18. Oktober 2022, 15:29 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Reiseblogger leben ein vermeintliches Traumleben: Sie nächtigen in den teuersten und schönsten Hotels, sind immer unterwegs, sehen unberührte Natur und spannende Metropolen. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Ein neues Buch zeigt nun, dass auch hier gilt: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Ein Gespräch mit den Autorinnen.
Reiseblogger oder -Influencer zu werden, ist für viele ein Traum – doch wer sich näher mit dem Thema beschäftigt, sieht, es gibt auch einige Schattenseiten. So gehört zu dem Job zum einen deutlich mehr, als „nur vor der Kamera zu posieren“, wie oft geunkt wird. Zum anderen ist die Branche mittlerweile so groß und relevant, dass ihr Einfluss immer wichtiger wird.
Einige Beispiele dafür werden in einem neuen Buch aufgearbeitet: In „Falsche Vorbilder“ zeigen die Autorinnen Alicia Joe, eine der erfolgreichsten deutschsprachigen YouTuberinnen mit mehr als einer halben Million Abonnenten, und Sabine Winkler, freie Autorin, unter anderem auch bei TRAVELBOOK, wie weit der Einfluss der Social-Media-Stars wirklich reicht. Ein Gespräch über die Macht von Reisebloggern – und wo diese noch Nachholbedarf haben.
TRAVELBOOK: Ihr habt in eurem Buch den Reisebloggern ein ganzes Kapitel gewidmet – gab es etwas, dass euch bei der Recherche besonders überrascht hat?
Alicia Joe: „Mich hat besonders überrascht, dass auch vermeintlich authentische Reiseblogger ausgeklügelte Systeme nutzen, um ihre Einnahmen am deutschen Fiskus vorbeizuschleusen. Dabei werden gern Offshore-Firmenkonstrukte in Kanada genutzt.“
Sabine Winkler: „Was mich zumindest ein bisschen umgehauen hat: Wie wenig nachhaltig der Lifestyle der Reiseblogger oft ist.“
Inwiefern?
Sabine: „Wir haben an einem konkreten Beispiel ausgerechnet, dass zwei ausgewählte Travel-Blogger bei ihren Reisen alleine im Jahr 2019, also noch vor der Coronapandemie, mindestens einen CO₂-Fußabdruck von 15.300 Kilogramm pro Kopf* hatten. Ihre Auto- und Busfahrten oder Schiffsreisen waren da noch nicht mal mit eingerechnet. Das waren nur die Flüge! Interessant fand ich es auch, dass eigentlich kein Creator aus dem Reisebereich offen und mit Namensnennung mit uns über Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz reden wollte. Die haben alle Angst um ihr Image, aber reisen trotzdem weiter um die Welt.“
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„Wir wünschen uns mehr Transparenz“
Nun ist es eben der Job von Travel-Bloggern, zu reisen – einem Piloten würde man ja auch nicht vorrechnen, wie sein CO₂-Fußabdruck aussieht. Was könnte die Berufsgruppe eurer Meinung nach dennoch anders machen, ohne direkt den Job aufzugeben?
Alicia: „Natürlich ist es ihr Job und das ist auch völlig legitim. Allerdings würden wir uns von den Bloggern mehr Transparenz wünschen, unter anderem bezogen auf den Nachhaltigkeitsaspekt und wie sie damit umgehen.“
Vor allem Vanlife, also ein Lebensstil, bei dem man Voll- oder Teilzeit in einem Fahrzeug lebt, wird ja oft als sehr nachhaltiger Lifestyle propagiert – ist das eine Option?
Sabine: „Na ja, sagen wir es mal so: Wenn es um so etwas wie Kleidung oder Reiseaccessoires und Kosmetik geht, achten die meisten Influencer inzwischen darauf, dass sie wirklich eher nachhaltig unterwegs sind. Viele haben auch bezahlte Kooperationen mit Firmen, die hauptsächlich nachhaltige Produkte herstellen. Das Problem ist aber: Die meisten Vans, mit denen die Travel-Blogger unterwegs sind, sind echte Sprit- und CO₂-Schleudern. Ein Peugeot Boxer hat einen CO₂-Emissionswert zwischen 168 und 236 Gramm pro Kilometer. Das sind bei einer Fahrt von Hamburg ins Allgäu circa 183 Kilogramm CO₂-Ausstoß.“
Nun schreibt ihr eurem Buch, dass nicht nur Frequenz und Art des Reisens, sondern auch die Ziele problematisch sind. Der Grund: Viele Blogger und Influencer reisen an die gleichen Orte. Warum ist das so?
Sabine: „Ich glaube, in erster Linie sind die Orte, die Reiseblogger aufsuchen, „instagrammable“. Das heißt, sie müssen fototauglich sein. Irgendwie exotisch und anders als die deutsche Heimat, am besten noch mit einer spektakulären Landschaft oder Architektur.“
Alicia: „Außerdem kann man auch Trends beobachten, je nachdem, welcher große Blogger welchen Ort bewirbt. Lange Zeit waren Bali und Island im Hype, aktuell sind auch Schweden und Norwegen sehr beliebt. Ein zukünftiger Reise-Trend könnten die Azoren sein, denn die rühren grade heftig die Werbetrommel auf Social Media.“
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Was sind im schlimmsten Fall die Folgen, wenn einzelne Orte „zu sehr“ gehyped werden?
Alicia: „Zunächst einmal kommt es regelrecht zu Überfüllungen an beliebten Instagram-Foto-Spots. Manche Blogger zeigen das sogar transparent in ihren Instagram-Storys. Während es auf dem ‘perfekten‘ Feedpost oft so aussieht, als wäre der Blogger die einzige Person, stehen hinter der Kamera oft zehn bis zwanzig Leute, die warten, um eben genau das gleiche Motiv abzulichten.“
Sabine: „Im schlimmsten Fall werden durch den Hype sogar ganze Naturschutzgebiete zerstört. Jeder hat bestimmt schon mal eines der tollen Bilder inmitten der französischen Lavendelfelder gesehen – das Motiv ist inzwischen auch bei ’normalen‘ Social-Media-Usern mit nur wenigen Followern so beliebt, dass die Lavendelbauern in Frankreich jedes Jahr mit den Folgen zu kämpfen haben: Bei der Suche nach einem guten Fotospot werden die Blüten und damit die Ernte der Bauern einfach kaputt getrampelt.“
Ihr kritisiert, dass Orte oft anders porträtiert werden, als sie es in Wirklichkeit sind. Aber inwiefern unterscheidet sich die Darstellung in den sozialen Medien von der in Dokumentationen, Reiseführern oder Bildbänden? Auch hier sind die Orte ja nicht mit Dreck und Massentourismus abgebildet.
Sabine: „Das stimmt natürlich. Auch viele Reiseführer und Bildbände zeigen ein „verzerrtes“ Bild von touristischen Zielen. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Wer auf Social Media unterwegs ist, vermittelt seinen Followern den Eindruck, authentische Erlebnisse zu teilen – unmittelbar und direkt. Wenn man sich einen Bildband oder eine Dokumentation anschaut, konsumiert man diese Medien bereits mit einer ganz anderen Anspruchshaltung: Wir finden es einfacher, diese Bilder einzuordnen und auch die Umstände, in denen sie entstanden sind. Dokumentarfilmer betonen zum Beispiel oft, wie lange sie ausharren mussten, um das perfekte Bild von der einen Elefantenherde in Namibia oder dem doppelten Regenbogen auf Hawaii schießen zu können. Travel-Blogger tun das selten, ihre Posts erscheinen häufig spontan und locker, obwohl auch sie meist lange vorbereitet wurden.“
Alicia: „Auch dadurch, dass Influencer sich auch auf den Fotos abbilden, denkt man, dass dort wirklich nur sie und sonst keiner war. Bei Bildern ohne Personen im Reiseführer kann man besser abstrahieren.“
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»Influencer in Dubai dürfen keine Kritik am Emirat üben
Ihr sprecht im Buch unter anderem darüber, dass viele Influencer in Dubai leben. Das Emirat hat auch im „regulären“ Tourismus in den letzten Jahren einen Boom erlebt, die oft bedenklichen Menschenrechtsbedingungen scheinen für Urlauber nicht so relevant zu sein wie die Erfahrung vor Ort. Welche Rolle spielen hier die Influencer?
Sabine: „Meiner Meinung nach eine sehr große. Was viele nicht wissen: Wer als Influencer in Dubai leben und arbeiten will, braucht eine Lizenz. Die kostet etwa 3.600 Euro im Jahr – dafür müssen die Influencer in Deutschland keine Steuern mehr bezahlen, wenn sie sich nicht länger als 183 Tage im Jahr in Deutschland aufhalten. Allerdings hat diese Steuerfreiheit einen inhaltlichen Preis: Die Influencer dürfen keine Kritik am Emirat üben. Stattdessen posten sie Bilder ihrer Wüstensafaris, der imposanten Architektur und ihrer Luxusvillen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass in Dubai alles toll und einfach sei.“
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Letzte Frage: Folgt ihr persönlich Reisebloggern? Und wenn ja: Welchen und warum?
Sabine: „Ich bin ja auch als Reisejournalistin unterwegs und folge vielen verschiedenen Reisebloggern, habe aber nur wenige so eingestellt, dass ich sie immer in meinen Storys sehe. Ich persönlich bin großer Fan der beiden Jungs von ‚Welttournee‚, auch, weil sie nicht so einseitig an Reiseziele herangehen und sich überraschen lassen. Aber was einem auf Social Media gefällt und was nicht, ist ja auch immer eine persönliche Sache. Es macht ja auch Spaß, manchmal einfach schöne Bilder von schönen Orten zu sehen. Die Waage muss halt stimmen.“
Alicia: „Nein. Aber ich lasse mich gern inspirieren, wenn mir Reisefotos oder Videos durch Empfehlungen in den Feed gespült werden!“
*Zum Vergleich: Der EU-Durchschnittswert lag laut Umweltbundesamt im Jahr 2019 bei 8000 bis 9000 Kilogramm CO2 pro Person und Jahr.