11. November 2021, 5:59 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Am 21. August 1986 ereignete sich am Lake Nyos in Kamerun eine Katastrophe noch nie dagewesenen Ausmaßes. Sie kostete etwa 1800 Menschen das Leben, die alle qualvoll erstickten. TRAVELBOOK erklärt, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte und was danach geschah.
Es ist der 21. August 1986, als über die Dörfer rund um den Lake Nyos in Kamerun die Apokalypse hereinbricht. Überlebende werden später sagen, sie kündigte sich durch eine Art Donnergrollen an, wie es zum Beispiel bei einem Erdrutsch entsteht. Dann sahen die Menschen eine geisterhafte weiße Wolke, die mit rasanter Geschwindigkeit auf sie zu waberte. Es dauerte nicht lange, und etwa 1800 Menschen waren tot. Qualvoll erstickt, viele davon im Schlaf.
Die Szenerie, die sich an diesem Tag in den Dörfern um den Lake Nyos bildet, kann man wohl nur mit dem Jüngsten Gericht vergleichen. Überall liegen Leichen, zudem unzählige Kadaver von verendeten Tieren, ihre Zahl wird später auf mehr als 3000 geschätzt. Zuvor waren die Menschen einfach umgefallen, dort, wo sie eben gerade standen. In einem Radius von 25 Kilometern hat niemand die unheimliche Katastrophe überlebt. Mehrere Dörfer sind betroffen, die Bevölkerung von einem Ort auf einen Schlag vollständig ausgelöscht.
Es gab Hinweise auf eine mögliche Katastrophe
Der Fall macht rasend schnell internationale Schlagzeilen, und noch schneller beginnen die Spekulationen. Was – oder wer – kann für ein solches Grauen verantwortlich sein? Verschwörungstheorien entstehen, Einige verdächtigen die Regierung eines Angriffs mit Chemiewaffen. Von unsichtbaren Superwaffen ist die Rede, Manche glauben sogar an atomare Explosionen. Dass der Tod vom Lake Nyos aus über die Menschen kam, ahnen da noch die wenigsten.
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Ein internationales Forscherteam reist schon kurz nach der Tragödie an, um Nachforschungen anzustellen. Diese konzentrieren sich bald auf den Lake Nyos. Denn dieser ist ein vulkanischer Kratersee, der entlang einer insgesamt gut 1500 Kilometer langen Kette aus Feuerbergen und Kraterseen liegt. Zunächst einmal mutmaßen die Wissenschaftler, auf dem Grund des mehr als 200 Meter tiefen See könne sich eine tödliche vulkanische Eruption ereignet haben. Doch sie liegen falsch. Dabei gab es bereits 1985 Hinweise auf eine mögliche tödliche Katastrophe am Lake Nyos.
Ein Gas brachte den Tod
Denn bereits am 15. August 1984 hatte sich am ebenfalls in Kamerun liegenden Lake Monoun eine ähnliche Katastrophe abgespielt, die 37 Todesopfer forderte. Ein Wissenschaftler der US-amerikanischen Universität von Rhode Island hatte daraufhin festgestellt, dass sich am Grunde des Lake Monoun zuvor unfassbar hohe Konzentrationen von Kohlendioxid angesammelt hatten. Und genau dieses Gas war schuld am Tod der Menschen.
In der Erdatmosphäre erreicht es gerade einmal eine Konzentration von 0,04 Prozent, wir Menschen atmen es aus. Bereits eine Dichte von 6 bis 8 Prozent reicht aber aus, um tödlich zu sein. Dazu muss man auch wissen, dass Kohlendioxid, oder CO₂, schwerer ist als Sauerstoff, und diesen in der Luft quasi verdrängt – in der Folge erstickt sämtliches Leben qualvoll. Und genau das war am Lake Monoun, war nun auch am Lake Nyos geschehen.
Eine tödliche Wolke
Man muss sich den Lake Nyos vorstellen wie eine Flasche Mineralwasser, um das Phänomen zu verstehen. An seinem Boden hatten sich über Jahre oder gar Jahrhunderte gigantische Mengen CO₂ angereichert. Diese strömten aus einer unterirdischen Magmakammer durch Risse in der Erde in den See. Dadurch entstand ein gewaltiger Druck – eben so, wie wenn man eine Flasche Mineralwasser schüttelt. An diesem tragischen 21. August 1986 nun brach sich der Druck in dem Kratersee in einer gigantischen Explosion Bahn.
Auf einen Schlag traten 1,6 Millionen Tonnen CO₂ aus, die eine fast 50 Meter hohe Wolke aus Kohlendioxid über dem See aufsteigen ließen. Diese verteilte sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu 24 Kilometern pro Stunde über den umliegenden Dörfern, wo sie etwa 1800 Menschen das Leben kostete. Die Toten wurden von der Armee in Massengräbern verscharrt, die etwa 4000 Überlebenden in Übergangslagern untergebracht.
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Die Gefahr scheint vorerst gebannt
Umso unfassbarer ist, dass es noch weitere 15 Jahre dauern sollte, bis für die Sicherheit der Menschen rund um den Lake Nyos konkret etwas getan wurde. Dabei war die Lösung eigentlich bereits unmittelbar nach der Katastrophe parat. Auf dem Grund des Lake Nyos wurde schließlich 2001 ein Rohr installiert, mit dem sich das Kohlendioxid kontrolliert aus dem See ableiten lässt. Dadurch sollen künftige Explosionen verhindert werden. Bereits seit 1992 hatte man mit dem Konzept experimentiert.
Doch sämtliche Pläne scheiterten zunächst immer wieder an der Finanzierbarkeit. Das Land Kamerun wollte oder konnte die dafür benötigten 2 bis 3 Millionen Dollar nicht bezahlen. Erst mithilfe des US-Katastrophenschutzes konnte die notwendige Summe schließlich doch noch aufgebracht werden. Jedoch sagten Wissenschaftler bereits damals, dass nur eine Pumpe am Lake Nyos nicht ausreichen würde, denn jedes Jahr strömen etwa 5500 Tonnen neues CO₂ in den Kratersee. Bei dieser Menge müsste man etwa 30 Jahre lang kontrolliert Gas ablassen, um dem See sein tödliches Ausbruchs-Potential zu nehmen
2011 wurden daher am Lake Nyos zwei weitere Pumpen installiert. In einer Untersuchung 2019 attestierten Wissenschaftler nun, dass sich in dem See keine gefährlichen Mengen CO₂ mehr befänden. Bereits 2009 wurde vermeldet, dass der Lake Monoun, ebenfalls dank der Installation einer Rohrpumpe, vollständig gasfrei sei. Die beiden sind zwei von nur drei Seen auf der ganzen Welt, in denen sich in der Vergangenheit auf so gefährliche Weise CO₂ angereichert hatte. Die Toten von damals werden natürlich nicht wieder lebendig. Aber zumindest in Zukunft können die Menschen rund um den Lake Nyos scheinbar wieder sicher leben.