSC Cruises wird schon bald wieder Kreuzfahrten anbieten. Die Reederei teilte auf TRAVELBOOK-Nachfrage mit, das Go der italienischen Regierung für einen Neustart erhalten zu haben, sodass man den Betrieb demnächst wieder aufnehmen könne. „Die Genehmigung der italienischen Behörden war deswegen nötig, weil wir ab/bis italienische Häfen fahren werden“, sagt Julia Schütz, Pressesprecherin bei MSC Cruises. Das Flaggschiff MSC Grandiosa und die MSC Magnifica würden ab dem 16. beziehungsweise ab dem 29. August 2020 den Betrieb im Mittelmeer wiederaufnehmen, und zwar „vollumfänglich“, das heißt: mit Landausflügen.
Tui Cruises fährt schon länger wieder – aber ohne Landgänge
Vorreiter ist Tui Cruises: Die Reederei hat bereits am 24. Juni 2020 den Kreuzfahrtbetrieb mit Gästen wieder aufgenommen, und zwar in Form von sogenannten „Blauen Reisen“. „Dabei handelte es sich um drei bis viertägige Kurzkreuzfahrten ab und bis deutschen Häfen – ausschließlich mit Seetagen und einer Auslastung von maximal 60 Prozent“, sagt Unternehmenssprecherin Godja Sönnichsen TRAVELBOOK. Derzeit sind die Mein Schiff 1 und 2 ab Kiel und Hamburg zu siebentägigen Touren in den Norden unterwegs, auch ausschließlich mit Seetagen. „Bisher verliefen die Fahrten ohne Zwischenfälle“, so Sönnichsen.
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Keine Normalität
Allerdings gilt auch für die Kreuzfahrten, die schon möglich sind oder bald möglich sein werden: Es herrscht noch lange keine Normalität an Bord. Die Reedereien wollen um jeden Preis verhindern, dass es erneut zu einem Ausbruch auf einem Kreuzfahrtschiff kommt, weil dann das Image der Branche endgültig ruiniert sein könnte.
Damit das gelingt, wurden umfangreiche Hygiene- und Abstandsmaßnahmen an Bord eingeführt, etwa das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes oder, wie bei MSC, der Verzicht auf Landgänge. Auch das Unterhaltungsprogramm an Bord wird stark eingeschränkt, Saunen und Diskotheken bleiben geschlossen.
Bei MSC werden alle Passagiere vor der Einschiffung auf Corona getestet. „Alle unsere Besatzungsmitglieder werden vor der Ausreise aus ihrem Heimatland einem COVID-19 RT-PCR-Abstrichtest unterzogen und bei der Ankunft, noch vor der Einschiffung mit einem Immunofluoreszenz-Abstrichtest getestet“, sagt MSC-Sprecherin Schütz. Ähnlich halten es die meisten Kreuzfahrtanbieter.
Was, wenn es doch zu einem Covid-19-Ausbruch kommt?
Auch auf den Ernstfall haben die Reedereien sich nach eigenen Angaben umfassend vorbereitet: „Gemeinsam mit den zuständigen Behörden wurden umfangreiche Prozesse entwickelt, wie bei einem bestätigten COVID-19-Fall schnellstmöglich die medizinische Versorgung und Ausschiffung sowie die Heimreise des Gastes gewährleistet werden kann“, sagt Aida-Sprecherin Kathrin Heitmann. Eine medizinische Betreuung für alle Gäste und Crewmitglieder sei rund um die Uhr gewährleistet, die Schiffe mit PCR-Test-Kits und Diagnosegeräten zur umgehenden Auswertung von COVID-19-Verdachtsfällen ausgestattet.
Tui-Sprecherin Sönnichsen: „Bei einem Verdacht auf COVID-19 können wir auf Minilabors an Bord zurückgreifen, die uns innerhalb von 70 Minuten ein PCR-Testergebnis liefern. Sollte sich ein Verdachtsfall bestätigen, werden wir die Person – Gast oder das Besatzungsmitglied – im Sinne der Gesundheit aller Personen an Bord – an Bord isolieren und schnellstmöglich zur weiteren Diagnose und Behandlung in eine geeignete Institution an Land bringen lassen, sofern notwendig auch per Notausschiffung.
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Es ist also vieles anders als vor Corona, die Passagiere müssen sich anpassen und stark einschränken. Ob diese Art des Reisens auf hoher See wirklich auf Gegenliebe stößt, wird sich erst noch zeigen. Zu einer echten Normalität zurückkehren wird die einst so beliebte Kreuzfahrt wohl erst, wenn ein Impfstoff gefunden ist.
Abgeschrieben werden sollte die Kreuzfahrtindustrie jedenfalls nicht, meint Analyst Brandt Montour von der Großbank JPMorgan. Die Nachfrage nach solchen Reisen sei weiter groß, besonders da die US-Kundschaft überraschend risikobereit sei.